Rammstein. Natürlich. Was sonst? Als Bastian Schweinsteiger zum Aufwärmen auf den Platz kommt, da spielen sie das Lied "Du Hast" der deutschen Rockband. Schweinsteiger scheint das zu gefallen, er lächelt. Als ihm ein weiblicher Fan beweist, dass sie auf Deutsch bis zehn zählen kann, da grinst er sogar. Dann sieht er sich um. Das ist sie also, seine neue Heimat als Fußballprofi: ein Stadion in einem Industriepark im Südwesten von Chicago, zwischen Güterbahnhof und Regionalflughafen. 20.000 Menschen passen rein, bei seinem ersten Spiel für Chicago Fire gegen Montréal Impact sind 15.103 da - und die sehen eine Partie, die so wirkt, als hätte die Profiliga MLS per Dekret angeordnet, dem Zugang den Einstand so fröhlich wie möglich zu gestalten.
Schweinsteiger verhielt sich bei der Partie, die 2:2 endete, zunächst so, als müsse er auf der Michigan Avenue im Stadtzentrum von Chicago den Verkehr ordnen. Er schickt seine Mitspieler in Position, bedient sie mit ein paar Fußgelenk-Pässen - und dann schießt er schnell mal ein Tor. Er zeigte in der 17. Spielminute seinem persönlichen Bewacher Adrián Arregui, dass Schnelligkeit eine eher unwichtige Tugend ist für einen, der weiß, wohin er laufen muss. Er schlich sich in eine Flanke von David Accam und nickte zum Führungstreffer ein.
Erst spielen sie "Du hast" von Rammstein, später "Thunderstruck"
Sie spielten nicht "Du Hast" nach diesem Treffer, was dann doch ein wenig verblüffte - sondern eine Version des AC/DC-Krachers "Thunderstruck", bei dem die Fans statt "Thunder" lieber "Fire" brüllen. Das klang ein bisschen nach "Bayern" und damit nach Heimat. Danach gab es noch warme Basti-Rufe der Chicago-Fans, ein Raunen bei jedem öffnenden Pass und natürlich beinahe die ganze Spieldauer über diese Blaskapelle, die aus der Ecke heraus fröhliche Lieder präsentierte.
Schweinsteiger ist, das war bei diesem ersten Spiel deutlich zu sehen, kein Dribbler und Flitzer mehr, er ist ein Stratege und Gestalter - und natürlich ist er noch müde. Er ist am Dienstag angekommen, danach haben sie ihn durch die Stadt getrieben, so wie sonst nur Stiere durch Pamplona gejagt werden: Ankunft am Dienstag mit Gedöns am Flughafen, erstes Training und Pressekonferenz am Mittwoch, Besuch eines Heimspiels der Chicago Bulls am Donnerstag, Training am Freitag. Dazwischen Fotoshootings, Videodrehs, Händeschütteln mit Fans und Sponsoren.
Sie haben ihn hier mit einer Mischung aus Heldenverehrung und Unbedarftheit begrüßt, ein Reporter hat ihn etwa gefragt, ob er mit Fire auch den "World Cup" gewinnen könne. Ein anderer nach seiner Karriere in der Nationalelf. Und natürlich gibt es auch in den USA eine Versammlung sogenannter Gurus aus ehemaligen Spielern und engagierten Zuschauern - und deren Urteil über Schweinsteiger lautete: zu alt, zu langsam, nicht fit genug. Wieder mal einer, der am Ende einer glanzvollen Karriere in Europa in der MLS sehr viel Geld (4,7 Millionen Dollar in dieser Saison) verdienen wird.
Manchester United:Mourinho entschuldigt sich bei Schweinsteiger
Der Trainer von Manchester United bereut sein Verhalten gegenüber seinem Ex-Spieler - und sagt, dass er Schweinsteiger "vermissen" werde.
Der Fire-Manager sagt: "Wir müssen unser Niveau auf seines heben"
Souverän wie ein britischer Gentleman begegnete Schweinsteiger den Fragen nach seinem Alter ("Ich bin 32 Jahre alt, nicht 38."), seiner Fitness ("Ich glaube, dass ich noch viel zu geben habe.") und dem Druck in Chicago ("Ein drittes Champions-League-Finale spielen, wenn du zwei verloren hast, das ist Druck."). Auch deshalb haben sie ihn ja geholt: Er soll sportlich erfolgreich sein, aber auch ein Botschafter des Vereins und des Sports sein. "Er muss sich an die Zeitzone gewöhnen, an seine neue Mannschaft und auch an diese Liga, die anders ist als die in Europa", sagt Fire-Manager Nelson Rodriguez: "Er hat diesen Verein vom ersten Moment an geprägt. Wir müssen unser Niveau auf seines heben."
Niemand weiß derzeit so recht, wie hoch das Niveau von Schweinsteiger derzeit ist, noch nicht einmal er selbst. "Im Kopf bin ich zu 100 Prozent da, beim Körper fehlt noch ein wenig", hat er am Mittwoch gesagt. Nach einigen Einheiten mit der Mannschaft hat er am Samstagmorgen auf Twitter ein Foto mit seinen Fußballschuhen und einem Chicago-Fire-Trikot veröffentlicht: "Ich bin bereit für mein erstes Spiel."
Und dann wird er noch zum "Man of the Match" gewählt. Natürlich.
Schweinsteiger war bereit. Er musste 90 Minuten lang durchhalten - auch deshalb, weil Kollege Juninho nach einem törichten Foul im Mittelfeld vom Platz gestellt wurde und Michael de Leeuw verletzt vom Feld musste. Er dirigierte und lenkte, er war häufig am richtigen Ort und spielte einige feine Pässe. Er schnippelte einen Freistoß gegen die Mauer, einen Volleyschuss setzte er knapp daneben, Kollege Luis Solignac scheiterte nach feinem Schweinsteiger-Pass freistehend an Montréals Torwart Evan Bush.
Ach ja: Und er schoss bei seinem ersten Spiel gleich ein Tor. Als er nach dem Schlusspfiff seinen Kollegen auf die Schulter klopfte, da sah er einigermaßen zufrieden aus. Er wurde zum "Man of the Match" gewählt. Natürlich. Trainer Veljko Paunović war jedenfalls hochzufrieden mit dem MLS-Debüt des Weltmeisters von 2014: "Letzte Saison hätten wir so eine Partie verloren. Bastian hat eine Siegermentalität mitgebracht, die nun auf die anderen abstrahlt. Was mich besonders freut: Die Mannschaft ist nach diesem Unentschieden nicht zufrieden - das ist der Wille, den Bastian mitgebracht hat."
"Für mich ist wichtig, dass ich wieder Fußball spielen darf."
Er habe sich gut gefühlt, das Tor habe ihm geholfen, sagte Bastian Schweinsteiger nach der Partie, "aber ich hätte natürlich gerne gewonnen." Immerhin machen ihm weder Umstellung noch Druck etwas aus: "Der Fußball ist schon anders hier, aber daran werde ich mich gewöhnen. Für mich ist wichtig, dass ich wieder Fußball spielen darf." Das wird ihm in Chicago so schnell niemand verwehren.