Bayer Leverkusen:Plötzlich wichtig

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Wie aus dem Lehrbuch für Elfmeterschützen: Leverkusens Lucas Alario beim Strafstoß zum 1:0. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Stürmer Lucas Alario, vor drei Jahren für fast 20 Millionen Euro verpflichtet, zeigt mit Verspätung seinen Wert für den Bundesligisten.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Daniel Caligiuri hätte mindestens vier Beine oder aber ein bis zwei Doppelgänger brauchen können, als die Partie zwischen Bayer Leverkusen und dem FC Augsburg auf ihr Ende zusteuerte. Hier schlug er aus der eigenen Hälfte den Freistoß, der dem FCA in letzter Minute doch noch zum Ausgleich verhelfen sollte, im nächsten Zug sollte er aber schon ausgeruht zur Stelle sein, um den folgenden Eckstoß zu treten, und zugleich wäre es dann sinnvoll gewesen, wenn er zur Entgegennahme des Balls im Strafraum gestanden hätte, denn außer dem effizientesten Mittelfeldspieler und Flügelläufer war Caligiuri auch der gefährlichste Angreifer, den die Augsburger mitgebracht hatten. Das war nicht nur dem Ausgleich zu entnehmen, den der 32-Jährige auf seine typische Art erzielt hatte: Ballannahme, Haken, Schnellschuss ins kurze Eck - Tor.

Der fleißige Caligiuri leistete mehr als genug, um der Mann des Abends in der Bayarena zu sein, selbst wenn sein letzter Eckstoß nicht zum 2:2 führte, sondern im Konter zum finalen 3:1 für Leverkusen. Aber der Gewinnerpreis gehörte dem Mann, der die Hausherren mit zwei Treffern zum Sieg geschossen hatte und damit eine Woche abrundete, die zu den schönsten gehört, seitdem er vor drei Jahren für fast 20 Millionen Euro aus Buenos Aires ins Rheinland gewechselt ist. Die fälligen Ovationen der Fankurve konnte Lucas Alario, 28, jedoch nicht empfangen: Erstens war kein Fan im Stadion, zweitens hatte ihn Peter Bosz wieder mal ausgewechselt.

Letzteres brauchte Alario ausnahmsweise nicht zu stören, obwohl er mit der Nominierungs- und Wechselpolitik seines Trainers schon oft zu hadern hatte. Diesmal jedoch gab es gute Gründe für den Coach: Karim Bellarabi kam, um die lästigen Augsburger in ihrer Defensive zu beschäftigen. Boszs Kollege Heiko Herrlich hatte beim Wechseln eine weniger gute Hand: Als er Tobias Strobl brachte, wollte er die Abwehr stärken. Aber kaum, dass Strobl mitspielte, war er prompt zu spät, als Alario in Nadiem Amiris Flanke lief und den Ball mit dem Kopf ins Eck verlängerte.

Momente wie dieser werden nicht nur von Bayer-Sportchef Rudi Völler in Leverkusen genossen, der zu Alarios Förderern gehört, sondern auch in Tostado in der argentinischen Provinz Santa Fe, wo das Elternhaus des Mittelstürmers steht. Der Deutschen Welle haben Vater und Mutter Alario einmal berichtet, dass sie jedes Spiel ihres Sohnes anschauen, und dass es nicht bei Jubel und Umarmungen bleibt, wenn ihm ein Tor gelingt. Oft gebe es auch ein paar Freudentränen, es sei halt jedes Mal "sehr emotional", erzählte Mama Monica.

Peter Bosz wäre gewiss auch gerührt gewesen, wenn er diesen TV-Beitrag gesehen hätte, dass er deswegen von seiner Überzeugung abgerückt wäre, ist trotzdem unwahrscheinlich. Alario hat es nicht leicht bei seinem holländischen Vordenker, er hatte es aber auch nicht leicht bei dessen Vorgänger, der am Montag der Trainer des Gegners war. In der vorigen Saison musste Alario erleben, dass er selbst dann auf der Bank blieb, wenn die erste Sturmspitze Kevin Volland fehlte. Oft ließ Bosz lieber Kai Havertz in vorderster Linie angreifen. Alario ist nicht der Typ, der sich über seine Zurücksetzung öffentlich beschwert, lediglich sein Berater unternahm im Sommer zarte Versuche, bei Bayer für die Freigabe zum Wechsel zu werben. Das Interesse von Benfica Lissabon brachte aber kein Ergebnis, zugleich wurde die Situation bei Bayer nach der Verpflichtung des tschechischen Konkurrenten Patrick Schick nicht besser. Am Montagabend nun gab Lucas Alario zu erkennen, was ihn außer seinem herausragend guten Kopfballspiel zu einem besonderen Stürmer macht: Er trifft nicht bei jeder Gelegenheit, aber er ist fast immer am richtigen Ort zu finden; er kennt das Geheimnis, das gewöhnliche Angreifer zu außergewöhnlichen Mittelstürmern macht. Sein Pech ist, dass auch Schick ein exzellentes Kopfballspiel und einen starken Torinstinkt hat. Aber Schick ist verletzt, und so sagte Bosz am Montag Sätze, die sowohl bei Alario als auch in Santa Fe, willkommen sein dürften: "Lucas ist jetzt unser einziger Stürmer. Er ist sehr wichtig für uns. Er schießt die Tore."

© SZ vom 28.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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