Bundesliga:Leverkusener Schrumpfkur

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Beschwört alle Kräfte und Mächte: Heiko Herrlich, der neue Trainer des Werksklubs aus Leverkusen. (Foto: Christian Deutzmann/imago)
  • Leverkusen musste viele Abgänge verkraften, gleichwertiger Ersatz wurde kaum geholt.
  • Trainer Heiko Herrlich steht bei seinem Bundesliga-Debüt vor einer großen Herausforderung.
  • Ein Platz unter den ersten sechs sei "ein realistisches Ziel, da gehört Bayer auch hin", meint Stürmer Kevin Volland.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Schon nach zehn Spielminuten, so heißt es, soll Jonas Boldt laut und ausfallend geworden sein. Seine Nachbarn auf der Tribüne versuchten ihn zu beruhigen, aber er wollte nicht damit aufhören, sich über Augsburgs Spieler mit der Nummer 21 aufzuregen, der seinerseits nicht damit aufhören wollte, den Spielern von Bayer Leverkusen Schmerz und Leid zuzufügen. Man erinnerte Boldt daran, dass er vor dem Spiel noch davon gesprochen hatte, die Nummer 21 zur nächsten Saison nach Leverkusen zu lotsen, doch darüber wollte der Bayer-Manager in diesem Moment nichts mehr wissen. Der Schiedsrichter müsse endlich durchgreifen gegen diesen Dominik Kohr, forderte er unter Flüchen.

Kohr, 23, gehört der Sorte von Fußballern an, die man nicht mag, wenn sie gegen die eigene Mannschaft spielen, die man aber besonders schätzt, wenn man sie auf seiner Seite weiß. In den vergangenen drei Jahren hat der Mittelfeldspieler in 97 Pflichtpartien für den FC Augsburg 40 gelbe Karten gesehen, eine weitere Verwarnung führte zu einem Feldverweis. Mit dieser Quote macht er historischen Serientätern wie Stefan Effenberg, David Jarolim und Bernd Hollerbach Konkurrenz, aber es ist auch nicht so, dass sich Bayer Leverkusen darüber beschweren sollte, denn beim rheinischen Konzernklub hat Kohr, Sohn des ehemaligen Kaiserslauterer Torjägers Harald Kohr, seine Ausbildung erhalten.

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Schon als 14-Jähriger kam er zum Verein, knapp 20-jährig wechselte er nach Augsburg. Nun hat ihn Bayer dank einer Klausel im Transfervertrag für bescheidene 2,3 Millionen Euro zurückgeholt und dies sicherlich nicht mit der Absicht, ihm die harte Spielweise abzugewöhnen. Zur Saison-Premiere am Freitag beim FC Bayern wird der zupackende Zweikämpfer seinen Platz in der Startelf haben.

Viele Abgänge und ein neuer Trainer

Außer Kohr hat Bayer im Sommer den Verteidiger Ramalho und den Nachwuchsspieler Marlon Frey in den Kader aufgenommen, deren Leihverträge in Mainz und Kaiserslautern ausgelaufen waren. Einziger Neuling im Haus ist Sven Bender, dessen Erwerb weniger auf Scouting-Expertisen und Datenanalysen zurückgeht als auf die ständigen Empfehlungen durch seinen Zwillingsbruder Lars. Für Leverkusener Verhältnisse fällt damit die Transferbilanz recht genügsam aus, zumal da auf der Seite der Verluste lauter bekannte Namen stehen: Abwehrchef Ömer Toprak, Regisseur Hakan Calhanoglu und Torjäger Javier "Chicharito" Hernandez verließen den Verein. Auch Kevin Kampl hatte bereits die Freigabe für den Wechsel nach China, der Transfer scheiterte an Formalitäten.

Und dann der neue Trainer: Bei Bayer diskutierte man über Lucien Favre und Thomas Tuchel, präsentiert wurde schließlich Heiko Herrlich, der zuletzt Jahn Regensburg in der dritten Liga betreut hatte. Man könnte von einer Art Schrumpfkur sprechen, die sich der gewohnheitsmäßige Europacupteilnehmer verordnet hat, selbstredend mit dem Ziel, im kommenden Jahr wieder in den internationalen Fußball zurückzukehren. Ein Platz unter den ersten sechs sei "ein realistisches Ziel, da gehört Bayer auch hin", hat Angreifer Kevin Volland vor der Abreise nach München die amtliche Sprachregelung korrekt wiedergegeben. Nach der von Erschütterungen geprägten Vorsaison kam man bei Bayer zu der Erkenntnis, dass es der Mannschaft nicht an Talent, aber an innerer Balance und charakterlicher Verlässlichkeit gefehlt hatte.

Zu viele Spieler gingen unter der nachlassenden Aufsicht von Herrlichs Vorgänger Roger Schmidt ihren persönlichen Neigungen nach; der ersatzlose Verkauf des Mittelstürmers Chicharito ist eine der Reaktionen auf diese Erscheinungen. Das reduzierte Transfergeschäft ist somit kein Eingeständnis des Rückzugs, sondern der Versuch der Reform an den immer noch reichlichen Kapazitäten.

Ein herrlicher Streich

Auch Herrlich ist bei Bayer ein Rückkehrer. Er kam 1989 als 17-jährige Sturm-Begabung nach Leverkusen und machte dort zunächst eine traumatische Erfahrung. Als er sich im Trainingslager die Zähne putzen wollte, stellte er fest, dass jemand die Borsten seiner Zahnbürste abgeschnitten hatte. Heulend klagte er dem Trainer Jürgen Gelsdorf, dass ihn seine neuen Mitspieler nicht mochten, doch der Coach konnte ihn beruhigen. Herrlich war lediglich einem Streich des vollbärtigen Physiotherapeuten Dieter Trzolek zum Opfer gefallen.

Der "Geist von Bayer" sei der gleiche wie damals, hat Herrlich nun gesagt, nachdem er die ersten sechs Wochen bei seinem alten Verein absolviert hat. Er hat damit nicht auf den geheimnisvollen medizinischen Betreuer Trzolek anspielen wollen, der stets den Beinamen "Druide" trug, sondern auf die Ambitionen und die angeblich "großen Ziele" des Klubs. Noch wohler würde er sich in der vormaligen Heimat allerdings fühlen, wenn ihm die Klubführung den Wunsch nach einem neuen Torjäger erfüllt hätte. Für Stefan Kießling, 33, hat Heiko Herrlich in dessen letztem Jahr nur noch bedingt Verwendung, ein Umstand, der dem Betroffenen dieser Tage in einer Art Spitzengespräch erläutert werden musste, das Sportchef Rudi Völler als "total offenen Austausch" bezeichnete. Damit wurde zwar (vorerst) ein Unruheherd befriedet, aber nicht die Lücke im Sturmzentrum gefüllt.

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