Bayer-Coach Labbadia:"Ein Weiter-so kann es nicht geben"

Bayer-Trainer Labbadia über Leverkusener Trott, fehlende Rückendeckung - und seinen möglichen Abschied.

Andreas Burkert und Philipp Selldorf

SZ: Herr Labbadia, Sie sagen, dass Sie genau wissen, was es für Klub und Spieler bedeutet, den DFB-Pokal zu gewinnen. Ihren ersten Titel als Profi feierten Sie 1990 mit Kaiserslautern - nach einem Pokalsieg gegen Werder Bremen. Also: Was bedeutet ein Pokalsieg?

Bayer-Coach Labbadia: Bruno Labbadia: "Vielleicht bin ich zu forsch rangegangen, als ich gesagt habe, was ich denke."

Bruno Labbadia: "Vielleicht bin ich zu forsch rangegangen, als ich gesagt habe, was ich denke."

(Foto: Foto: Getty)

Bruno Labbadia: Wir waren damals beim FCK, ich sag es mal spaßig, eine Krattlermannschaft. Wir hatten eine gute Harmonie, aber wir wären fast abgestiegen. Ständig hieß es in der Liga nur: Wenn wir einen Punkt mitnehmen, wäre das klasse - und plötzlich gewinnen wir das Pokalfinale! Das war ein Startsignal: Für den Klub, der bis dahin vor sich hingedümpelt ist, und für die Mannschaft. Im Jahr darauf sind wir, mit nur einer entscheidenden Verstärkung - Miro Kadlec- Meister geworden. Das zeigt, wie wichtig es ist, aus eigenem Erleben zu lernen, dass man Erfolg haben kann. Dieser Glaube macht Sieger aus.

SZ: Dieser Glaube an den großen Sieg ist in Leverkusen weniger verwurzelt. Eher wird der Glaube daran vererbt, dass man Zweiter werden kann.

Labbadia: Vielleicht bin ich zu forsch rangegangen, als ich gesagt habe, was ich denke: Dass wir aus dem Trott rauskommen müssen! Aber genau deswegen wurde ich geholt. Ich habe mich vor einem Jahr auch deshalb für Bayer Leverkusen entschieden, weil ich das Gefühl hatte, alle wollen genau diesen Weg mitgehen. Ich hatte in den Gesprächen darauf hingewiesen, dass wir raus müssen aus der Komfortzone. Aber letztlich bin ich damit angeeckt. Von Ansprüchen wie beim FCChelsea war die Rede. Schließlich sei vorher nicht alles schlecht gewesen - das aber habe ich nie gesagt, und ich empfand es auch nicht so.

SZ: Liegt in diesen Gegensätzen der Grund für den dramatischen sportlichen Niedergang nach der Winterpause?

Labbadia: Im Winter waren wir auf dem richtigen Weg. Funktions- und Trainer-Team und die Mannschaft sind noch enger zusammen gerückt. Die Mannschaft war bereit, richtig hart zu arbeiten, um ihre Grenzen zu überwinden. Das war der erhoffte Schritt. Für die Spieler war es sicher nicht leicht, sich auf unsere Anforderungen und unser Training einzustellen. Der Glaube an sich selbst und die eigene Erwartungshaltung sind aber dadurch gewachsen. Doch im Februar kamen dann ein paar Niederlagen, die uns auf Talfahrt geschickt haben. Diese haben wir vorerst nicht stoppen können. Und es wäre blödsinnig zu sagen, ich hätte alles richtig gemacht. Wir sind extrem vom Weg abgekommen, der Kritik muss und will ich mich stellen.

SZ: Hat die Aussicht aufs Erreichen des Pokalfinales die Mannschaft abgelenkt? Nach dem 4:2 gegen die Bayern waren die Halbfinal-Chancen mit dem Heimspiel-Los Mainz 05 gut.

Labbadia: Mag sein, dass es im Hinterkopf eine Rolle gespielt hat, bewusst war das aber sicher nicht. Die Mannschaft hat noch nicht die mentale Stabilität. Bei der Teamstruktur mit den vielen jungen Spielern, die ich gut finde, muss jedes Rädchen passen. Sonst funktioniert es nicht. Die Routine und Reife, dies zu kompensieren, kann die Mannschaft noch nicht haben. Ich hatte mir noch im Sommer den einen und anderen Achsenspieler gewünscht, um die Entwicklung der anderen jungen Spieler zu fördern.

SZ: Die Atmosphäre vor diesem Endspiel ist nicht von Vorfreude geprägt. Im Vordergrund steht eine Trainerdebatte mit unschönen Gerüchten über Sie: Dass Sie vor der Entlassung stünden, womöglich schon vor dem Endspiel, spätestens aber danach - oder dass Sie nach Kaiserslautern abwandern wollten.

Labbadia: Ich bin ein emotionaler Mensch, aber als Trainer muss man rational sein und seine Gefühle im Griff haben. Ich lasse mir von niemandem diese Freude auf Berlin verderben. Meine ganze Konzentration ist auf das Finale gerichtet. Das bin ich Fans, Verein, Team und auch mir schuldig. Ich habe sehr genau registriert, was sich in den vergangenen Monaten zusammen gebraut hat und die Mannschaft auch darauf vorbereitet, dass diese Kampagne nicht aufhören wird, weil zu viele an der Fortsetzung ein Interesse haben. Aber genau in diesen Phasen ist Professionalität gefordert.

"Jeder kann zu mir kommen"

SZ: Wie erklären Sie sich diese, wie Sie sagen, Kampagne?

Bayer-Coach Labbadia: Coach Labbdia: "Ich dachte, ich hätte Rückendeckung."

Coach Labbdia: "Ich dachte, ich hätte Rückendeckung."

(Foto: Foto: Getty)

Labbadia: Von Anfang an war die Zusammenarbeit nicht spannungsfrei. Sicher dachten einige: Da kommt jetzt einer von draußen und weiß alles besser. Und so wurde bei jeder Niederlage die Arbeit in Frage gestellt. Als Wolfgang Holzhäuser, Rudi Völler, Manager Michael Reschke und ich erstmals zusammensaßen, wurde jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass der Klub Veränderungen und eine neue Mentalität in der Mannschaft will. Ich habe meine Linie dargelegt, Unterstützung verlangt - und zugesagt bekommen. Ich war überzeugt: Okay, du kannst alles offen ansprechen.

SZ: Aber das war nicht so?

Labbadia: Mir wird ja eine zu kritische Haltung zu vielen Dingen nachgesagt. Außerdem würde ich die Mannschaft nicht genug schätzen. Meine vordringliche Aufgabe ist es aber nicht, bester Freund der Spieler zu sein; ich muss Dinge einfordern können und es nicht jedem recht machen müssen. Zu oft verlangt man aber in Leverkusen, den Spielern Dinge zuzugestehen, damit sie sich wohlfühlen. Dabei muss man wissen, dass dies Folgen nach sich ziehen kann.

SZ: Ein Vorwurf lautete, Ihr Training und Ihre Ansprache seien zu hart.

Labbadia: Ich verlange sehr viel von den Spielern, das stimmt. Und ich spreche direkt an, was ich nicht für richtig halte. Aber für mich ist Kritik vor allem Feedback und durchaus etwas Positives. Und bei aller Härte und Intensität will ich auch, dass die Spieler wissen: Sie können wegen jeder privaten Kleinigkeit zu mir kommen und Hilfe erwarten.

SZ: Seit Wochen wird über atmosphärische Störungen zwischen Ihnen und weiten Teilen der Mannschaft berichtet, sogar Sportchef Rudi Völler spricht von Reibungen. Sind Spieler oder der Mannschaftsrat zu Ihnen gekommen, um über Probleme zu sprechen?

Labbadia: Im Gegenteil. Ich habe den Mannschaftsrat und Kapitän Simon Rolfes animiert, innerhalb der Mannschaft und mir gegenüber Themen anzusprechen. Da kam aber kaum etwas. Als dann später von Problemen der Spieler mit mir die Rede war, habe ich natürlich gefragt: ,Wo liegen sie? Die müssen auf den Tisch!‘ Aber diese wenigen Dinge, die kamen, waren eher weniger gravierend.

SZ:Nämlich?

Labbadia: Das sind Interna. Aber Einiges hat mich gerade angesichts meiner eigenen Erfahrungen als Spieler mit Trainern schon überrascht.

SZ: Was für Erfahrungen meinen Sie?

Labbadia: Allein der ganz normale Umgangston damals. Zudem wurde keinerlei Rücksicht aufs Privatleben genommen. Es spielte keine Rolle, wenn die Frau krank war oder das Kind eingeschult wurde. Glauben Sie, da hätte man frei bekommen? Daraus habe ich gelernt. Ich habe den Spielern gesagt: Arbeit und Privates trenne ich, wenn Ihr ein Problem habt, dann könnt Ihr sofort zu mir kommen. Und dies wurde auch genutzt. Schade, dass dies mittlerweile offenbar als selbstverständlich angesehen wird.

SZ:Ist das ein Problem der Mannschaft von Bayer 04 oder ein Problem der heutigen Spielergeneration?

Labbadia: Ich bin kein Freund davon, zu sagen, dass zu meiner Zeit alles besser war. Und es ist sicher auch kein Problem nur eines einzelnen Teams. Wichtig ist, dass ein Klub eine klare Linie fährt und nicht versucht ist, jedem alles nett einrichten zu wollen. Im Leben ist nicht alles nett. Wir haben hier ein sehr privilegiertes Leben, und es ist albern, darüber zu diskutieren, ob anderthalb statt eindreiviertel Stunden trainiert wird. Dadurch wird sicher keine Mannschaft kaputttrainiert.

SZ: Als sich Torwart René Adler über das klassische Leverkusener Phlegma beklagte, wurde er prompt von Rudi Völler gerügt.

Labbadia: Rudi hat seine Sicht und jedes Recht, diese zu kommunizieren. Ich hatte da eine etwas andere Haltung und René Adler darin bestärkt, Dinge klar anzusprechen - allerdings zunächst intern. Grundsätzlich gilt aber: Warum sollten wir einen Spieler in seiner Persönlichkeitsentwicklung stoppen?

SZ: Sie sind der Ansicht, dass Sie in Ihrer Arbeitsweise als Trainer vom Klub gebremst wurden?

Labbadia: Natürlich wünscht sich ein Trainer immer vorbehaltlos Rückendeckung für seinen Kurs. Ich dachte, die hätte ich auch. Ich bin sicher nicht bequem und natürlich muss man auch kompromissbereit sein, sich annähern. Aber ich denke nicht, dass die Klubverantwortlichen das tun müssen, was die Spieler wollen. Das funktioniert nicht. Das ist nicht meine Vorstellung von Trainerarbeit. So kann man nicht verändern.

SZ: Wer bremst? Rudi Völler?

Labbadia: Mit ihm habe ich ein gutes Zusammenspiel. Wir sind aber nicht immer einer Meinung, was interne Konsequenzen anbelangt.

SZ: Es heißt, dass Ihr Verhältnis zu Manager Michael Reschke zerstört sei.

Labbadia: Ich werde da nicht in Einzelheiten gehen. Fakt ist, dass wir eigentlich von Anfang an keine gemeinsame Arbeitsebene fanden. Mein Arbeitsstil ist es, professionell und kritisch Differenzen Auge in Auge direkt anzusprechen.

SZ: Reschke ist seit 30 Jahren bei Bayer 04. Geschäftsführer Holzhäuser beschreibt ihn als "die rechte und die linke Hand von Rudi Völler".

Labbadia: Schon deswegen muss man versuchen, professionell miteinander auszukommen.

SZ: Aber geht das in Zukunft noch?

Labbadia: Nach dem Finale wird es ein Gespräch zwischen Völler, Holzhäuser und mir geben. Nur wir drei. Wir werden alles klar analysieren. Sicher ist: Es müssen sich einige Voraussetzungen ändern. Ein Weiter-so kann es ja für beide Seiten nicht geben.

SZ: Es muss sich also etwas Gravierendes ändern in Leverkusen, ob mit oder ohne Pokalsieg - ist das Ihre Haltung?

Labbadia: So sehe ich das. Deswegen ist es auch wichtig, schon vor dem Spiel einiges anzusprechen und nicht auszuweichen. Ich will kein Netz und keinen doppelten Boden: Ich bin nur stark, wenn ich authentisch sein kann.

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