Bayer Leverkusen:100 000 Euro für jeden fünften Treffer

Bayer Leverkusen: Javier Hernández, genannt, Chicharito, schießt in der Champions League gegen AS Monaco am Tor vorbei.

Javier Hernández, genannt, Chicharito, schießt in der Champions League gegen AS Monaco am Tor vorbei.

(Foto: Martin Meissner/AP)
  • Trotz seines wahnwitzigen Elfer-Fehlschusses darf der zuletzt erfolglose Chicharito weiter für Leverkusen stürmen.
  • Erklärt eine exklusive Sonderprämie seinen Egoismus?

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Mitte der zweiten Halbzeit der Champions-League-Partie gegen AS Monaco ergab sich für Bayer Leverkusen eine Kontergelegenheit, wie man sie schöner nicht malen könnte. Die Monegassen waren mehrheitlich aufgerückt und hatten ihre Deckung weit geöffnet, als Javier "Chicharito" Hernandez in der gegnerischen Hälfte an den Ball kam. Rechts von ihm startete Stefan Kießling zum Lauf in die Tiefe, bereit, im freien Raum den Ball zu empfangen. Doch Chicharito spielte nicht den einfachen kurzen Steilpass, den er hätte spielen müssen. Stattdessen spielte er den umständlichen langen Querpass auf die andere Seite, um sich anschließend selbst zum Steilpass anzubieten, und so endete der Konter nicht mit der dringend fälligen Torchance für Bayer 04, sondern mit einem verlorenen Zweikampf.

Dass sich darüber niemand so richtig aufregte, lag einerseits daran, dass die Partie für das Weltgeschehen von geringer Bedeutung war und es ohnehin schon 2:0 stand; sowie andererseits daran, dass man so etwas ja längst kennt von Senor Chicharito, der die Torejagd zum alleinseligmachenden Inhalt seines Berufslebens gemacht hat und daher jederzeit imstande ist, die freistehenden Kollegen links und rechts zu ignorieren, wenn er selbst irgendwie zum Schuss kommen könnte.

100.000 Euro Sonderzahlung für jeden fünften Treffer?

Nicht bewiesen ist, dass dies an einer möglichen Torprämie liegt, die sich Chicharito, so berichtet es zumindest der Spiegel in der aktuellen Dokumentation der "Football Leaks", in seinen Vertrag bei Bayer habe schreiben lassen: Nach jedem fünften Pflichtspieltor einer Spielzeit soll der Spieler laut Spiegel eine Sonderzahlung von 100.000 Euro erhalten. Eine durchaus lukrative Erbsenzählerei wäre das: In der Saison 2015/16 sei Chicharito, übersetzt "die kleine Erbse", zusätzlich zu seinen sechs Millionen garantiertem Gehalt somit bei 26 Treffern wettbewerbsübergreifend auf 500.000 Euro extra gekommen, in dieser Saison steht sein Bonus derzeit bei 100.000 Euro für insgesamt sieben Treffer.

Eine Fußballmannschaft akzeptiert einen Egoisten in ihren Reihen, solange die Mannschaft von dessen speziellen Taten profitiert; andernfalls wendet sich die Gemeinschaft irgendwann gegen ihn. Insofern ist Chicharito zu empfehlen, seiner Schaffenskrise ein Ende zu setzen, am besten gleich am Sonntag im Auswärtsspiel bei Schalke 04. Seit bald 1000 Einsatzminuten hat der 28 Jahre alte Mexikaner keinen Treffer mehr bejubeln dürfen, am 1. Oktober hat er gegen Borussia Dortmund sein bisher letztes Tor erzielt. Eine Ewigkeit für einen Mann, der sich von seinen Toren ernährt und dafür gut bezahlt wird (sechs Millionen Euro beträgt das Jahreseinkommen).

Selbst die einfachsten Handgriffe entgleiten ihm. Der Elfmeter, den er am vorigen Samstag gegen Freiburg verschoss, war laut Bild der schlechteste Elfmeter der Menschheitsgeschichte. Jeder weiß, dass Bild zu übertreiben pflegt - in diesem Fall aber bloß ein bisschen. "Verknallerbse" nannte ihn der Express in Anspielung auf die Übersetzung seines Spitznamens.

Chicharito leidet an der Torjägerkrankheit

Auf Schalke bekommt Chicharito wahrscheinlich die nächste Chance auf Bewährung, obwohl er im jüngsten Einsatz erneut die Erwartungen enttäuschte. Wegen der Verletzungen von Admir Mehmedi und Kevin Volland fehlen Bayer-Trainer Roger Schmidt jedoch die Optionen im Angriff. Am Mittwoch bildete Chicharito ein Sturmduo mit Stefan Kießling, 32; eine Kombination, die sich durch ihre Gegensätze sinnvoll ergänzt. Auch diesmal stimmte das Rezept der Aufgabenteilung: Kießling bestritt die Zweikämpfe um die hohen Bälle und beschäftigte die gegnerische Deckung; Chicharito machte Gebrauch von den Freiheiten, die ihm sein arbeitswütiger Nebenmann verschaffte. Nur ein Tor wollte ihm halt nicht glücken.

Zweifellos ist Chicharito von einer Laune der Natur (oder für Gläubige: vom lieben Fußballgott) mit den Gaben des Torjägers versehen worden. Zum Torjäger gehört aber auch die Torjägerkrankheit, von dieser ist noch keiner der großen Mittelstürmer der Fußballgeschichte verschont worden. Bayer-Sportchef Rudi Völler, einst selbst ein begnadeter Torfabrikant, kannte daher gleich den Befund, als er diese Szene in der siebten Minute der Partie gegen Monaco sah, in der Chicharito von Julian Brandt perfekt freigespielt wurde - und dann den monegassischen Torwart anschoss, anstatt ins quasi leere Tor zu treffen. "Das sind diese klassischen Dinge, das habe ich früher auch gehabt", sagt Völler, "wenn es läuft, dann geht der Ball dem Torwart an den Knöchel, aber irgendwie doch noch über die Linie." Wenn es nicht läuft, so wie derzeit bei Chicharito, dann wehrt der Torwart ab und weiß selbst nicht wieso. "Die Leichtigkeit fehlt", meint Völler, aber die werde gleich mit dem nächsten Erfolgserlebnis wiederkommen.

Abwerbe-Versuche sind nicht mehr zu erwarten

Allerdings hat sich auch der Eindruck ergeben, dass der mexikanische Star in Leverkusen nicht mehr ganz so große Begeisterung hervorruft wie vor einem Jahr, als er noch der Neuzugang von Manchester United war. Dort hatte ihm Louis van Gaal auf seine typisch liebenswerte Art die Meinung gesagt. Die Chance auf einen Einsatz bei United liege bei "weniger als einem Prozent", hatte der holländische Trainer dem Angreifer mitgeteilt. Chicharito ergriff die Flucht nach Leverkusen, die Ablöse betrug circa zwölf Millionen Euro, für englische Verhältnisse ein Sonderangebotspreis. Doch schon bald hieß es am Rhein, dass Chicharito auch aus Leverkusen zügig verschwinden werde. Nicht weil ihn der Trainer missachtete, sondern wegen des enormen Erfolgs. Angeblich lockten große Adressen in der Premier League. Mitarbeiter des Vereins äußerten Sorgen, dass er nicht mal mehr während der Rückrunde für Bayer spielen werde. Weil ein Mann seiner Klasse für Bayer nicht zu halten sei.

Doch Chicharito ist dem Verein erhalten geblieben. Und derzeit, so viel steht fest, muss Bayer Abwerbungen der Konkurrenz nicht befürchten. Die Frage ist, ob das ein Grund zur Freude ist.

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