Basketball: Yao Ming:Die chinesische Ein-Mann-Mauer

Ende der "Ming-Dynastie": Der chinesische Basketballer Yao Ming galt jahrelang als Botschafter seiner Heimat und wichtigster Sportler des Regimes. Nun beendet der frühere Profi der Houston Rockets wegen zahlreicher Verletzungen seine Karriere - doch um seinen Werdegang ranken sich zahlreiche Mythen.

Jürgen Schmieder

Es gab diesen Moment während der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking, der für die Menschen in China zum prägenden Augenblick werden sollte. Beim Einmarsch der chinesischen Sportler lief der Basketballspieler Yao Ming vorneweg, er trug die Fahne seines Landes. Neben ihm ging der kleine Junge Lin Hao und wedelte mit einer kleinen Fahne - er hatte wenige Monate zuvor das schwere Erdbeben in der Provinz Sichuan überlebt. Beim Entzünden des olympischen Feuers hielt Yao den neunjährigen Jungen auf dem Arm.

Yao Ming

Damals, 2006, bei den Houston Rockets: Yao Ming.

(Foto: AP)

Yao ist der bekannteste Sportler Chinas, er galt jahrelang als Botschafter seines Heimatlandes in den Vereinigten Staaten. Am Mittwoch ist Yao zurückgetreten, auf einer Pressekonferenz in Shanghai, die als größtes Medienereignis des Jahres gilt. "Ich habe ein halbes Jahr gegen die Verletzungen gekämpft, aber ich muss einsehen, dass dies die beste Entscheidung ist", sagte Yao.

Das chinesische Staatsfernsehen übertrug die Pressekonferenz live und sendete danach ein fünf Stunden dauerndes Spezial. "Eine Tür schließt sich", sagte Yao, "eine andere öffnet sich - und was ich durch diese Tür sehe, ist wunderbar. Ich werde mich als Besitzer um die Shanghai Sharks kümmern und den Menschen durch Basketball weiter Freude bringen. Nur spielen kann ich nicht mehr."

Er war eine chinesische Ein-Mann-Mauer, dieser Yao Ming. Zu seiner Größe von 2,29 Metern kam außerordentliches Bewegungstalent und taktisches Gespür in der Defensive, für viele Angreifer wurde er zu einem schwer zu überwindenden Hindernis. In der Offensive punktete er regelmäßig und zuverlässig, mehr als 52 Prozent seiner Würfe während der neun Jahre in der NBA fanden ihr Ziel.

Um den Werdegang des 30-Jährigen ranken sich zahlreiche Mythen. Er sei nicht zufällig zu einem derart großen Athleten geworden - er sei vielmehr herangezüchtet worden. Das behauptet zumindest der Journalist Brook Larmer in seinem Buch Operation Yao Ming. Die chinesische Regierung hätte zwei der größten Athleten miteinander verkuppelt, um "einen Jungen mit idealen genetischen Voraussetzungen zum besten chinesischen Basketballer aller Zeiten" zu machen.

In seiner Autobiographie A Life in Two Worlds berichtet Yao davon, bereits im Alter von 13 Jahren mehr als 60 Stunden pro Woche trainiert zu haben, um sich für einen Platz im Kader der Shanghai Sharks zu empfehlen. Nach vier Jahren in den Jugendmannschaften kam er im Alter von 17 Jahren zu den Profis, fünf Jahre später gewannen die Sharks erstmals die chinesische Meisterschaft. Yao erzielte dabei 32,4 Punkte pro Spiel bei einer unglaublichen Trefferquote von mehr als 75 Prozent.

Nach der Saison sollte er in die NBA wechseln, doch gab der chinesische Verband seine Zustimmung nur unter der Bedingung, dass Yao auch nach einem Wechsel stets für das chinesische Nationalteam aufläuft. Dazu forderte der Verband, dass Yao nur dann ausreisen dürfe, wenn er beim NBA-Draft an erster Stelle gewählt werden und bei den Houston Rockets unterschreiben würde - dorthin war ein Jahr zuvor Wang Zhizhi als erster chinesischer Basketballer gewechselt.

Die Bedingungen wurden erfüllt, Yao wurde der erste ausländische Spieler in der Geschichte der Liga, der als Nummer eins gewählt wurde, ohne jemals ein US-College besucht zu haben.

Das Engagement Yaos in der NBA wurde zu einer Win-win-Situation. Yao Ming wurde zu einem der bestbezahlten Sportler weltweit, laut Forbes soll er allein im Jahr 2008 mehr als 50 Millionen US-Dollar verdient haben. Die Nation China hatte einen Vorzeigeathleten, der sich immer wieder zu Propagandazwecken einspannen ließ - er trug etwa die olympische Fackel über den Platz des himmlischen Friedens.

Die NBA war plötzlich auf dem lukrativen chinesischen Markt vertreten, Einschaltquoten gingen nach oben, der Verkauf von Merchandising-Artikeln florierte. Die Partie zwischen den Houston Rockets und den Milwaukee Bucks (mit dem Chinesen Yi Jianlian) gilt als das meistgesehene NBA-Spiel aller Zeiten, allein in China sollen mehr als 250 Millionen Menschen zugesehen haben. Und natürlich vermeldeten auch Yaos Sponsoren - allesamt amerikanische Unternehmen - stark steigende Absatzzahlen in China.

Er hasste öffentliche Auftritte

Als Yao nun zurücktrat, bedankte er sich nicht nur bei seiner Familie, seinen Freunden und seinen Kollegen, sondern eben auch bei der NBA, den Sponsoren und der Regierung seines Landes. "Yao hat nicht nur den Basketball verändert", sagte NBA-Boss David Stern, "er hat die Beziehungen zwischen China und den USA verändert, weil die Menschen wegen ihm Interesse am jeweils anderen Land zeigten."

NBA player Yao Ming reacts during a news conference to announce his retirement from basketball, in Shanghai

Trauriger Chinese: Yao Ming verabschiedet sich in Shanghai.

(Foto: REUTERS)

"Yao Ming hat es jungen Chinesen ermöglicht, ihren Traum von der NBA zu verfolgen", sagte Kobe Bryant zum Abschied Yaos - wohl wissend, dass Yao ihm selbst wie vielen anderen Basketballern den Traum eines hochdotierten Ausrüstervertrags in China ermöglicht hat.

Die wohl größte Leistung Yaos in seiner NBA-Karriere war der Spagat zwischen der amerikanischen und der chinesischen Kultur. In einer Liga, in der nur die Egos wuchtiger sind als die Körper, trat er auf dem Spielfeld selbstbewusst genug auf, um sich nicht herumschubsen zu lassen. Abseits des Platzes war er derart zurückhaltend und bescheiden, dass sich die chinesische Regierung außerordentlich zufrieden zeigte.

Er hasste öffentliche Auftritte, die Beziehung zu seiner Freundin, der Basketballspielerin Ye Li, wurde erst nach sieben Jahren bekannt, sowohl Hochzeit als auch Geburt der gemeinsamen Tochter fanden statt, ohne dass die Öffentlichkeit Bilder zu sehen bekam.

Ins Rampenlicht stellte sich Yao nur, wenn es seine Regierung von ihm verlangte - oder wenn er den Eindruck hatte, dass es eben nicht anders ging, wie etwa nach dem Erdbeben von Sichuan, als er in die Region reiste und zwei Millionen Dollar für die Opfer spendete.

Nach drei starken Spielzeiten, in denen er von 246 Spielen gerade einmal zwei Partien verpasst hatte, begann sein Körper gegen die hohen Belastungen zu rebellieren, die Liste der Verletzungen ist beachtlich: Knochenmarksentzündung, Rückenprobleme, Bruch im linken Fuß, Bruch des rechten Knies, Ermüdungsbruch im linken Fuß, Stressfraktur im rechten Bein, Verschleiß des Kahnbeins. In den vergangenen sechs Spielzeiten verpasste er insgesamt 252 von 492 möglichen Spielen der regulären Saisons.

"Das Tragische ist, dass wir niemals erfahren werden, wie gut er wirklich hätte sein können", sagt Shane Battier, der die vergangenen fünf Jahre mit Yao bei den Rockets gespielt hat. Sechs Mal lief Yao im All-Star-Spiel der besten Akteure auf, vier Mal erreichte er die Playoffs - kam jedoch nie über die zweite Runde hinaus.

19 Punkte pro Spiel erzielte Yao in seiner Karriere, er schaffte 9,2 Rebounds und 1,9 Blocks. Seine Zeit in der NBA wurde häufig mit dem Begriff "Ming-Dynastie" umschrieben. Diese Dynastie ist nun vorbei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: