Kresimir Loncar überlegt einen Moment. Ob er damals, es sah ja schon ziemlich düster aus, gedacht habe, dass das Licht vielleicht ausgeht? Der Sportdirektor der Würzburger Bundesliga-Basketballer geht kurz in sich, dann sagt er: „So weit weg war es nicht.“
Es ist ein später Vormittag im Juli, vor allem aber ist es ein Tag, der – wenn man ihn ins Verhältnis zur Entwicklung des Klubs setzt – gar nicht so weit entfernt ist vom 18. Februar 2023. Damals setzte der Verein einen Notruf ab, einen Hilfeschrei, den er in seiner Mitteilung an die Öffentlichkeit mit den Worten überschrieb: „Appell an die Region: Sport ist ein wichtiger Standortfaktor.“
Das klang beinahe wie eine Plattitüde, etwa wie: Montags fängt die neue Woche an. Doch die Lage war ernst. So ernst, dass sich der Verein tatsächlich dazu veranlasst sah, die Menschen daran zu erinnern, wie wichtig Basketball für Würzburg ist. Eigentlich, sollte man meinen, bedarf das keiner Erklärung. Dirk Nowitzki kommt von hier, auch Maximilian Kleber hat es aus der alten Würzburger Turnhalle bis in die Hochglanz-Arenen der NBA geschafft. Dennoch hatte sich im Februar 2023 alles zugespitzt.
„Wir standen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Loncar, „wir hatten nichts mehr zu verlieren.“ Es fehlte eine halbe Million Euro, ohne die der Verein, so viel war klar, gar keine Lizenz mehr bekommen hätte – und die Zukunft von Trainer Sasa Filipovski, dem Baumeister des vorherigen Aufschwungs, stand auf Messers Schneide. Auf „fifty-fifty“ bezifferte Geschäftsführer Steffen Liebler damals die Chancen auf einen Verbleib Filipovskis und zeichnete dazu ein Bild, das alles andere als hell war.
Dabei muss man wissen, dass Liebler, Loncar und die Baskets schon eine Menge durchgemacht haben. Die Corona-Pandemie hätte sie beinahe in die Knie gezwungen, ein paar Mal stand das große Ganze auf dem Spiel, etwa im Dezember 2021, als die Mannschaft Letzter war, Trainer Denis Wucherer keine Zukunft mehr hatte und der Hauptsponsor auch noch seinen Rückzug ankündigte. Auf einmal hing alles am seidenen Faden.
Weil es am Ende aber doch immer irgendwie gutging, schlägt Loncar jetzt die Brücke zu seiner eigenen Zeit als Spieler. Der 41-Jährige war schon immer das, was die Leute einen Kämpfer nennen. Im Laufe seiner Karriere hatte er zwei Kreuzbandrisse, kaum jemand glaubte, dass er nach dem zweiten noch mal unter den Korb zurückkehren würde, doch Loncar wollte es allen zeigen und kehrte natürlich doch zurück.
„Ich habe es geschafft“, ruft Würzburgs Sportdirektor. Soll heißen: Es gibt eigentlich immer einen Weg. Und so war es auch beim Hilferuf vor eineinhalb Jahren. „Wir haben ein paar gute Entscheidungen getroffen“, sagt Loncar, „und dadurch haben wir einen Schritt nach vorne gemacht.“
Würzburgs sagenhafte Saison 2023/24 endet erst im BBL-Halbfinale gegen den späteren Meister FC Bayern
Tatsächlich sind es eher zwei oder drei Schritte. Würzburg, als Abstiegskandidat in die Saison gegangen, verpasste 2023 die Playoffs erst am letzten Spieltag und erlebte dann im darauffolgenden Jahr das beste seiner Klubgeschichte. Filipovskis Mannschaft wurde in der Hauptrunde Fünfter, bezwang in den Playoffs Ulm, den deutschen Meister, und stieß erst im Halbfinale gegen den FC Bayern an Grenzen. Ein außergewöhnlicher Weg, der sich nun auch in den Büchern niederschlägt: In nur zwei Jahren haben die Baskets ihren Etat von etwas mehr als drei Millionen Euro auf knapp sechs gesteigert – auch, weil vor knapp zwei Wochen eine Fitnessstudio-Kette als Namensgeber eingestiegen ist und dem Klub damit finanziellen Raum verschafft.
„Das ist eine Sicherheit für die nächsten Jahre“, sagt Kresimir Loncar. Er ist Anfang der Achtzigerjahre im damaligen Jugoslawien geboren, hat im Jahr 2000 erstmals die Heimat verlassen, kam zu den Baskets und kehrte später über Italien, die Ukraine, Russland und Spanien von Alba Berlin nach Würzburg zurück. Der Kreis hat sich geschlossen, die Baskets sind seine Heimat – und jetzt tut es der Klub also seinem Sportdirektor gleich: Er spielt international.
Rund eineinhalb Jahre nach dem verzweifelten Appell an die Region tritt Würzburg in der neuen Saison in der Champions League an. „Das ist eine Plattform für uns“, sagt Loncar. Er gesteht aber auch, dass er sich im Frühjahr, als allmählich absehbar war, wie hoch es hinausgehen könnte und die Planungen für die neue Saison liefen, noch gegen eine Teilnahme ausgesprochen hat. Die Reisen, die zusätzlichen Spiele, die zu erwartenden Verletzungen wegen der höheren Belastung – all das gab Loncar zu denken. In den vergangenen beiden Jahren haben die Baskets ja auch von ihrer Trainingsarbeit gelebt, von der Detailtiefe, mit der Filipovski seine Mannschaft auf den nächsten Gegner einstellte. Doch künftig wird die Zeit zum Trainieren weniger werden. Daher Loncars Skepsis, die mittlerweile, wie er sagt, doch von der Vorfreude überlagert wird.
„Die Mannschaft hat viel Talent. Sie braucht Zeit, aber sie wird sich entwickeln“, sagt der Sportdirektor und richtet den Blick auf die Bundesliga: „Es wäre zwar utopisch, von den Playoffs zu sprechen, aber die Playins sind das Ziel.“ Ein Platz unter den ersten Zehn soll es also schon werden. Und in der Champions League, da werde bestimmt auch alles gut gehen, sagt Loncar und hängt dann noch diesen einen klingenden Satz an, der vor einem Jahr nicht mal in den kühnsten Träumen der Fans Platz gefunden hätte: „Würzburg zeigt sich in Europa.“