Bastian Schweinsteiger:75 000 Herzen

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Beim Abschiedsspiel von Bastian Schweinsteiger kehrt für einen Abend die Nostalgie nach München zurück.

Von Christopher Gerards, München

Der Moment, in dem die Münchner Arena noch ein bisschen heftiger bebte als ohnehin, begann mit einer Einwechslung. Thomas Müller kam nach einer guten Stunde aufs Feld, genau wie Franck Ribéry, und sie liefen zu Bastian Schweinsteiger, der nun ihr Mitspieler war, ein letztes Mal beim FC Bayern. "Ich hab gesagt: Spiel nach vorne. Komm nicht zu viel nach hinten. Wir wollen, dass du ein Tor machst", erzählt Ribéry später.

Das war der Plan, und er ging auf. Schweinsteiger lief nach vorne, und die Zuschauer bekamen den Moment zu sehen, auf den sie gewartet hatten. Der Mann, den sie Fußballgott nennen, schoss ein Tor. Eines, das fußballerisch vollkommen belanglos war und emotional doch sehr vielen Menschen so wichtig, dass die Arena nun wirklich sehr, sehr laut wurde.

Hinterher haben die Spieler des FC Bayern viel über die Stimmung an diesem Dienstagabend geredet, dem Abend des offiziellen Abschieds vom ehemaligen Bayern-Spieler Bastian Schweinsteiger, 34 Jahre alt, Champions-League-Sieger, Weltmeister, Oberbayer aus Kolbermoor. Und fast immer kam das Wort "Gänsehaut" vor. "Unglaublich" fand David Alaba die Zuneigung der Zuschauer für Schweinsteiger, "speziell" fand Ribéry die Atmosphäre, "sensationell gut" nannte sie Müller. Und Schweinsteiger selbst sagte später auf der Pressekonferenz, der Abend habe seine Erwartungen "definitiv übertroffen".

Zu dem Zeitpunkt hatte er schon vieles erlebt. War alleine ins Stadion einmarschiert, vorbei an den versammelten Titeln seiner Karriere. War von Mitspielern umarmt worden, hatte bei fast jedem Ballkontakt Applaus gehört. Hatte sein Tor erzielt und sich hinterher gerührt beim Publikum bedankt ("Ich bin einer von euch, und ich werde es immer bleiben"), war eine Ehrenrunde gelaufen und in den Katakomben verschwunden, die Hände erhoben, das Publikum beklatschend und vom Publikum beklatscht.

Wie unter einem Sternenhimmel: Bastian Schweinsteiger nimmt auf dem Rasen der Arena Abschied. (Foto: Michael Dalder/Reuters)

Und so war dieser Abschiedskick von Bastian Schweinsteiger am Dienstag zweierlei: erstens ein Abend, an dem man dem FC Bayern nicht vorwerfen konnte, allzu dezent geplant zu haben, mit Lichtshows, Choreos und "Basti is back"-Rhetorik. Vor allem aber war er dies: ein Abend, an dem sich zeigte, was Bastian Schweinsteiger vielen Fußballfans bedeutet.

Das zeigte sich schon an der Zuschauerzahl. 75 000 Menschen (darunter Bundestrainer Joachim Löw, Ex-Trainer Jupp Heynckes, Ex-Mitspieler Philipp Lahm und Ex-Bayern-Präsident Franz Beckenbauer) waren am Dienstagabend in die Münchner Arena gekommen, um ein Testspiel des FC Bayern gegen Schweinsteigers aktuellen Klub Chicago Fire zu sehen (4:0). Ein Testspiel. Fünfundsiebzigtausend. Wobei, wahrscheinlich ist das nicht richtig formuliert.

Die Menschen kamen ja nicht des Spiels wegen in die Münchner Arena; sie kamen, um Bastian Schweinsteiger spielen zu sehen, ein letztes Mal in diesem Stadion. Viele hatten ihre alten Trikots rausgekramt, das schwarze Champions-League-Shirt aus den Nullerjahren, auf dem man sich immer die Namen Ballack oder Makaay dazudenkt; oder das rot-blau gestreifte von 2014, auf dem man sich den Namen Gaudino vorstellt. So liefen nicht nur Ribéry (Nummer 7), Müller (25) und Schorschi (66) Richtung Arena, sondern eben auch: Schweinsteiger, Nummer 31.

Abschiedsspiele sind die fußballerische Heimat der Nostalgie, denn darum geht es ja: um das, was war; um eine Zeit, mit der die Fans Erinnerungen verbinden, im Falle von Schweinsteiger Erinnerungen an die jüngere und erfolgreiche Klubhistorie des FC Bayern. Zum Beispiel wie er, Schweinsteiger, 2002 zum ersten Mal bei den Profis spielte, eingewechselt für Mehmet Scholl, Champions-League-Vorrunde gegen Lens. Oder wie er mal auf dem Vereinsgelände mit einer Begleiterin (angeblich eine Cousine, der er nur den Profi-Trakt habe zeigen wollen) den Whirlpool nutzte.

Noch einmal Antreiber: Schweinsteiger spielt am Mittwoch eine Hälfte für seinen Klub Chicago Fire, der die Partie gegen den FC Bayern 0:4 verliert. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Wie er seine ersten Titel holte, deutsche Meisterschaft, DFB-Pokal. Wie er mit dieser und jener Frisur auffiel, wie er zum Weltklasse-Fußballer reifte, als Louis van Gaal ihn ins defensive Mittelfeld zog. Wie er im Finale dahoam 2012 einen Elfmeter verschoss; wie er 2013 half, die Champions League zu gewinnen; wie er 2014 Weltmeister wurde (allerdings nicht mit dem FC Bayern, d. Red.). Und wie er dann 2015 ging, abrupt und ohne größeren Abschied.

Es hat eine Weile gedauert, bis Bastian Schweinsteiger sein Abschiedsspiel bekommen hat, das sie in München schon angekündigt hatten, als er den Klub Richtung Manchester verließ - zu einer Zeit, in der er beim FCB nicht mehr als unverzichtbar galt. Vor drei Jahren war das. Er habe damals keine Zeit gehabt, sich "richtig zu verabschieden", sagte Schweinsteiger nun - und dass er froh sei, dass es geklappt habe.

An dem Abend, an dem es hauptsächlich um das Vergangene ging, interessierten sich die Reporter dann aber auch für die Zukunft. Das betraf einerseits Leon Goretzka, der ausgewechselt werden musste, weil er nach eigener Aussage weggeknickt war, "nichts Schlimmes", wie er sagte. Vor allem aber betraf dies Schweinsteiger.

Er saß entspannt in der Pressekonferenz, an dem Ort, an dem sonst nach Spielen die Trainer sitzen. Was mit dem Trikot des Abends geschehe, wollte einer wissen. Das komme zu seinen Eltern nach Oberaudorf, wo Schweinsteiger aufwuchs und Fußball spielte, bis er 13 war. Ob er wieder in München leben will? Vieles sei möglich, sagte Schweinsteiger, er werde auf jeden Fall zurückkommen, wisse aber noch nicht, wann. Und wie lange er noch in Chicago spielen werde? Darüber werde er erst im Winter reden.

Dann verließ er den Presseraum und einige Minuten später das Stadion, inzwischen geschmückt von einem dunklen Jackett, weißen Hemd und bordeauxfarbenen Einstecktuch. Bastian Schweinsteiger hatte noch was vor. Es gab etwas zu feiern.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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