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Basketball:Wühlen wie ein Schwerstarbeiter

Daniel Theis ist der erste Deutsche seit Dirk Nowitzki mit realistischen Chancen auf den NBA-Titel. Mit den Boston Celtics ist der 28-Jährige gerade aussichtsreich in den Playoffs unterwegs.

Von Jonas Beckenkamp, Orlando/München

Die freundlichen Worte für Daniel Theis kamen diesmal von einem der Größten und Gewichtigsten des Basketballs. Der viermalige NBA-Champion Shaquille O'Neal, der seit vielen Jahren für den Fernsehsender TNT Spiele der nordamerikanischen Profiliga analysiert, geriet ins Schwärmen: "Dieser Junge erinnert mich an den Birdman!" Er wisse zwar nicht, wer dieser Theis sei, aber man darf den Vergleich mit dem "Birdman" Chris Andersen durchaus als große Anerkennung verstehen. Andersen galt in seiner besten Zeit Ende der Nullerjahre als energischer Basketball-Punk mit Hang zum Spektakel.

Die Arme des Niedersachsen Theis, 28, sind ähnlich bemalt, er bringt als großer Flügelspieler bei den Boston Celtics ähnliche Kämpfer-Qualitäten mit - und er könnte wie Andersen ebenfalls bald ein NBA-Champion sein. Ein Deutscher mit realistischen Titelchancen, das gab es seit Dirk Nowitzki im Jahr 2011 nicht mehr. Boston fehlt nach dem 111:89 in Spiel fünf der Zweitrundenserie gegen die Titelverteidiger Toronto Raptors nur noch ein Sieg zum Einzug ins Playoff-Halbfinale. Theis hatte enormen Anteil daran, dass die Celtics nun mit 3:2 Siegen führen. Er stand erneut in der Startaufstellung, wo er wühlte und verteidigte wie ein Schwerstarbeiter.

Gerade sein Sinn für die fundamentalen Aspekte des Spiels machen den 2,03-Meter-Mann zum Gewinn. Er rennt jedem Ball hinterher, stellt Blöcke und rollt geschickt zum Korb ab. Er nimmt, was das Spiel ihm an Chancen offeriert, macht aber keine unüberlegten Dinge und opfert sich stets fürs Team auf - genau das lieben sie in Boston an seiner Spielweise.

Theis, der in dieser Saison durchschnittlich fast zehn Punkte pro Partie erzielt, kennt seine Aufgabe genau: Als klassischer Rollenspieler, der auf dem Parkett sofort Betriebstemperatur erreicht, profitiert er davon, dass die Gegner sich häufig auf seine Kollegen konzentrieren. Auf die Außenspieler Jaylen Brown (27 Zähler in Spiel fünf) und Jayson Tatum oder auf Taktgeber Kemba Walker. Das schafft Räume für den Rest. Dabei ist der deutsche Nationalspieler keiner, den man offen stehen lassen sollte. Wenn Platz ist, trifft auch er seine Würfe. So wie gegen die Raptors, als er mit 15 Punkten, acht Rebounds und zwei Blocks eine fast perfekte Partie hinlegte. Hätte er nicht einen Freiwurf vergeben, wäre ihm das Kunststück einer hundertprozentigen Trefferquote gelungen.

Mit seiner Effizienz half Theis kräftig mit, die zuletzt so starken Kanadier aus Toronto zu entnerven. In der Abwehr stand er stets im Weg, egal, ob dem spanischen Riesen Marc Gasol oder den anderen langen Männern der Raptors. "Wir waren sehr aktiv. Wir haben versucht, hart zu spielen, so hart wir konnten", fasste es Celtics-Trainer Brad Stevens zusammen, der damit ganz bestimmt auch Theis gemeint haben dürfte: "Wir hatten ein großes Ziel vor Augen. Das konnte man von Anfang an spüren."

Dieses Ziel ist der NBA-Titel - und es könnte tatsächlich bald wieder ein Deutscher um ihn spielen. In der Ost-Hälfte der Liga erwartet die Celtics zumindest keine so schwere Konkurrenz wie im Westen, wo LeBron James (L.A. Lakers), Kawhi Leonard (L.A. Clippers) und James Harden (Houston Rockets) mit ihren Klubs einen Finalteilnehmer ausspielen. Daniel Theis würde sich aber auch ihnen gewiss entgegenstellen, mit allem, was er hat. So wie einst die große Zirkusnummer Chris "Birdman" Andersen.

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SZ vom 09.09.2020
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