Süddeutsche Zeitung

Bastian Schweinsteiger beim FC Bayern:Kraftfeld des Münchner Spiels

Er initiiert die meisten Angriffe, strukturiert das Spiel des FC Bayern - und schießt Tore: Bastian Schweinsteiger ist die Figur der Münchner Dominanz in der Bundesliga. Nach dem 3:0 gegen Wolfsburg bekommt er viel Lob, Schweinsteiger selbst sagt nichts. Er setzt sein Schweigen von der Europameisterschaft fort.

Thomas Hummel

Wer soll diese Bayern aufhalten? Welche Rekorde werden sie in dieser Saison brechen und wie viele? Sie sind nun die beste Mannschaft seit der Bundesliga-Gründung: 15 Punkten und 17:2 Tore nach fünf Spieltagen, nachdem sie schon den Rekord nach vier Spieltagen verbessert hatten. Nun kommen die Fragen nach dem Startrekord der Liga, sieben Siege stehen da in der Statistik, aufgestellt vom FC Bayern in der Saison 1995/96 unter dem Trainer Otto Rehhagel.

Um diesen zu überbieten, müssen die Münchner 2012/13 den noch SV Werder Bremen, die TSG Hoffenheim und Fortuna Düsseldorf besiegen. Derzeit macht es den Eindruck, als könnten diese Mannschaften den FC Bayern nur dann aufhalten, wenn sie alle gleichzeitig auf dem Platz stünden. Die Stärke, die Konzentration, die Souveränität, mit der der Tabellenführer bislang auftritt, lässt kaum einen Gedanken an einen Punktverlust zu. Der VfL Wolfsburg konnte einem am Dienstagabend in München aufgrund seiner Chancenlosigkeit nur leidtun, ohne den sehr starken Torwart Diego Benaglio hätte die durchaus nicht billige Truppe aus Niedersachsen viel höher verloren als 0:3.

Und um noch furchteinflößender auf die Konkurrenz zu wirken, wehren sich die Münchner vehement gegen den Verdacht, sie könnten sich auch nur eine Karussellfahrt lang im Glanz ihrer Leistungen sonnen. "Wir sollten nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen. Wir sind gut drauf, aber Euphorie ist unangebracht", sagte Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge. Stürmer Arjen Robben assistierte: "Wir wissen, dass wir weitermachen müssen."

Kapitän Philipp Lahm wies darauf hin, dass ihn der Startrekord kaum interessiere, er nannte ihn "irgendeine Statistik aus der Vergangenheit". Und Sportvorstand Matthias Sammer betonte die Begriffe "gierig" und "unbeirrbar" so oft, bis auch der Letzte in Bremen schon am Dienstagabend einsehen musste, dass am Samstag nichts zu holen sein wird.

Allein Bastian Schweinsteiger sagte: nichts. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit, nach dem Spiel. Er schob seinen Rollkoffer durch die Katakomben und wies alle Anfragen ab. Er setzt damit sein Schweigen von der Europameisterschaft fort, Schweinsteiger ist ob einiger veröffentlichter Urlaubsfotos von einem Hotel-Pool in Capri nicht mehr gut zu sprechen auf Teile der Journaille und bleibt stumm. Dabei wäre es interessant zu hören, was er zu den ersten Wochen dieser Saison zu sagen hat.

Die vergangene Spielzeit hatte für den 28-Jährigen einige Enttäuschungen parat gehalten. Es begann mit langwierigen Verletzungen, der Rückkehr zum Saisonende als die großen Duelle in allen Wettbewerben warteten. Schweinsteiger ackerte wie eh und je, doch nicht immer schafften es Körper und Geist auf das höchste Niveau - am Ende setzte es bittere Niederlagen in Liga, Pokal, Champions League und Europameisterschaft. Vor allem seine schwerfälligen Auftritte in der Nationalmannschaft provozierten Kritik. Da musste der FC Bayern befürchten, einen sowohl psychisch wie körperlich angeschlagenen Schweinsteiger mit in die nächste Saison zu schleppen. Doch das ist nun alles wie vergessen.

Bastian Schweinsteiger ist wieder das Kraftfeld des Münchner Spiels. Bei ihm laufen die Pässe zusammen, von hinten nach vorne, von links nach rechts. Er strukturiert das Spiel der Münchner, ist Ausgangspunkt der meisten Angriffe. Er lässt sich nach hinten fallen, wenn das Mittelfeld verstopft ist. Er sucht den Strafraum, wenn der permanente Ballbesitz endlich in ein Tor münden soll. Gegen Wolfsburg hatte Schweinsteiger 109 Ballkontakte und damit die meisten von allen Spielern auf dem Platz. Er gewann mit Geschick und seiner enormen Kraft fast alle Zweikämpfe. Und er war in der ersten Hälfte der gefährlichste Münchner, traf den rechten und den linken Pfosten und schließlich zum 1:0 ins Tor (24.).

Und so wurde fleißig über ihn gesprochen im Münchner Stadion. Zum Beispiel von Matthias Sammer: "Bastian ist ein außergewöhnlicher Spieler für den Verein, das müssen wir ihm immer wieder sagen." Er lobte, dass sich Schweinsteiger nach den Enttäuschungen des Mai und Juni aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und sich "total auf seine sportliche Leistungsentwicklung konzentriert" habe. Doch allein gut spielen reicht bei Sammer natürlich nicht. "Er muss weiter Verantwortung übernehmen, er muss verbal auftreten zusammen mit Philipp Lahm und Manuel Neuer. Das werden seine weiteren Aufgaben sein."

Da war sie wieder, die Führungsspieler-Debatte. Hineingetragen in den FC Bayern von Ex-Führungsspieler Sammer, der weiterhin darauf besteht, dass Erfolg nur mit eben diesen Führungsspielern möglich ist. Denn weiterhin bestehen durchaus Zweifel, ob der hervorragende Fußballer Schweinsteiger auch ein verbaler Anführer sein kann. Zumindest wenn man darunter den Anführer-Typ Sammer, Effenberg oder Breitner, Beckenbauer versteht. Sammer aber sagt: "Die Erfolgsformel bleibt die gleiche, und deshalb müssen sie versuchen, die Formel auszurechnen. Wenn sie die Formel nicht angehen, dann haben sie in Mathematik keine Eins, und wir brauchen eine Eins."

Neben der heißen Führungsspieler-Debatte benutzte Matthias Sammer auch noch die historisch glühende Mathematik-Debatte. Der frühere Bayern-Trainer und ausgebildete Mathematik-Lehrer Ottmar Hitzfeld war mal entlassen worden, nachdem ihn Rummenigge gerüffelt hatte mit den Worten: "Fußball ist keine Mathematik."

Vermutlich wird sich der neue Sportvorstand des FC Bayern auch von dieser historischen Begebenheit nicht den schönen Vergleich verbieten lassen. Schon gar nicht, weil er erste Anzeichen sieht, dass sich alles in seinem Sinne fügt. "Mich hat gefreut, dass ich Bastian heute vor dem Spiel in der Kabine gehört habe", erzählte Sammer. Schweinsteiger hatte eine Ansprache an die Mannschaft gehalten. Das ist auch ein Zeichen an die Öffentlichkeit: Wenn er sprechen will, dann klappt das auch.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1479112
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/ebc/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.