Wade Baldwin verstand die Welt nicht mehr. Und Andrea Trinchieri verstand die Schiedsrichter nicht mehr. Nichts Neues, denn Baldwin, dem Spielmacher der Basketballer des FC Bayern, darf man schon einen gewissen Hang zur Disziplinlosigkeit anlasten. Und sein Trainer Trinchieri gibt sich generell wenig Mühe, seinen Ärger über Schiedsrichterentscheidungen zu verbergen. Der impulsive Italiener liebt das Drama, fühlt sich oft ungerecht behandelt und gerät mit den Referees aneinander. Doch was dem Trainer und seinem Regisseur am Mittwochabend im heimischen Audi Dome geschah, musste auch der neutrale Beobachter als Ungerechtigkeit werten. Im ersten Playoff-Viertelfinalspiel gegen die Merlins Crailsheim wurde Baldwin zu Beginn des zweite Viertels der Halle verwiesen, fortan musste der Pokalsieger ohne seinen Spiritus Rector auskommen. Was passabel gelang, wie der deutliche 86:66-Erfolg beweist, doch dazu später mehr.
"Wollen die Leute lieber die Schiedsrichter sehen, oder Spieler, die dunken?", fragt FCB-Coach Trinchieri provokant
Was also war geschehen? Baldwin hatte versucht, Crailsheims Bogdan Radosavljevic bei einem Drei-Punkte-Wurf zu stören, was nur bedingt gelang, denn der Münchner ist gefühlt einen halben Meter kleiner ist als der 2,13-Meter-Center der Merlins. Radosavljevic landete aber auf Baldwins Füßen, was zum Schutze der Werfer mit einem unsportlichen Foul geahndet wird. Eine Regel, die angesichts ausgebuffter Spieler, die nach vorne springen und so fast zwangsläufig nahe dem Abwehrspieler aufkommen, strittig ist. Die Entscheidung aber war korrekt. Baldwin winkte ab, kassierte dafür ein technisches Foul und in Summe die Disqualifikation. Eine sehr harte Bestrafung, die umso unverständlicher erschien, als ausgerechnet Crailsheims Radosavljevic zu einem späteren Zeitpunkt für die selbe Geste nicht sanktioniert wurde. Für Trinchieri ein klarer Fall von zweierlei Maß: Er wisse schon, dass sich sein Spieler nicht immer vorbildlich verhalte, doch Baldwin arbeite "hart daran, sich besser zu kontrollieren. Er hat aber kein Wort gesagt, ging davon und hat dabei die Hand bewegt. Für mich ist das total verrückt." Der Gegner habe für die selbe Handlung keine Strafe erhalten: "Also was ist da der Standard?" So sei sein Team früh und ungerechtfertigt seines Spielmachers beraubt worden, was Trinchieri mit beißender Ironie kommentierte: "Okay, vielleicht wollen die Leute zuhause lieber die Schiedsrichter sehen als Spieler, die scoren, passen und dunken. Das ist neu."
Dass diese Schwächung nicht weiter ins Gewicht viel, war der individuellen Qualität seines Kaders zu verdanken. Zunächst war es Paul Zipser, der seine Dreier mit großer Präzision abdrückte und 14 Punkte sammelte. Später lief Vladimir Lucic heiß, der Serbe ist in seiner jetzigen Form kaum zu stoppen, war mit 22 Zählern Topscorer. Die Bayern können angesichts ihres breiten und hochwertig besetzten Kaders derlei Schwächungen kompensieren, darin sind sie geübt, denn im Laufe dieser Saison mit der Doppelbelastung durch die Euroleague waren sie oft zur Improvisation gezwungen. Und noch einen Vorteil hat das internationales Wirken gebracht, wie Crailsheims Trainer Tuomas Iisalo erinnerte: "Der FC Bayern hat in dieser Saison schon viel Playoff-Erfahrung gesammelt", in der Euroleague-K.o.-Runde und zuletzt im Pokal.
Zan Mark Sisko erzielt mit 16 Punkten neuen Bestwert im Bayern-Trikot und macht das Fehlen von Baldwin kaum spürbar
Sein Team dagegen könne solche Hypotheken nicht wegstecken: Als er Spielmacher Trae Bell-Haynes vom Feld nehmen musste, weil der früh drei Fouls gesammelt hatte, war das dem schellen Spiel seines Teams nicht dienlich. Nicht auszudenken, wenn der flinke Kanadier ganz fehlen würde, Bell-Haynes setzte den Münchnern erneut gehörig zu und sammelte 23 Punkte. Der Verlust von Baldwin auf Münchner Seite fiel auch deswegen nicht arg ins Gewicht, weil sein erster Vertreter Zan Mark Sisko eine starke Leistung nach der anderen zeigt. "Baldwin wurde früh ausgeschlossen, das bedeutet mehr Minuten für mich. Ich habe einfach versucht, das Team so gut wie möglich zu führen, um das Spiel zu gewinnen." Das gelang ihm trotz seines jungen Alters von 23 Jahren vorzüglich, Sisko zog die Fäden im Spiel und erzielte mit 16 Punkten neuen Bestwert im Bayern-Trikot. Der Slowene hat den augenfälligsten Leistungssprung gemacht, im vergangenen Juni beim Finalturnier um die deutsche Meisterschaft bekam er als Ergänzungsspieler noch kaum Einsatzzeit, oder wurde gleich aus dem Kader gestrichen. Nun führt er ein Euroleague-Playoff-Team an. Auch am Freitag, wenn in der Best-of-five-Serie die zweite Partie im Audi Dome ansteht (19 Uhr), ehe es zum ersten Mal nach Crailsheim geht.