Bastian Schweinsteiger:Mourinho hat sich mit dem Falschen angelegt

Der ManUnited-Trainer hat Schweinsteigers Status offenbar unterschätzt - und ihn so ungewollt in den Heiligenstand erhoben. Kein Zweifel: In Chicago wird der Weltmeister alles daran setzen, "Großartiges zu schaffen".

Kommentar von Thomas Hummel

Hätte er vielleicht zu Inter Mailand wechseln sollen? Noch einmal die Knochen hinhalten für einen zweitklassigen europäischen Klub in einer Liga, die mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat? Oder kann sich jemand Bastian Schweinsteiger in China vorstellen? Der Millionen Renminbi wegen in ein Land ziehen, dessen Sprache er nicht kann und dessen Gebräuche ihm fremd sind?

Nein, das hätte nicht zu Schweinsteiger gepasst. Der Mann ist mit 32 Jahren längst aufgestiegen in die höchste Kategorie seines Berufs, was nicht nur an seinen sportlichen Erfolgen liegt. Sondern auch an der Aura, die ihn inzwischen umgibt. Daran konnte auch der fiese Mourinho nichts ändern, im Gegenteil.

Der Umzug in die USA ist da nur logisch, er wurde eigentlich seit Beginn des Mourinho-Dramas erwartet. Amerika umgibt ja auch eine gewisse Aura: die große, weite Welt, Land der Freiheit und der Sehnsucht. Daran vermochte - bisher - auch der fiese Trump nichts zu ändern.

Schweinsteiger kann seine Emotionen selten verbergen

Der Weltmeister Bastian Schweinsteiger folgt seinen großen Vorgängern im deutschen Fußball. Weltmeister Franz Beckenbauer, der 1976 zu Cosmos New York und in die Szene-Disko "Studio 54" wechselte, wo er "die schönste Zeit" seines Lebens hatte. Weltmeister Lothar Matthäus ging 2000 ebenfalls nach New York, wollte Englisch lernen, kam aber über Fränglisch ("I hope, we have a little bid lucky") nicht hinaus.

Es mag irritieren, dass Schweinsteiger nach Chicago wechselt, zu einem Verein namens Fire. Der gehörte in den vergangenen Spielzeiten zu den schlechtesten Klubs der Major League Soccer und hat zuletzt eine 0:4-Klatsche in Atlanta kassiert. Doch Schweinsteiger hat sich angewöhnt, nicht auf den äußeren Schein, sondern auf seine innere Stimme zu hören. Und so ist das Projekt Chicago Fire wohl auch zu deuten: die perfekte Station für den abenteuerlustigen, aber auch sozialen Schweinsteiger.

Spätestens, als ihn der Trainer Louis van Gaal im Jahr 2009 beim FC Bayern ins Zentrum des Spielfelds versetzt hatte, wurde aus dem blondierten Filou der Fußball-Staatsmann. Fortan dienten seine Pässe immer dazu, die Mitspieler perfekt einzusetzen, das Spiel der Mannschaft optimal zu entwickeln. Und wenn es sein musste, nutzte er seinen oberbayerischen Astral-Körper dazu, wie ein Berserker zu ackern, um das Schlimmste zu verhindern. Im WM-Finale von Rio 2014 hätten ihn die Argentinier schon bewusstlos treten müssen, damit er vorzeitig den Platz verlassen hätte.

Dass er seine Emotionen selten verbergen kann, macht ihn zudem zu einem Unikum in diesem glatten Business. Als er im EM-Halbfinale 2016 von Marseille per Handspiel die Niederlage der Nationalelf einleitete, kam er mit leerem Blick und gebeugtem Körper aus der Kabine. Er bat fast um Entschuldigung, die ihm niemand verweigerte. Nur er selbst wollte sich das Missgeschick nicht verzeihen.

Schweinsteigers Abschiedsbotschaft an die Fans

Dass er die Demütigungen von José Mourinho bei Manchester United, wo er nur selten im Kader stand, so aufrecht ertrug, hat ihn in eine Art Heiligenstand erhoben. Es wäre ja okay gewesen, den grauer werdenden Schweinsteiger auf die Ersatzbank zu setzen. Aber der Portugiese ließ seinen Spind räumen, versetzte ihn in die zweite Mannschaft, wollte den Deutschen rausekeln und verjagen. Selten hat das Old Trafford so gejubelt, als an dem Tag, als Schweinsteiger nach Monaten doch einmal eingewechselt wurde. Dieser Jubel war auch ein Zeichen an Mourinho.

In seiner Abschiedsbotschaft an die Fans von ManUnited sagt Schweinsteiger jetzt: "Ich glaube und bin sicher, dass José Mourinho und seine Mannschaft die Trophäen zu Manchester United bald zurückbringen wird." Das Video wurde auf Facebook in der ersten Stunde 700 000 Mal aufgerufen.

Einst wurde er "Chefchen" genannt

Mourinho hat sich einfach mit dem Falschen angelegt. Bastian Schweinsteiger ist ein Weltstar, das hat der Portugiese wohl vergessen. Wie es auch die Deutschen zwischendurch vergessen haben, als sie ihn "Chefchen" nannten und oft genug seine Leistungsfähigkeit anzweifelten. Er hat Lionel Messi nach dem Finale 2014 getröstet, hatte vor dem Spiel Giselle Bündchen die Hand gegeben. Er steht für den fulminanten, aber mit Anstand bejubelten 7:1-Sieg gegen Gastgeber Brasilien. Er ist das spitzbübische aber durch und durch ehrliche Gesicht der deutschen Weltmeister-Generation.

Jetzt geht er mit seiner Ehefrau Ana Ivanovic nach Chicago. Er sagt: "In meiner Karriere versuchte ich durchweg, eine positive Wirkung zu haben und dabei zu helfen, etwas Großartiges zu schaffen. Mein Wechsel zu Chicago Fire ist nichts anderes." Ob ihm das gelingt, ist angesichts der Verfassung der Mannschaft fraglich. Ist aber auch egal. Was zählt, ist, dass es Bastian Schweinsteiger mit all seinen Fähigkeiten und Emotionen versuchen wird.

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