Abschied von der Fußballkarriere:Vom Basti zum Fußballgott

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Bastian Schweinsteiger hatte mit seinem Wechsel in die USA zu Chicago Fire sehr viel richtig gemacht. (Foto: Martin Meissner/AP)
  • Der frühere Fußball-Nationalspieler Schweinsteiger hat die letzten drei Jahre seiner Laufbahn in den USA bei Chicago Fire verbracht. Nun hat er seine Karriere beendet.
  • Schweinsteiger war das, was sie sich in der Major League Soccer immer gewünscht hatten: ein Star von internationaler Strahlkraft, der noch stark spielte.
  • Der "Hax" aus Kolbermoor hatte mit seinem Wechsel in die USA sehr viel richtig gemacht - und sich zu einem Mann von Welt entwickelt.

Von Jürgen Schmieder, Chicago/Los Angeles

Es werden nun zahlreiche Anekdoten erzählt über Bastian Schweinsteiger, es gibt ja unfassbar viele über diesen wunderbaren Fußballspieler: wie er vom "Hax" zu "Basti" wurde und später zum "Fußballgott". Wie er am 13. November 2002 seine erste Partie bei den Profis des FC Bayern absolvierte, gleich in der Champions League. Wie er während der Weltmeisterschaft 2006 gemeinsam mit Lukas Podolski zum Maskottchen und später auch zur Symbolfigur des deutschen Fußballs wurde. Wie er seinen Elfmeter beim "Finale dahoam" 2012 an den Pfosten setzte, und wie er die Champions League ein Jahr später gewann. Wie er im WM-Finale 2014 trotz einer Platzwunde im Gesicht bis zum Ende durchhielt.

Wenn die Leute solche Geschichte erzählen, erzählen sie immer auch ein bisschen von sich: wo sie gewesen sind, mit wem sie das erlebt haben. Es kann deshalb passieren, dass ein paar Anekdoten fehlen, weil Schweinsteiger die letzten drei Jahre seiner Laufbahn in den USA verbracht hat, bei Chicago Fire. Dort hat der 35-Jährige am Dienstag verkündet, seine Karriere zu beenden. Sein Vertrag läuft nach der Saison aus, sein Team hat die Playoffs bereits verpasst, am Sonntag war der letzte Spieltag der Punkterunde gewesen, Chicago gewann 5:2 gegen Orlando City. Marcel Reif, der große Fußballdeuter, hat die Klubs in den USA mal "Orlando Hotzenplotz" genannt. Schweinsteiger spielte also drei Jahre gewissermaßen bei Chicago Schlagmichtot. Es werden nicht besonders viele Leute darüber reden und davon erzählen - dabei ist diese Station für den Menschen Bastian Schweinsteiger die wohl bedeutendste gewesen.

Die Heimspiele von Fire sind selten ausverkauft

Es fällt schwer, das Fire-Stadion zu beschreiben, ohne dass es nach Schlagmichtot klingt. Es liegt im Südwesten von Chicago, zwischen Provinzflughafen, Güterbahnhof und einem Haus, bei dem drei Jahre nach Schweinsteigers Ankunft noch immer nicht klar ist, ob es gebaut oder abgerissen wird. Die Heimspiele sind selten ausverkauft, weil die Mannschaft selten gewinnt und es in den beliebteren Sportarten legendäre Klubs gibt in der Stadt wie die Bulls (Basketball), Bears (Football), Cubs (Baseball). Immerhin: Beim ersten Spiel von Schweinsteiger hing ein Plakat mit der Aufschrift "Fußballgott" auf der Tribüne.

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Ein Spitzname sagt immer auch, wie weit es einer gebracht hat, wie die Leute einen sehen. Der FC Bayern hat Schweinsteiger im Jahr 2015 wegen fehlender Perspektiven fortgeschickt, die Laufbahn in der Nationalelf hat er ein Jahr später nach 121 Partien beendet. Der Trainer José Mourinho hat ihn bei Manchester United nicht nur nicht berücksichtigt, er hat ihn regelrecht gedemütigt. Er war damals 32, sollte er da vielleicht, wie es Stefan Effenberg einst getan hat, zum VfL Wolfsburg wechseln, dem Schlagmichtot der Bundesliga?

Schweinsteiger entschied sich für die Major League Soccer (MLS), für Chicago Fire. "Schadenfreude" ist eines der wenigen deutschen Worte, für die es keine Übersetzung gibt, weil den Amerikanern das Kichern über das Leid des anderen eher fremd ist. In Deutschland gab es nicht wenige, die schadenfroh über das Niveau der "Operettenliga" lästerten, Schweinsteiger sagte nach ein paar Spielen selbst: "Der Unterschied ist schon gewaltig."

Schweinsteiger war das, was sie sich in der MLS immer gewünscht hatten: ein Star von internationaler Strahlkraft, der noch so spielte, wie er das zuvor in Manchester oder München getan hatte. Wer die Spiele von Chicago Fire verfolgte, der sah einen, der nicht im Mittelkreis herumstand, die Mitspieler dirigierte und sich über sie aufregte, sondern einen, der rannte und kämpfte, sich in Zweikämpfe warf, stets voranging. Schweinsteiger spielte bis auf Torwart jede Position, selbst Innenverteidiger. Sagt das nicht mindestens so viel über einen Fußballer aus wie eine Meisterschaft in der Bundesliga, wenn er die Karriere nicht ausklingen lässt, sondern sich selbst in dieser Liga reinhängt, als ginge es um den WM-Titel?

Bei Niederlagen ließen sie ihn in Ruhe

Sie haben Schweinsteiger in Chicago nicht gehuldigt für das, was er mal gewesen ist, sondern für das, was er noch immer war. Im Fernsehen wurde als Lustmacher auf andere Partien oft sein 30-Meter-Traumtor gegen Real Salt Lake gezeigt (das wurde dann durch einen 40-Meter-Knaller von Zlatan Ibrahimovic ersetzt), bei Niederlagen ließen sie ihn in Ruhe. Schweinsteiger ist Profi geworden in einer Zeit, in der Nationalspieler "Bratwürste" und "Flaschen" geschimpft worden sind, er selbst ist mal mit dem despektierlichen Spitznamen "Chefchen" bedacht worden. In der MLS, in Chicago, da war Schweinsteiger noch immer der "Fußballgott".

Wer sich in den USA nicht für Fußball interessiert, und das sind noch immer eine Menge Menschen, der interessierte sich auch nicht für Schweinsteiger. Er konnte also durch eine der schönsten Metropolen der Welt schlendern, ohne erkannt und fotografiert zu werden. In den schicken Restaurants bekam er dennoch sofort einen Tisch; die Leute applaudierten, wenn er bei Spielen der Cubs auf der Tribüne saß. Seine Frau, die serbische Tennisspielerin Ana Ivanovic, hatte ihre Karriere schon beendet, die beiden gemeinsamen Kinder wachsen ohne Paparazzi auf. Ist das nicht das Paradies für jeden Promi: die Vorzüge des Berühmtseins genießen zu können, ohne allzu viele Nachteile zu haben?

Schweinsteiger hat mit dem Wechsel in die USA sehr viel richtig gemacht. Der "Hax" aus Kolbermoor hat sich zu einem der wenigen Männer von Welt entwickelt, die der deutsche Sport derzeit zu bieten hat. Nicht wenige wünschen sich diesen Typen zurück, der Bundestrainer Joachim Löw sagte bereits: "Wir werden immer einen Platz für ihn haben." Schweinsteiger sagt: "Ich fühle mich ein bisschen wehmütig, aber ich freue mich auf die Herausforderungen, die nun auf mich warten. Dem Fußball werde ich treu bleiben." Die Anekdoten, die künftig über ihn erzählt werden, will er am liebsten selbst schreiben.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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