Robert Andrich bei Bayer Leverkusen:Ein Sherpa für Leverkusens Talente

Türkgücü Munich v 1. FC Union Berlin - DFB Cup: First Round

Robert Andrich hat im Trikot von Union Berlin auch immer mal wieder seine Torgefahr bewiesen - doch Hauptberuflich ist er ein "Abräumer", wie er in Berlin genannt wurde.

(Foto: Leonhard Simon/Getty)

Bayer Leverkusen setzt seine Einkaufstour fort und verpflichtet Piero Hincapié und Robert Andrich. Letzterer könnte sich als wichtigster Leverkusener Transfer in diesem Sommer entpuppen.

Von Ulrich Hartmann

Natürlich wäre es nicht schlecht, wenn der kämpferische Mittelfeldspieler Charles Aranguiz einen talentierten Zwillingsbruder hätte oder der meinungsstarke Torwart Lukas Hradecky einen mental ähnlich gestrickten Verwandten, gern auch für die Offensive. Doch auch der führungssichere Fußballer Robert Andrich wird ohne einen kickenden Verwandten von Union Berlin zu Bayer Leverkusen wechseln. Sie sind nun mal alle Einzelstücke. So einen Glücksfall wie die Bender-Zwillinge Lars und Sven werden sie im Rheinland auf absehbare Zeit nicht mehr bekommen. Die Benders bringen ihre mentale Power ab sofort beim Kreisklassisten TSV Brannenburg im oberbayerischen Landkreis Rosenheim ein. Dort lassen sie ihre Karrieren ausklingen.

In Leverkusen castet man derweil neue Führungsspieler. Der Torwart Hradecky wurde zum Kapitän ernannt, der Chilene Aranguiz bleibt Kampfterrier im defensiven Mittelfeld und bekommt mit Andrich nun einen Spieler zur Seite, den sie in Berlin voller Respekt "Abräumer" genannt haben. In dieser Konstellation könnte das sehr vorteilhaft sein für Bayer Leverkusen in der Ära nach den doppelt kämpferischen, doppelt meinungsstarken und doppelt führungssicheren Doppelgängern namens Bender.

Bayer Leverkusen leidet seit Jahren unter der öffentlichen Vorhaltung, seine Potenziale nicht auszuschöpfen. Dass sich der Bundesligist in den vergangenen fünf Spielzeiten nur ein einziges Mal für die Champions League qualifiziert hat, scheint diese skeptische These zu unterstützen. Dass Leverkusen 2020 aber sowohl bis ins Viertelfinale der Europa League (gegen Inter Mailand) vorgedrungen ist als auch bis ins Endspiel des DFB-Pokals (gegen Bayern München) und dass sich der Klub binnen 20 Spielzeiten 16 Mal für einen Europapokal-Wettbewerb qualifiziert hat, beleuchtet die Dinge rosiger. Acht Mal Champions League und ebenso oft Europa League - Letzteres auch diesen Herbst wieder. Das war für Andrich Grund genug, den berühmten "Karriereschritt" von Union Berlin nach Leverkusen zu gehen. Bei Bayer freuen sie sich auf einen Spielertypen, den sie für ihren Kader aber auch dringend benötigt haben.

Acht U23-Spieler könnten es in Leverkusens Startelf schaffen

"Durchsetzungsfähig und sehr ehrgeizig", nennt Bayers Sportdirektor Simon Rolfes den 26 Jahre alten Mittelfeldspieler, der in Leverkusen wie prädestiniert erscheint für die Doppelsechs an der Seite von Aranguiz. Obwohl taktisch im hinteren Mittelfeld verortet, hält Rolfes Andrich emotional für einen "Charakter, der vorangehen kann". Vom Klub-Sportchef Rudi Völler als "außerordentlich zweikampf- und laufstark" geadelt, könnte sich der gebürtige Potsdamer Andrich als wichtigster Leverkusener Transfer in diesem Sommer entpuppen - trotz fußballerisch so talentierter Zugänge wie den Abwehrspielern Odilon Kossounou, Mitchel Bakker und dem ecuadorianischen Innenverteidiger Piero Hincapié, den Bayer für geschätzte acht Millionen Euro soeben aus Talleres in Argentinien verpflichtet hat.

1. FC Union Berlin - Bayer Leverkusen

Erster Härtetest für einen von Leverkusens jungen Talenten: Odilon Kossounou (re.) gegen Max Kruse von Union Berlin.

(Foto: Andreas Gora/dpa)

Formierte man nach derzeitigem Kaderstand eine hochwertige Bayer-Startelf, dann stünden darin mit Florian Wirtz, 18, Hincapié, 19, Kossounou, 20, Bakker, 20, Jeremie Frimpong, 20, Paulinho, 21, Moussa Diaby, 22, und Exequiel Palacios, 22, nicht weniger als acht U23-Spieler. Da wären Routiniers wie Aranguiz, 32, Hradecky, 31 und Andrich, 26, umso dringender vonnöten. "Eine Mannschaft braucht beides: fußballerische Qualität und Führungsqualität", sagte Sportdirektor Rolfes am Sonntag in der Sport1-Talkshow "Doppelpass", in der er sich eloquent dagegen verwahrte, die Leistungen der Bayer-Mannschaft in den vergangenen Jahren allzu skeptisch zu betrachten. "Der Kampf um die Spitze ist härter geworden", sagte er über die zunehmend dünne Luft auf dem Bundesliga-Gipfel.

Will man so einen Gipfel erklimmen, dann benötigt man einen berg-erfahrenen Helfer. Im Himalaya sind das die Sherpas. Der einigermaßen unbekannte Nepalese Kami Rita beispielsweise hat als Sherpa schon 25 Mal den Mount Everest bestiegen und ist damit Weltrekordhalter. Nun war die hügelreichste Gegend, in der Andrich fußballerisch je beheimatet war, zwar nur das ostwürttembergische Heidenheim, aber auch im flachen Leverkusen könnte er sich für Bayer als wertvoller Berghelfer entpuppen: nämlich in der Bundesliga-Tabelle.

Am Samstag fühlte sich Andrich nicht bereit, gegen Leverkusen zu spielen

Sein letztes Bundesligaspiel für Union Berlin absolvierte Andrich am 15. Mai in Leverkusen, als sich die beiden Mannschaften 1:1 trennten. Mit exakt diesem Ergebnis gingen sie auch am vergangenen Samstag in Berlin auseinander, da hat Andrich allerdings nicht mitgespielt. Von Unwohlsein beim Spieler war vor dem Anpfiff die Rede, aber auch von Ungewissheit um einen möglichen Wechsel und dass Andrich sich nicht bereit gefühlt habe zu spielen. Zwei Tage später, am Montagabend, wurde mit der Verkündung seines Wechsels nach Leverkusen klar, warum er sich nicht bereit gefühlt hatte.

Andrich erhält einen Fünfjahresvertrag und kommt nach Leverkusen mit der Empfehlung von neun Treffern und sechs Vorlagen in 66 Pflichtspielen für Union. Es ist die Rede von einer Ablöse um 6,5 Millionen Euro. Erste Einsatzmöglichkeit ist für ihn am Samstagabend das rheinische Derby gegen Mönchengladbach.

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