Süddeutsche Zeitung

Basketball:Überlebensgroß

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In seinem letzten Spiel brilliert Kobe Bryant nochmal - in den Huldigungen geht unter, dass er nicht nur für Titelgewinne der Los Angeles Lakers gesorgt hat, sondern auch für ihren Niedergang.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Noch fünf Sekunden zu spielen, der Ball in meiner Hand. 5 . . . 4. . . 3 . . . 2 . . .1" - so endet das Sonett Dear Basketball, mit dem Kobe Bryant im November sein Karriereende angekündigt hat. Er beschreibt diesen Moment, in dem eine Partie reduziert wird auf diese eine Aktion, die über Wohl oder Wehe entscheidet.

Am Mittwoch, Bryants letztes Spiel: noch ein paar Sekunden, der Ball in seiner Hand. Er wirft. Trifft. Bringt die Los Angeles Lakers gegen Utah Jazz in Führung, zum ersten Mal an diesem Abend. Die Lakers gewinnen 101:96, Bryant erzielt 60 Punkte. Dass die Lakers die Saison mit der schlechtesten Bilanz ihrer Geschichte beenden? Egal! Mehr als 19 000 Menschen feiern, als hätte der Klub den Titel gewonnen.

Es kommt auf die Perspektive an, wie man diesen Abend, diese Saison, diese Karriere betrachtet. Nach dem Spiel, in der Umkleidekabine der Lakers, wirkt Kobe Bryant keineswegs müde wie ein 37 Jahre alter Akteur mit kaputten Knochen. Er hüpft herum, umarmt ehemalige Kollegen, ruft immer wieder: "Yeah, baby! Yeah, baby!" Als er sich doch einmal hinsetzt, sagt er: "Es ist schon verrückt, dass ich am Ende vom Bösewicht zum Helden werde. Dabei hat jeder Mensch beiden Seiten in sich - es kommt nur auf die Perspektive an."

Ein letzter Gruß: Kobe Bryant verlässt unter großem Beifall die große Basketball-Bühne in Los Angeles.

Mehr als 19 000 Menschen feiern den 37-Jährigen beim letzten Spiel seiner beeindruckenden Laufbahn.

Auch Shaquille O'Neal verabschiedet den Star, obwohl die beiden in ihren gemeinsamen Zeiten bei den Lakers ein sehr schwieriges Verhältnis hatten.

Zwei Größen unter sich: Der junge Kobe Bryant (links) und der schon etwas ältere Michael Jordan im Jahr 1998.

Einer der vielen Höhepunkte von Bryants (r.) Karriere: Die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Peking 2008.

Sie war das Sahnehäubchen auf einem außergewöhnlichen Jahr: Bryant hatte als jüngster Spieler der NBA-Geschichte die 20 000-Punkte-Marke übertroffen.

Insgesamt gewann er fünf NBA-Titel mit den Lakers, zuletzt im Jahr 2010. Doch außer ihm durfte niemand für Siege und Titel verantwortlich sein.

2012 holte das US-Team mit Bryant bei den Olympischen Spielen in London erneut die Goldmedaille. Doch in der Liga wurde er langsamer und unpräziser.

Zum Abschied werden nur die glanzvollen Aspekte gezeigt: Bryant als einer, der nicht nur Spiele und Titel gewonnen hat, sondern auch Herzen.

Weil man über Verstorbene und Zurückgetretene nur Gutes sagt, werden nun überall seine Erfolge der vergangenen 20 Jahren gerühmt: 33 643 Punkte in der NBA, fünf Titel mit den Lakers, zuletzt im Jahr 2010. Seit 2009 Mitglied im erlesenen Kreis jener Akteure, die sowohl zum wertvollsten Spieler einer Saison als auch einer Finalserie ausgezeichnet worden sind. Olympia-Gold 2008 und 2012.

Die meisten Höhepunkte liegen zwar Jahre zurück, doch an diesem Abend wollen alle Bryant noch einmal möglichst nahe kommen. Die Arena in Los Angeles gleicht einer Festung, die keine störende Meldung zulässt. Dass die Golden State Warriors zur gleichen Zeit ihren 73. Saisonsieg schaffen und damit den NBA-Rekord der Chicago Bulls brechen, bleibt draußen.

Wer die Bedeutung von Bryant für die Lakers, für Los Angeles und die NBA verstehen möchte, muss an diesem Abend zu dieser Halle kommen. Die nahe U-Bahn-Haltestelle ist für diesen Tag in "Kobe" umbenannt worden, alle Besucher bekommen ein schwarzes Kobe-T-Shirt mit der Aufschrift "Love", einige gar einen von Bryant signierten Ball. Prominente wie die Musiker Jay-Z und Kanye West oder der Schauspieler Jack Nicholson sitzen am Spielfeldrand, an einem Stand wird wegen Bryants Spitzname Black Mamba eine Mütze aus Schlangenhaut für 38 024 Dollar angeboten - und verkauft. In der Umkleidekabine der Lakers liegt für jeden Mitspieler ein Kobe-Paket mit schwarzen Schuhen und Bryant-Trikot bereit. In Bryants Spind liegt derweil ein Buch mit dem Titel Serial Killer. Eine Anspielung darauf, dass er in Los Angeles oft auch Karrieren von Kollegen zerstört hat. Wer es hingelegt hat, bleibt ungewiss. Als Bryant die Kabine betritt, ist es weg. Nur nichts Negatives an diesem Abend, auch keinen doofen Scherz.

Bryant hat immer wieder gesagt, er wolle sich keine Freunde machen in dieser Liga, keine Herzen gewinnen, nur Spiele und Titel. So wurde er für viele zur Hassfigur.

In fremden Hallen verabschiedet man Bryant respektvoll - und schießt seine Lakers dann ab

Der verbissene Bryant hat seine Geschichte in den vergangenen Monaten umgeschrieben, weil er seine Perspektive und damit auch die der Beobachter verändert hat. Seit der Rücktrittsankündigung sind die Lakers ein Wanderzirkus, die Auftritte in gegnerischen Arenen laufen stets gleich ab: Bryant gibt nicht mehr den furchterregenden Gegner, sondern den bescheidenen Gast. Er wird respektvoll verabschiedet, dann werden die Lakers aus der Halle geschossen. Einst erbitterte Gegenspieler wie LeBron James und Stephen Curry bitten um Autogramme, als wären sie Schuljungs. Bryant bekommt Geschenke, etwa ein Stück Parkett aus der Arena in Boston. Es sind Veranstaltungen mit nur einem Ziel: der Huldigung Bryants.

Er ist ein gerne gesehener Gast, weil er keine Bedrohung mehr darstellt. Weil die Lakers so schrecklich schlecht sind. Schuld daran ist: Kobe Bryant.

Er hat 2013, bereits 35 Jahre alt und von Verletzungen geplagt, einen Zwei-Jahres-Vertrag unterzeichnet, der ihm 48,5 Millionen Dollar garantiert hat. Damit blieb er der höchstbezahlte NBA-Profi, das war ihm wichtig. Er trieb damit aber auch seinen Klub in die Enge: Wegen der Gehaltsobergrenze, die die NBA vorgibt, konnten ihm die Lakers nur noch minderbegabte und billige Arbeitskräfte zur Seite stellen. Sie wurden zur Lachnummer der Liga. In den vergangenen zwei Jahren gewannen sie nicht mal ein Viertel ihrer Partien.

Natürlich kann man auch das aus unterschiedlichen Perspektiven sehen. "Manchmal muss man im Pool ganz nach unten und nach Luft japsen, um zu wissen, wie es sich oben anfühlt", sagte Bryant im Februar. Was ihm dabei egal ist: die Kollegen, die nach jedem Spiel enttäuscht auf ihren Bänken hocken; die Fans, die keine Siege mehr feiern dürfen, sondern Bryant zusehen müssen, wie er immer häufiger vorbei wirft - häufiger als jeder andere Spieler in der NBA-Geschichte. Bryant will fühlen, wie sich das Verlieren anfühlt, um seine Siege noch intensiver genießen zu können.

Noch eine andere Perspektive: Die Lakers haben den bombastischen regionalen TV-Vertrag (vier Milliarden Dollar für 20 Jahre, mehr erhält kein Sportklub der Welt von lokalen Sendern) im Jahr 2011 vor allem wegen Bryant bekommen. Was sind da schon 48,5 Millionen Dollar und zwei schreckliche Spielzeiten?

Die negativen Aspekte dieser Karriere, sie müssen am letzten Abend draußen bleiben, vom Gesamtbild lassen sie sich jedoch nicht entfernen. Ja, er wollte immer gewinnen, es durfte aber niemand sonst den Ruhm für Siege und Titel für sich beanspruchen. Bryant sorgte dafür, dass der Center Shaquille O'Neal im Jahr 2004 frustriert abhaute, er verhinderte damit wohl noch mehr Erfolge für die Lakers. Bryant wollte einen Titel quasi alleine gewinnen, das gelang ihm 2009. Doch auch danach vergraulte er noch Mitspieler wie Dwight Howard, Jeremy Lin und Pau Gasol; eine Zeit lang hatte man das Gefühl, von den besseren NBA-Profis wolle keiner mehr nach Los Angeles kommen und mit ihm spielen. Wenn die Lakers in den kommenden Spielzeiten nicht konkurrenzfähig sind, dann liegt das zum Großteil auch an Bryant. Abseits des Parketts plagte er sich mit dem Vorwurf der sexuellen Nötigung, er einigte sich außergerichtlich mit dem Opfer.

Am Mittwoch werden nur die glanzvollen Aspekte gezeigt. Bryant wird verabschiedet als einer, der nicht nur Spiele und Titel gewonnen hat, sondern auch Herzen. Weil er in den letzten Monaten seiner Karriere nicht mehr so verbissen daherkommt, sondern tatsächlich sympathisch.

Nach dem Spiel, das noch einmal grandios für ihn gelaufen ist und nach dem er sich mit den Worten "Mamba Out" verabschiedet hat, sitzt Bryant in den Katakomben, noch immer hat er das Trikot an. "Ich kann es nicht ausziehen. Noch nicht. Meine Kinder haben heute gesehen, wie ich früher oft gespielt habe", sagt er: "Ich will mich so in Erinnerung behalten.

Ich will, dass mich alle so in Erinnerung behalten." Auf dem Star Plaza vor der Arena sind sieben Männer verewigt, die den Sport in Los Angeles geprägt haben: die Basketballer Magic Johnson, Jerry West und Kareem Abdul-Jabbar, die Eishockeyspieler Wayne Gretzky und Luc Robitaille, der Boxer Oscar de La Hoya, der Radio- und TV-Kommentator Chick Hearn. Die Bronzefiguren sind alle größer als die Menschen, weil die während ihrer Karriere auch überlebensgroß wirkten. Kobe Bryant, der immer noch ein bisschen größer sein wollte als die Überlebensgroßen, wird in ein paar Jahren auch eine Statue bekommen. Aus seiner Perspektive wird sie wohl ein paar Zentimeter größer erscheinen als alle anderen.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2016
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