Bayer Leverkusen:Weniger Taktik wagen

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Binnenverhältnis auf dem Prüftand: Seoane mit der Leverkusener Mannschaft. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Nach vier Niederlagen in den ersten vier Pflichtspielen steht in Leverkusen das Binnenverhältnis zwischen Trainer und Team auf dem Prüfstand. Gerardo Seoane ist als Krisenmanager gefragt.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Bevor die Wupper in den Rhein fließt, nimmt sie noch das Wasser der Dhünn auf, weshalb sich am Dienstagvormittag beinahe eine beliebte Redewendung erfüllt hätte: Fast wären einige sündteure Trainingsbälle von Bayer Leverkusen über die Wupper gegangen. Mit der Treffsicherheit der Bundesliga-Profis war es in der rund einstündigen Session nicht zum Besten bestellt, der hohe Zaun hinter dem Tor war mehrmals nicht hoch genug - die in der Nachbarschaft träge perlende Dhünn allerdings ein Stück zu weit entfernt, um die verirrten Bälle aufzufangen.

Gerardo Seoane, 43, ließ sich zwar nichts anmerken, aber als Verteidiger Tapsoba im Trainingsspiel sogar einen Elfmeter um zwei Meter am Ziel vorbeisetzte, dürfte sich der Coach seinen Teil gedacht haben. 4:10 lautet die Leverkusener Torbilanz nach einem Pokalspiel - im saarländischen Elversberg - und drei Ligaspielen, da stellt sich die Frage, wo die Probleme gerade besonders drücken.

Manchester Uniteds Sieg soll als Vorbild dienen

Ein wenig Trost fand Seoane abends zuvor beim Fernsehen. Er sah den Sieg von Manchester United gegen den FC Liverpool und darin "ein schönes Beispiel" für die Aufsteh-Qualitäten eines Teams, das bisher nicht gewinnen konnte. Durch den Fernsehapparat habe er "diese Energie gespürt", schwärmte Seoane und fügte die Prophezeiung an, dass Patrik Schick bei nächster Gelegenheit ähnliche Extrakräfte "auf den Platz bringen" werde. Letzteres sagte der Coach allerdings bloß deshalb, weil Schick zufällig gerade des Weges kam. Der tschechische Mittelstürmer, des Deutschen noch nicht so mächtig, schaute ein wenig verdutzt, als er seinen Namen hörte, und Seoane gelobte, ihm später am Telefon zu erklären, was er den Reportern beim Dienstagsbriefing erzählt hatte. Schicks zuletzt erkennbar angegriffenes Torjäger-Gemüt soll durch einen womöglich missverstandenen Trainer-Scherz nicht noch weiter verunsichert werden.

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Dass der Angreifer womöglich Extra-Druck verspürte, weil ihn sämtliche Wettbüros als Top-Anwärter auf die Torjägerkanone der Liga ausriefen, das wies Seoane zurück: "Die These vom Schützenkönig belastet ihn sicherlich nicht, weil Patrick in erster Line ans Team denkt." Nun ja. So viel Selbstlosigkeit würde Schick von circa 98 Prozent der Torjäger der Fußballgeschichte unterscheiden.

Das Binnenverhältnis zwischen Trainer und Team steht nach dem kapitalen Fehlstart mit vier Niederlagen hintereinander logischerweise auf dem Prüfstand. Seoane weiß aus seiner eigenen Zeit als Profifußballer - unter anderem bei den Zürcher Grasshoppers und beim FC Luzern -, dass die Spieler jetzt die Zuversicht des Trainers spüren müssten. Der Versuch, seine Zuversicht in eine öffentliche Botschaft zu übertragen, führt allerdings erstmal in die Floskel: Beim nächsten Auftritt, am Samstag in Mainz, werde Bayer "ein ganz anderes Gesicht zeigen", erklärte Seoane.

Im Sommer waren die Chefs mit Trainer und Team sehr zufrieden

Er weiß selbst, dass solche Phrasen unter seinem Niveau sind. Aber in der aktuellen Not ist seiner Ansicht nach eine Portion Vereinfachung gefragt. Gegen Mainz 05 sei das Gefühl für Kampf und Einsatz "wichtiger als Taktik", meint der schweizerische Fußball-Lehrer, der üblicherweise den theoretischen Part seiner Aufgabe sehr zu schätzen weiß.

Im Sommer, bevor alles wieder von vorn losging, waren die Chefs von Bayer 04 nicht nur mit ihrer aus aller Welt zusammengestellten Mannschaft, sondern auch mit ihrem intelligenten, polyglotten Trainer sehr zufrieden. Die Geschäftsführer Simon Rolfes und Fernando Carro hatten am Wochenende nach dem 0:3 gegen die TSG Hoffenheim sowohl pflicht- als auch wahrheitsgemäß erklärt, es gebe keine Zweifel an Seoane und dessen Krisenmanagement. Das Ansehen des Trainers ist hoch.

Doch Bayer 04 hat mit Hilfe der Bayer AG ins Team investiert und stellt besonders in Person des ehrgeizigen Managers Carro Erfolgsansprüche. Nach dem sperrigen Gegner Mainz 05 kommt im nächsten Match der sperrige Gegner SC Freiburg in die Bay-Arena. So ist aber nun mal der Spielplan. "Vom Reden ins Tun kommen", lautet Gerardo Seoanes pädagogische Losung für die aktuellen Krisentage. Lieber mal drüber schießen als gar nicht schießen.

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