Bayer Leverkusen:Drei Lose mit Gewinnchancen

Bayer Leverkusen - 1. FC Union Berlin

Kopfball Richtung Halbfinale: Charles Aranguiz (r.) feiert mit Mitchell Weiser seinen Treffer zur 2:1-Führung gegen Union Berlin.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Bayer Leverkusen hat noch in allen Wettbewerben gute Aussichten - seit Mittwoch insbesondere im DFB-Pokal.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Um 19.55 Uhr hatte nichts darauf hingedeutet, dass Karim Bellarabi eine halbe Stunde später als "Man of the Match" ausgezeichnet würde. Bis zur 69. Minute hatte der Spieler des Spiels nämlich gar nicht am Spiel teilgenommen, sondern hinter dem Tor Dehnübungen vorgeführt. Aus dieser Ersatzspieler-Perspektive heraus beobachten zu müssen, wie die Kollegen keinen vernünftigen Ball aufs gegnerische Tor bringen und bei einem 0:1-Rückstand daheim gegen Union Berlin den Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals zu vergeigen drohen, war für den Stürmer offenbar schwer erträglich. Eine halbe Stunde später jammerte er allerdings nicht, sondern formulierte lächelnd, dass ihn die Auszeichnung mit Stolz erfülle.

Nach 68 Spielminuten hatte Unions Torwart Rafal Gikiewicz noch berechtigte Hoffnungen besessen, dass seine Mannschaft mit dem vierten Sieg im vierten Auswärtsspiel dieser Pokalsaison ins Halbfinale einziehen könnte und im Frühjahr vielleicht sogar ins Finale, das zwar im Stadion des Erzrivalen Hertha BSC ausgetragen wird, aber immerhin in Berlin. Union führte in Leverkusen durch ein Tor von Marcus Ingvartsen mit 1:0 und verwehrte den dominanten Gastgebern relevante Einschussmöglichkeiten. 20 Minuten vor dem Ende jedoch drehte sich die Partie, weil der Berliner Christopher Lenz binnen zehn Minuten zwei gelbwürdige Fouls begangen hatte, weil er also in der 71. Minute des Feldes verwiesen wurde und weil der frisch eingewechselte Leverkusener Bellarabi in der 72. Minute über jene Seite, auf der Lenz verteidigt hätte, das 1:1 erzielte.

"Wenn ich schon Gelb habe, darf ich doch da nicht so hingehen", tadelte Gikiewicz später das Foul seines Vordermanns. Aber noch mehr geriet der Torwart über das 1:2 in der 86. Minute in Rage, das der nur 1,71 Meter große Leverkusener Charles Aranguiz aus zehn Metern per Kopf erzielte. Dies bedeutete für Gikiewicz die vollendete Demütigung. "Wir bekommen Tore wie ein Kindergarten", schimpfte der Pole, "solche Tore sind ein Skandal."

Dies ist freilich seit Längerem der erste Skandal im deutschen Fußball, der es nicht in die "Tagesschau" geschafft hat. Die Berliner betrauerten die verpasste Chance, ihren Verein erstmals seit 2001 ins Pokalfinale zu führen. Der Mittelfeldspieler Robert Andrich, der zuvor zu jedem der drei Pokalauswärtssiege in dieser Saison einen Treffer beigesteuert hatte, ging diesmal leer aus. Vor dem Spiel hatte er berichtet, dass er an Unions Finalteilnahme vor 19 Jahren keinerlei Erinnerung besitze, weil er erst sechs Jahre alt gewesen sei. Zwei Jahre später ist er damals von seinem Heimatklub Turbine Potsdam zu Hertha BSC gewechselt. Heute sagen Union-Fans, dass aus dem Jungen trotzdem etwas geworden sei. Andrich und seine Kollegen trösten sich über das Pokalaus immerhin mit dem wahrscheinlichen Klassenerhalt in der Bundesliga hinweg.

Leverkusen fürchtet nun auch nicht den FC Bayern

Auf Trostspenden verzichten können in dieser Saison bislang die Leverkusener. Sie sind im Dezember zwar aus der Champions League ausgeschieden, aber weil sie dafür an der Europa League teilnehmen dürfen, spielen sie weiterhin in drei Wettbewerben: Bundesliga, Europapokal und DFB-Pokal. Drei Wettbewerbe sind für die Rheinländer, die seit 27 Jahren keinen Titel mehr geholt haben, drei Lose mit Gewinnchancen. Gegen welche Kontrahenten dies im DFB-Pokal nun wohl am besten gelingen könne, ist der Abwehrchef Sven Bender gefragt worden, und er hat in seiner Antwort nicht über den Viertligisten 1. FC Saarbrücken und auch nicht über Eintracht Frankfurt gesprochen, sondern nur über den FC Bayern. "Wenn man den Pokal holen will", sagte Bender, "dann geht das nur über die Bayern, und weil man sie also sowieso irgendwann schlagen muss, wäre mir eigentlich egal, wenn wir sie schon im Halbfinale bekämen."

Vorteil eines Halbfinals gegen die Bayern könnte ein möglicher Heimvorteil sein. Dann könnten die Leverkusener auch darauf vertrauen, dass ihre Bayarena ausverkauft wäre. Am Mittwoch gegen Union war sie das nicht annähernd. Die Tribünen waren nur gut zur Hälfte besetzt, aber mehr als über dieses maue Interesse wurde hernach darüber diskutiert, dass die Fans beider Lager ab der 15. Minute schwiegen, weil auf der Haupttribüne ein Notarzteinsatz erforderlich wurde. Eine halbe Stunde lang war es im Stadion daraufhin so still wie bei einem Geisterspiel. Die Fußballer berichteten hinterher, sie seien zwar irritiert gewesen ob der plötzlichen Stille, in der Pause sei dies gleichwohl kein Kabinenthema gewesen. Erst nach dem Spiel wurde ihnen berichtet, dass auf der Tribüne ein Notarzt erfolgreich um das Leben eines Zuschauers gekämpft hätte. Vor diesem Hintergrund lobten alle Beteiligten die Arbeit der Rettungskräfte ebenso wie die Pietät der Fans. Und Leverkusens Trainer Peter Bosz beschloss den Abend mit den weisen Worten: "Es gibt Wichtigeres als Fußball."

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