Hätte Schiedsrichter Harm Osmers genau hingesehen, hätte Martin Terrier das Unglück nicht erlitten. Der Lauf des Spiels und der Lauf der Dinge wäre ein anderer gewesen, Terrier hätte diesen einen unseligen Schritt nicht gemacht, der ihn jetzt für viele Monate in den Krankenstand befördert. Doch Osmers übersah, dass Borussia Mönchengladbachs Torwart Moritz Nicolas noch mit den Fingerspitzen den Ball berührt hatte, er hätte Ecke statt Abstoß geben müssen. Dann wäre alles anders gekommen.
Bayer Leverkusens französischer Angreifer braucht sich mit solchen konjunktivischen Spitzfindigkeiten nicht aufzuhalten. Unglück bleibt Unglück. Terrier hatte beim Abstoß des Gladbacher Torwarts einen ganz gewöhnlichen Schritt nach vorn gemacht, kein Gegner in Reichweite, doch irgendwie blieb er ein wenig im Rasen hängen, und damit war es schon geschehen. Er ging zu Boden und zeigte sofort an: aus, vorbei. Verdacht nach Schnelldiagnose: Achillessehnenriss. „Ich hoffe, dass es nicht das ist, was wir ahnen, was er auch gespürt hat“, sagte später am Abend Mitspieler Granit Xhaka, doch bei allen Beteiligten herrschte begründete Skepsis. In der Nacht auf Sonntag setzte Terrier sein Instagram-Profilbild auf Schwarz. Das MRT bestätigte am Vormittag den vermuteten Riss der rechten Achillessehne. Die Saison ist für Martin Terrier beendet.
Der 27 Jahre alte Linksaußen, zu Saisonbeginn von Stade Rennes gekommen, hat sich bisher beim deutschen Meister noch nicht unentbehrlich gemacht, und auch ohne ihn gewann Bayer Leverkusen am Samstagabend nach einem durchweg überlegenen Auftritt 3:1 gegen Borussia Mönchengladbach. Aber die Wirkung von Terriers Unfall reichte nicht nur für den allseits bedauerten Betroffenen über den Abend hinaus. Auch wenn Terrier bisher nicht ständig zum Einsatz kam, so war er doch ein verlässlicher Mitspieler und eine versierte Ergänzung im Kader, zudem zeigte die Tendenz seiner Eingewöhnung aufwärts. Nach dem Überstehen zweier kleinerer Verletzungen im Herbst sei Terrier zuletzt „sehr motiviert“ gewesen, sagte Trainer Xabi Alonso, der allmählich in Besetzungsprobleme gerät.
„Ich schließe nie die Tür für Verstärkungen, wir müssen das checken“, sagte Trainer Alonso
Terrier ist nach Amine Adli – wegen eines Wadenbeinbruchs seit Oktober außer Dienst – und Victor Boniface (seit Mitte November abwesend) der dritte gewichtige Ausfall in der Offensive. Vorerst lässt sich das Bayer-Ensemble keine Not anmerken, der Erfolg gegen die Borussia war der elfte Pflichtspielsieg hintereinander, doch das liegt vor allem daran, dass die Leverkusener Bundesligaspiele inzwischen im Rahmen von Florian Wirtz’ persönlichem Soloprogramm stattfinden. Am Samstagabend schoss Wirtz im Alleingang das 1:0 und mit einem Elfmeter das 2:0, und am 3:0 durch Patrik Schick hatte er als Vorlagengeber auch seinen Anteil. Selbst Alonso kam trotz der gebotenen pädagogischen Zurückhaltung nicht daran vorbei, die Wahrheit auszusprechen: Der 21 Jahre alte Wirtz sei „ein genialer Spieler“, stellte der spanische Coach ein Gutachten aus, an dessen Expertise niemand zu zweifeln braucht.
Andererseits weiß Alonso selbstverständlich, dass die Akkordarbeit, die der Spielplan auferlegt, eine arge Zumutung für Florian Wirtz und Bayer 04 darstellt. Schon am Dienstag tritt sein Team in der Champions League bei Atlético Madrid an, und dann geht es in einem garantiert superintensiven, endspielartigen Duell darum, einen Platz unter den ersten Acht der Tabelle zu sichern, um direkt ins Achtelfinale einzuziehen und die Wohltat von zwei freien Europacup-Spieltagen im Februar genießen zu dürfen. So weit ist es gekommen im Fließband-Fußball: Teams müssen Spiele gewinnen, um sich Spiele vom Leib zu halten.
Es ist nicht Alonsos Art, den Klub öffentlich um Verstärkungen zu ersuchen, doch diesmal gab er zumindest auf Anfrage Wünsche zu erkennen. „Ich schließe nie die Tür für Verstärkungen, wir müssen das checken“, sagte er am Samstagabend, als er noch einen Rest Hoffnung auf Entwarnung im Fall Terrier hatte. Beratungen, was in der laufenden Transferperiode noch möglich ist, werden nun folgen. Allzu groß ist der Leverkusener Kader nicht, am Samstag saßen bloß noch zwei Offensivspieler auf der Bank: Jonas Hofmann, 32, der partout nicht in die Saison findet, und Nachwuchsmittelstürmer Artem Stepanov, 17. Auch wenn sich Alonso in der Offensive immer wieder zu behelfen weiß, indem er die geübten Rollenbilder von Spielern wie Jeremy Frimpong oder Exequiel Palacios zweckmäßig zurechtschneidet, drohen bei der hohen Betriebsfrequenz in drei Wettbewerben Nachschubprobleme.
In den nächsten Tagen steht zwar die Rückkehr von Victor Boniface bevor, doch ergänzt er die Optionen nur bedingt. Entweder spielt Boniface, oder es spielt Schick, so hieß es bisher, gemeinsame Auftritte sind nicht vorgekommen. Genau besehen fordert Boniface’ Comeback sogar den Betriebsfrieden heraus, denn Schick, der in den ersten Monaten der Saison das Nachsehen im Zweikampf der Torjäger hatte, hat in Abwesenheit des Konkurrenten wieder in seinen besten Modus gefunden, zwölf Treffer zählt er in der Liga. Mit Wirtz versteht er sich so ausgezeichnet, dass sie am Samstag einen Vereinsrekord aufstellten: Insgesamt 17 Tore hat Wirtz dem tschechischen Mittelstürmer vorgelegt, bisher hielt das Duo Gonzalo Castro und Stefan Kießling die Bestmarke bei Bayer.