Bastian Schweinsteiger:Der Kapitän ist wieder da

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Bastian Schweinsteiger und Elfmeterschießen, es wird wohl keine Freundschaft mehr. Der Kapitän vergab seinen Matchball. (Foto: Getty Images)

Bastian Schweinsteiger wird ohne Spielpraxis ins EM-Viertelfinale gegen Italien geworfen - und zeigt, wie sehr er dem DFB-Team helfen kann. Auch wenn er am Ende getröstet werden muss.

Von Johannes Kirchmeier, Bordeaux/München

Ganz Europa blickt auf ihn in diesem Augenblick, ganz Europa fixiert Bastian Schweinsteiger. Vor diesem einen Schuss. Es könnte ja der letzte sein an einem langen Viertelfinalabend zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Italien. Es könnte der Schuss sein, der Deutschland ins Halbfinale trägt. Das passte zu seinem Auftritt zuvor. Schweinsteiger sorgte ja für eine gute Nachricht: 105 Minuten stand er auf dem Feld, er hielt durch, der Anführer ist zurück.

Als er schon nach 15 Viertelfinalminuten den Rasen betrat, machten sich seine Gefolgsleute auf, ihn zu begrüßen. Manuel Neuer übergab die Kapitänsbinde dem Boten Benedikt Höwedes, der überbrachte sie Schweinsteiger.

Der 31-Jährige zog in diesem Moment in der Statistik mit Miroslav Klose gleich, zum 37. Mal kam er bei einem großen Turnier zum Einsatz. Bis zum Viertelfinale hatte Schweinsteiger ja nicht einmal eine Halbzeit in Summe gespielt bei dieser EM . Nun aber kam er für den verletzten Sami Khedira, ohne sich richtig aufgewärmt zu haben. "Er ist im Spiel dann warmgelaufen", sagte ARD-Experte Mehmet Scholl.

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Sogar gestandene Italiener weinen: Dieses Elfmeterschießen im Viertelfinale wird in Erinnerung bleiben. Auch, weil am Ende ein neuer, deutscher EM-Held geboren wird.

Von Thomas Hummel

Beziehungsweise bei der gesamten EM: Schweinsteiger hatte wegen zweier Innenbandverletzungen in 2016 nur 245 Minuten gespielt bei seinem Verein Manchester United. Wenn man so will, dann kann er als einziger Nationalspieler Europas behaupten, dass er mit "nur so etwas wie Spielpraxis" anreisen durfte. Joachim Löw brauchte den Anführer, der schon zu den vergangenen Turnieren verletzt mitkam und im Teamhotel jedes Mal wieder wundersam genesen war - auch dieses Mal im Hotel L'Ermitage in Évian-les-Bains.

Und wie sehr er wieder da ist, das zeigte er gegen Italien: Schweinsteiger wieselte und flankte wie in jungen Jahren als Rechtsaußen beim FC Bayern - und: Schweinsteiger quer- und rückpasste wie in den späteren Jahren als defensiver Mittelfeldspieler, ganz gerne zu Nebenmann Kroos und Hintermann Hummels, in einem immer unruhigeren Spiel in der zweiten Halbzeit brachte der Kapitän Ruhe - als erstaunlich vielseitiger Mittelfeldspieler.

Zudem entwickelte sich der Mittelfeldmann aus Kolbermoor zum Mann der Gesten im Duell mit den fürs Gestikulieren bekannten Italiener: Mal schüttelte er heftig den Kopf, als er die gelbe Karte bekam, nachdem er mit seiner Hand durch Stefano Sturaros Gesicht wischte. Mal verzog er seine Miene heftig, als er in den Spielpausen mit seinem Trainer redete. Die Lippenleser Europas werden noch herausfinden, was er Joachim Löw erklären wollte.

Schweinsteiger sorgte auch auf dem Platz für Momente, in denen er zeigte, wie er das Team führen kann: Zehn Minuten nach seiner Einwechslung hatte er etwa den Ball schon ins Netz geköpfelt. Er hatte sich davor aber auf de Sciglios Schulter aufgestützt, zu Recht entschied Schiedsrichter Viktor Kassai auf Foul. Und in der 54. Minute zog er einen Lob in den Strafraum auf Gomez, der so andächtig durch die Luft segelte wie Lobs sonst nur aus Roger Federers Tennisschläger auf den heiligen Rasen von Wimbledon fliegen. "Es war schon wichtig, dass ein so erfahrener Spieler auf dem Platz stand", erklärte Löw später: "Er hat sich reingequält. Er ist ein Leadertyp."

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Gegen Italien entwickelt sich ein Viertelfinale wider jede Erwartung - zum Glück. Der Bundestrainer hatte den Spielverlauf eigentlich ganz anders geplant.

Kommentar von Sebastian Fischer

Da war aber dann noch der Elfmeter, der andere Schweinsteiger-Moment: Hoch konzentriert steht Schweinsteiger vor dem Elfmeterpunkt. Er legt den Ball zwischen seine Füße, schaut auf die Kugel, tritt ein paar Meter zurück, wartet auf den Pfiff des Schiedsrichters. Und schaufelt den Ball dann übers Tor, weit übers Tor. Schweinsteiger vergräbt sein Gesicht in seinen Händen, er schaut entgeistert zu Boden.

Der Kapitän ist geschockt. Seine Nerven haben schon wieder geflattert. Schon wieder hat er einen wichtigen Elfmeter verschossen - wie 2012 beim Champions-League-Finale des FC Bayern gegen den FC Chelsea. Nur dass es diesmal gut für ihn ausging.

Am Ende, im deutschen Jubel, musste ihn dann Torwart Neuer etwas aufmuntern. Schweinsteiger hatte immerhin dieses Mal das Elfmeterschießen nicht verloren, weil nach ihm Neuer stark hielt - und der Kölner Jonas Hector sicherer schoss. Das Elfmeterschießen wird Schweinsteiger in Zukunft womöglich erst einmal sein lassen.

© SZ vom 03.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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