Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Ende des Experiments

Trainer Gerardo Seoane sollte Bayer 04 wieder furiosen Offensivfußball spielen lassen und die Bayern herausfordern. Nun lässt er seine Mannschaft auftreten wie einen Abstiegskandidaten, der keine Ahnung vom Abstiegskampf hat.

Kommentar von Milan Pavlovic

Wer sich im Sport demütigen lässt, muss auf den Spott nicht lange warten. Also skandierten die handgezählt 47 mitgereisten Fans der TSG Hoffenheim "Ohne Hoffe wär' hier gar nichts los", während die geschlagenen Spieler von Bayer Leverkusen vergeblich versuchten, sich in der Kurve ihren Fans zu erklären. Hoffenheim steht nun bei sechs Punkten vor Klubs wie Dortmund und Leipzig, Leverkusen ist Achtzehnter. Diese Viererwette hätte in Wettbüros astronomische Quoten gebracht.

Dabei sollte es doch eine aufregende Saison für Bayer Leverkusen werden. Die Verlängerung des Vertrags von Torjäger Patrik Schick und die Tatsache, dass auch Moussa Diaby und Teenager Florian Wirtz gehalten werden konnten, entfachte eine Überzeugungshaltung, wie es sie unter dem Bayer-Kreuz in der 43 Jahre währenden Erstliga-Zugehörigkeit wohl noch nie gegeben hat. Es wirkte fast wie ein Experiment, ähnlich wie in Leipzig und Dortmund: Kann vielleicht doch ein Bundesligist den FC Bayern triezen, wenn er seine starke Mannschaft zusammenhält und noch verstärkt?

Jetzt sieht es schon nach drei Partien schlecht aus mit dem Experiment - aber nirgendwo schlechter als in Leverkusen.

Der Trainer des Werksklubs, der Schweizer Gerardo Seoane, ist ein freundlicher und stets aufgeräumt auftretender Mann mit Faible fürs Offensive, auch deshalb wirkt er wie die Idealbesetzung für die Hauptrolle einer TV-Biografie seines Landsmanns Roger Federer. Vor der Saison, also vor drei Wochen, schien er auch als Bayern-Herausforderer glaubwürdig zu sein. Als Trainer weiß Seoane aus seinen Jahren in der Schweizer Liga nachweislich, wie man gewinnt. Aber weiß er auch, was man tun muss, wenn man in der Bundesliga verliert? Seine Maßnahmen gegen Hoffenheim wirkten rätselhaft, weil er auf Spieler setzte, die lieber heute als morgen verkauft werden sollen (Amiri, Paulinho) oder als nicht gut genug für die Startelf gelten (Demirbay, Bakker). Das hatte schon etwas Verzweifeltes.

Seine Spieler wirkten platt und verunsichert, es sah aus wie bei einem Klub im Abstiegskampf, der keine Ahnung von Abstiegskampf hat. Sinnbildlich war die Szene, in der der übertrieben umtriebige und gelinde gesagt glücklose Offensivspieler Azmoun einen Schuss von Schick kurz vor der Hoffenheimer Torlinie entschärfte. Bayer spielte wie unter Sedierung, abgearbeitet und furchtbar müde, es wirkte, als hätte das Team bereits 40 Partien in den Knochen - und nicht bloß vier, das Pokal-Aus bei einem Drittligisten inklusive.

Vor gut sechs Jahren verlor Leverkusen schon mal daheim 0:3 gegen Hoffenheim, es war der Anfang vom Ende von Roger Schmidt als Bayer-Trainer. Nicht viele Menschen haben damals getrauert, Schmitts Spielstil galt als eher destruktiv und förderte keine Sympathien. Das aber ist Leverkusens Schicksal: Der Klub muss nie einfach nur gewinnen, er muss schön gewinnen.

Gerade bei Bayer 04 wissen sie aus jahrzehntelanger Erfahrung, wie wichtig Spektakel ist, um den Ruf des Pillen- oder Plastikklubs loszuwerden - und um vielleicht mal ein bisschen cool zu sein. In der vergangenen Saison, als Bayer in der Liga 80 Tore erzielte, war der Werksklub mitunter richtig cool. Aber sobald die Mannschaft keinen begeisternden Fußball bietet, wird sie schnell verhöhnt als Möchtegern-Traditionsklub, dessen Tradition vor allem darin besteht, seit fast drei Jahrzehnten im entscheidenden Moment zu versagen. Und denen, die nicht witzeln, wird der Klub schnell einfach egal. Dann sitzt Leverkusen wieder in der Leverkusen-Falle.

Gut möglich allerdings, dass diese Saison für Bayer 04 noch ziemlich aufregend wird, aber aus ganz anderen Gründen als erwartet.

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