Bastian Schweinsteiger bei der EM:Symbol des Scheiterns

Ein Anführer, der geführt werden muss: Für Bastian Schweinsteiger war es eine grausame Saison, mit langwierigen Verletzungen und Niederlagen in entscheidenden Spielen. Gegen Italien rackert er sich ab, nur um am Ende abermals mit leeren Händen da zu stehen.

Thomas Hummel

Es ist ein langer Weg von der Kabine im Warschauer Nationalstadion zum Mannschaftsbus. Die Spieler kommen aus den Katakomben und müssen dann hundert Meter eine Art Garageneinfahrt entlang gehen, in der für diese Fußball-Europameisterschaft die Interview-Zone eingerichtet wurde. Nach dem Halbfinale Deutschland gegen Italien bildete sich hier eine nicht enden wollende Kette von Kameras und Menschen mit Mikrofonen in der Hand. Vielleicht lag es an der Hitze, die diese Menschen erzeugten, dass plötzlich ein Alarmsignal losschrillte und ein Schild leuchtete: Zu hohe Abgaswerte, bitte die Garage verlassen!

Bastian Schweinsteiger ließ sich von dem schrillen Ton nicht beeindrucken. Er schlurfte den Gang entlang, wortlos, fast abwesend. Seine mächtige Brust war noch zu erkennen, dennoch wirkte der 27-Jährige schwer gezeichnet. Er strahlte auf diesem Weg die Energie eines Mannes aus, dem jemand einen schweren Stein auf die Schultern gelegt und gesagt hatte: Du allein musst ihn nach oben tragen, dann werden deine Mannschaften siegen. Und das bei überhöhten Abgaswerten. Schweinsteiger schaffte es nicht, den Stein zu tragen.

Er ist in diesen Monaten das Symbol des Scheiterns im deutschen Fußball.

Zwei Tage nach dem Viertelfinale gegen Griechenland war die EM für Schweinsteiger eigentlich schon beendet. Nach einem für ihn fürchterlich schlechten Spiel gab er eines seiner seltenen Zeitungs-Interviews. In der Welt am Sonntag erklärte er, dass er sich Sorgen um seinen Knöchel mache. Der Außenbandriss vom Februar sei nicht optimal verheilt.

Kein Problem, wenn er gegen Italien nicht gespielt hätte

Er fühle sich zwar fit, aber es gehe "um kleine Bewegungen im Spiel, um Explosivkraft." Es sei nicht einfach im Moment für ihn. "Wenn ich verletzt bin, bin ich schlecht gelaunt. Dann fällt es nicht leicht, trotzdem positiv zu sein. Mein Herz fühlt zwar so. Aber wenn man da ganz tief reinschaut, brodelt es auch in mir. Weil ich gern so spielen würde, wie mein Kopf es mir sagt. Aber mein Körper lässt es nicht zu." Er hätte kein Problem damit, wenn ihn der Bundestrainer für das Italien-Spiel aus der Mannschaft nehmen würde.

Eine knappe Woche später, nach dem ernüchternden 1:2 gegen Italien, müssen diese Sätze als Kapitulation gewertet werden. Schweinsteigers Hilferuf: Bitte nehmt mir den Stein von den Schultern, ich kann nicht mehr!

Doch das Trainerteam dachte nicht daran, ihn aus der Verantwortung zu entlassen. Bundestrainer Joachim Löw gab sich überzeugt davon, dass Schweinsteiger zu wichtig sei für diese Mannschaft, als erfahrener Anführer, als Organisator und Stratege. Doch diese Rolle konnte er im Halbfinale gegen Italien nur in der Halbzeitpause einnehmen. Beim Stand von 0:2 soll er zusammen mit Philipp Lahm seine Mitspieler aufgebaut haben, sie motiviert haben, noch einmal alles zu probieren.

Auf dem Spielfeld aber war Schweinsteiger (wie zumeist bei dieser EM) keiner, der anführte. Sondern der geführt werden musste. Dabei hatte gegen die starken Italiener nicht einmal Sami Khedira die Zeit, seinen Nebenmann mit durchs Spiel zu ziehen.

Nach dem Spiel gab es wieder diese verwunderliche Statistik. Wie schon bei allen anderen Auftritten der DFB-Elf war Schweinsteiger die meisten Kilometer gelaufen, kein Vergleich zu den viel engagierteren Italienern zwar, aber immer noch mehr als die Mitspieler. Er hatte sich keinesfalls hängen lassen, er hatte wieder das Zentrum beackert, lief immer dorthin, wo sich gerade eine Lücke auftat, wollte die Kombinationen des Gegners unterbinden. Als am Ende alles nach vorne rannte, sollte er eine Art Libero spielen und machte weiterhin die Kärrnerarbeit.

"Es ist, wie es ist"

Schweinsteiger war in diesem Sinne ein großer Ersatzkapitän, der klaglos den grauen Dienst verrichtete, damit die Mannschaft leuchten konnte. Dennoch wirkte er auf seinen endlosen Wegen müde, überfordert, wenn das Spiel schnell und eng wurde, auch unkonzentriert seinem Passspiel. Eine Woche lang hatten Löw und die Mitspieler betont, wie wichtig Bastian Schweinsteiger für das deutsche Spiel ist. Ohne ihn könnten sie nicht spielen. Mit ihm konnten sie dann nicht gewinnen.

"Wir haben uns mehr erhofft, und deshalb sind wir enttäuscht. Aber es ist, wie es ist, und es geht weiter", sagte er im Bauch des Warschauer Stadions. Es ist, wie es ist. Noch so ein Satz, der wie eine Kapitulation klang. Und zu diesem Zeitpunkt auch wie eine Befreiung. Denn jetzt, endlich, ist diese schlimme Saison für Bastian Schweinsteiger beendet. Eine Saison mit zwei schweren Verletzungen, zuerst dem Schlüsselbeinbruch gegen Neapel, dann der Knöchelverletzung gegen Stuttgart.

Die Heilung des Sprunggelenks verlief zäh, dennoch kehrte er zurück, als es für den FC Bayern um die Titel ging. Mal ging es besser wie in den meisten Champions-Leauge-Spielen, mal schlechter wie gegen Borussia Dortmund. Ein Titel nach dem anderen ging verloren, und dann folgte sein Elfmeterdrama in dem überhöhten Champions-League-Finale zu Hause in München. Seitdem ist kaum ein Tag vergangen, an dem er nicht gefragt wurde, wie es ihm gehe.

Nach dieser EM werden sie sich auch in München die Frage stellen, wie es ihrem Bastian Schweinsteiger geht. Was aus seiner Verletzung wird, denn der FC Bayern hatte bereits Erfahrungen mit Spielern, die sich im Auftrag des Fußballlandes nicht rechtzeitig schonten und dann schwer lädiert aus einem Turnier kamen (siehe Arjen Robben). Und wie sich das Gemüt dieses starken Mannes entwickelt.

Bastian Schweinsteiger ist 27 Jahre alt und gerade ein erschöpfter, trauriger Mann. Er hat es in diesem Jahr auf dramatische Weise verpasst, den ersehnten internationalen Titel zu gewinnen, was ihm die Alt-Internationalen immer mal wieder wissen lassen werden. Er versucht bereits den Druck herunter zu dimmen, in dem er sagt, dass seine Generation keinen großen Titel holen müsse, sondern vor allem gut auftreten. Wenn dann eine andere Mannschaft besser sei, dann habe sie es auch verdient.

Es gibt da einige Menschen in München, die werden sicher gerne noch mal mit ihm darüber reden.

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