Basketball:Wahnsinn im März

NCAA Basketball: NCAA Tournament-West Regional-Texas A&M vs Oklahoma

Eine Etage zu hoch: Oklahomas Isaiah Cousins (mit Ball) zeigt den Spielern der Texas A&M University ihre Grenzen auf - und 18000 Zuschauer sehen zu.

(Foto: Richard Mackson/Reuters)

Einmal im Jahr versetzen die US-Colleges bei der "March Madness" ihre Nation in den Ausnahmezustand. Längst hat die Ausschlussrunde Dimensionen wie im Profisport erreicht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Steve sieht aus wie eine Ente, die Urlaub macht. Er geht nicht über den Parkplatz der Sportarena in Anaheim, in den Flossenschuhen an seinen Füßen ist nur watscheln möglich. Hinter ihm laufen wie Küken ein paar Freunde, sie tragen wie Steve grüne Hawaiihemden mit goldenen Blumen darauf und grüne Mützen, auf denen in gelben Buchstaben "Quack" steht. Steve findet die Beschreibung mit der Ente im Urlaub ein tolles Kompliment.

Er ist ein Absolvent der University of Oregon, Abschlussjahrgang 1997, die Sportteams werden Ducks genannt. Die Enten. Die Basketballmannschaft tritt gleich im Achtelfinale der amerikanischen Universitäts-Meisterschaft gegen die Duke University an. Die heißen Blue Devils, weshalb auf diesem Parkplatz Menschen zu sehen sind, die nur eine blaue Badehose oder einen blauen Bikini tragen. Körper und Gesicht sind mit blauer Farbe eingerieben. Auf die Köpfe haben sie sich Hörner gesetzt. Steve kontert auf Frotzeleien mit einer Aussage zu den akademischen Fähigkeiten von Duke-Studenten.

Bereits am Nachmittag siegten in dieser Halle vor 18 000 Zuschauern die Sooners (Oklahoma University) mit 77:63 gegen die Aggies (Texas A&M University), nun spielen die Ducks gegen die Blue Devils. Die billigste Karte für beide Spiele kostet 110 Dollar, auf dem Parkplatz werden bis zu 400 Dollar ausgerufen. Das Viertelfinale wird am Samstag ebenfalls in Anaheim ausgetragen, der Sieger darf Anfang April zum Final-Four-Turnier mit Halbfinale und Endspiel nach Houston fahren.

Die Ausschlussrunde im College-Basketball wird in den Vereinigten Staaten "March Madness" genannt, der Wahnsinn im März, was eine gewaltige Untertreibung ist. In Anaheim geht es an diesem Donnerstagnachmittag verrückter zu als im nur wenige Kilometer entfernten Disneyland. Ach was: Es ist die Hölle los. Da laufen Menschen als Enten und Teufel verkleidet über Parkplätze, eine Frau aus Oklahoma hat oberhalb ihrer weitgehend entblößten Brüste vermerkt, dass Jesus ein Fan der Sooners sei.

Natürlich klingt "Uni-Meisterschaft" nach Amateur-Turnier, offiziell ist es das auch. Alle Athleten sind laut Reglement Amateure, einer Studie aus dem Jahr 2014 zufolge allerdings erhält ein Basketballspieler an einer amerikanischen Uni über Stipendien, Mietnachlass, Essen und Tutorenprogramme in den vier Jahren bis zum Abschluss insgesamt Zuschüsse im Wert von durchschnittlich 212 000 Dollar. Für die Unis ist das kein Problem, die komplette Sportabteilung der Oregon University, vom an diesem Abend natürlich anwesenden Nike-Gründer und Oregon-Absolventen Phil Knight großzügig gefördert, setzt pro Jahr 196 Millionen Dollar um. Das sind Summen wie im Profi-Sport. Mike Krzyzewski, der Trainer von Duke, verdient 9,6 Millionen Dollar im Jahr. Er hält das nicht für übertrieben: "Für einen Monat im Jahr vereint der Uni-Basketball eine komplette Nation, weil es so verdammt großartig ist."

Die Amerikaner sind beim Uni-Sport emotionaler involviert als bei den Profis. Wer eine Uni besucht hat, der hat das Logo für immer auf seinem Herzen tätowiert. "Die Wahl der Uni ist die erste wichtige Entscheidung im Leben, die man selbst und ganz alleine trifft", sagt Steve: "Und dann sitzt der Typ, der gestern 24 Punkte erzielt hat, im Soziologie-Kurs neben einem." Nach dem Abschluss, da beginnt das Leben und damit auch der Ernst, Steve leitet heute eine Werbeagentur. Athleten müssen als Profis auf persönliche Statistiken achten, eine Marke verkörpern und Sätze in Mikrofone diktieren. Am College, da dürfen sie einfach nur Sportler sein. Dennis Clifford von der Boston University etwa wurde in diesem Jahr berühmt, weil er nach der schlimmen Niederlage in der ersten Runde gefragt wurde, was seine beste Erinnerung an die vier Jahre im College sei. Clifford sagt 20 Sekunden lang nichts, er starrt zu Boden, er weint. Er sagt, und das ist wohl die traurigste Antwort, die jemals ein Student auf diese Frage gegeben hat: "Essen gehen."

Seit 1939 gibt es dieses Turnier, die Vereinigung der amerikanischen Basketballtrainer hat es initiiert, der College-Verband NCAA ein Jahr später übernommen. Zunächst durften acht Mannschaften teilnehmen, mittlerweile sind es inklusive einer Mini-Vorrunde 68 Universitäten. Gespielt wird im K.o.-Format: Wer verliert, scheidet aus. Die Amerikaner analysieren die Setzliste wie Aktienkurse, dann wird das komplette Tableau bis zum Finale getippt. Vor zwei Jahren hat der Unternehmer Warren Buffet eine Milliarde Dollar ausgelobt für den, der alle 67 Spiele richtig tippt - keiner schaffte es. Insgesamt wetten die Amerikaner pro Jahr etwa 1,3 Milliarden Dollar auf den Ausgang der Spiele während des Wahnsinns im März.

Steve wird wieder wie eine Ente im Urlaub aussehen und seine Frau keine Unterwäsche tragen

Präsident Barack Obama hat auch so ein Tableau ausgefüllt, er setzt auf Kansas als Meister, das am Donnerstag gegen Maryland gewann. Der Reiz dieses Turniers besteht darin, dass es jederzeit vorbei sein kann. Dass eine unbekannte Uni wie Middle Tennessee in diesem Jahr den haushohen Favoriten Michigan State in der ersten Runde aus dem Turnier kegelt. Oder dass die North Carolina State University mit dem herrlichen Spitznamen Wolfpack im Jahr 1983 in den ersten beiden Runden beinahe ausscheidet und später sogar das Finale gegen die favorisierte University of Houston gewinnt.

"Ich würde jedes meiner Lieblings-Profiteams aufgeben, nur damit Oregon ein Spiel im Jahr mehr gewinnt", sagt Steve. Es gibt ein paar Rituale in seinem Haushalt wie etwa jenes, dass seine Frau bei Spielen keine Unterwäsche mehr tragen darf, seit Oregon deshalb vor Jahren eine wichtige Partie gewonnen hat. Steve trägt an diesem Abend eine grüne Unterhose, wie immer. Es hilft: Die Ducks gewinnen 82:68. "Ich rede mir ein, dass ich durch mein Anfeuern und durch gezielte Spitzen gegen die Duke-Fans meinen Teil zu diesem Sieg beigetragen habe", sagt er: "Wichtiger ist jedoch, dass ich das mit meinen Freunden aus der Unizeit erlebt habe, die für mich fast so wichtig sind wie meine Ehefrau."

Am Samstag wird Steve wieder nach Anaheim kommen, er wird wieder wie eine Ente im Urlaub aussehen, seine Frau wird keine Unterwäsche tragen. Er will das Spiel gegen Oklahoma live sehen, auch wenn er deshalb das Baseballspiel seines Sohnes verpasst. "Er versteht das", sagt Steve. Die Bedeutung der March Madness kennen schon fünfjährige Jungs.

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