Basketball:System­vergleich in der Parallel­welt

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Das erste Euroleague-Duell der deutschen Topklubs Alba Berlin und Bayern München ist auch ein Kräftemessen der führenden Basketball-Philosophien in Europa.

Von Joachim Mölter, Berlin/München

Selbst die Profis scheinen allmählich den Überblick zu verlieren über das Geschehen im Basketball, was ja kein Wunder ist, wenn sie in zwei Spielbetrieben beschäftigt sind, die parallel laufen wie die Bundesliga und die Euroleague mit jeweils mehr als 32 Runden. Als der für den FC Bayern München tätige Alex King vor der Partie bei Alba Berlin am Mittwoch (20 Uhr, Magentasport.de) den Gastgebern die Favoritenrolle zuschieben wollte mit dem Argument, "die sind in der Tabelle vor uns", schaute er jedenfalls in überraschte Gesichter. Da stutzte King selbst und fragte lieber nach: "Oder nicht?" Allgemeines Kopfschütteln. "Wir sind mit einem Sieg vorne?" Kopfnicken. "Ja dann", beschloss King, "dann sind wir auf jeden Fall und definitiv Favorit." Eine Einschätzung, die er mit Marco Baldi teilt, dem Geschäftsführer von Alba. "Wir sind klarer Außenseiter", sagte der 57-Jährige vor der nächsten Auflage des Dauerduells.

15 Mal sind Alba Berlin und der FC Bayern München allein in den vergangenen beiden Jahren aufeinandergetroffen, darunter in den Finalserien um die deutsche Meisterschaft. Meist gingen die Münchner als Sieger vom Parkett, zuletzt im Bundesliga-Heimspiel vor einem Monat (84:80). An diesem Mittwoch stehen sich die Klubs nun erstmals in der Euroleague gegenüber, auf der höchsten europäischen Bühne also. Das sollte im Grunde nichts ändern an der Favoritenrolle, tut es aber insofern doch, als dass die Münchner in dieser Saison noch kein Auswärtsspiel in diesem Wettbewerb gewonnen haben. "Einen klaren Favoriten gibt es nicht", findet deshalb Danilo Barthel, der Kapitän des FC Bayern.

Im Anflug: Maodo Lo wird beim Aufeinandertreffen im November unterm Korb attackiert. (Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Auf europäischer Ebene liegen die deutschen Rivalen näher beieinander als auf nationaler, wo sie derzeit Erster und Dritter sind. In Europa haben beide Teams von ihren letzten vier Spielen nur eins gewonnen und rangieren im unteren Tabellenviertel, die Münchner mit 5:8 Siegen auf Platz 15, die Berliner mit 4:9 unmittelbar dahinter. Beide Klubs haben sogar ähnlich viele verletzte Spieler. Abseits des Parketts trennen die Klubs dann aber Welten. Die französische Sportzeitung L'Équipe hat jüngst eine Geldrangliste der 18 Euroleague-Teams veröffentlicht, in der der FC Bayern mit einem geschätzten Etat von 23 Millionen Euro im Mittelfeld rangiert und Alba Berlin mit elf Millionen auf dem vorletzten Rang, unterboten nur von Roter Stern Belgrad (8,3 Millionen). "Wir müssen alles aus eigener Kraft generieren", erklärt Baldi: "Wir sind kein Klub, der einen Uli Hoeneß im Rücken hat." Der ehemalige FC-Bayern-Präsident hat den Basketballern ja etliche Sponsoren beschafft. Auch auf einen potenten Fußballverein im Hintergrund wie Real Madrid, FC Barcelona, Fenerbahce Istanbul kann Alba Berlin nicht zurückgreifen.

Der am kommenden Freitag in München gastierende FC Barcelona hat unlängst einen Etat von 41 Millionen Euro für seine Basketball-Abteilung bestätigt, das höchste Budget in dieser Euroleague-Saison. Dabei ist ein Defizit von rund 31 Millionen einkalkuliert, das mit den Gewinnen der Fußballer ausgeglichen wird. "So können wir nicht arbeiten. Ich muss am Ende des Jahres auf eine schwarze Null kommen", sagt Alba-Geschäftsführer Baldi und fügt hinzu: "Auf der Einnahmeseite können wir in Europa absolut mithalten. Aber auf der Ausgabenseite sind wir zwanzig bis 25 Millionen Euro weg von der Spitze." In Berlin sind sie stolz darauf, dass sie trotz ihrer begrenzten Mittel durchaus konkurrenzfähig sind, wie die knappen Niederlagen nach Verlängerung bei den Istanbuler Spitzenklubs Anadolu Efes (105:106) und Fenerbahce (102:107) bestätigen.

Ganzer Einsatz, von beiden Seiten: Alba-Profi Luke Sikma (li.) beim Duell mit dem Münchner Alex King Anfang November. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Differenz in den Etats schlägt sich auch bei den Ambitionen der deutschen Topklubs nieder. Während Alba seine junge Auswahl vor allem zum Lernen in die höchste europäische Klasse schickt, hat der FC Bayern einen Kader zusammengestellt, der sich in Richtung Playoffs bewegen, also um einen Platz unter den besten Acht kämpfen soll. Von diesem Ziel haben sich die Münchner mit einigen Niederlagen im November zwar etwas entfernt, aber Danilo Barthel glaubt: "Wir haben die Möglichkeit, das im Dezember noch ein wenig rumzureißen." Ein Auswärtssieg in Berlin wäre da ein guter Anfang.

Dabei kommt es in der Arena nahe des Ostbahnhofs ein weiteres Mal zum Anschauungsunterricht der in Europa führenden Basketball-Philosophien. Während der FC Bayern unter dem aus Montenegro stammenden Coach Dejan Radonjic, 49, die jugoslawische Schule pflegt, hat sich Alba der spanischen Linie zugewandt, die Aito Garcia Reneses, 72, verkörpert.

"Wir sind sehr defensiv geprägt, Alba eher offensiv", erklärt Bayern-Kapitän Barthel den grundlegenden Unterschied. Der ehemalige Berliner Alex King findet: "Man sieht den Einfluss dieser spanischen Kultur. Alba schließt im Angriff schnell ab, verteidigt sehr aggressiv, macht die Passwege zu und versucht, schnell wieder an den Ball zu kommen." Während das Spiel der Berliner freier und kreativer ist, setzt der FC Bayern auf Struktur und Disziplin. "Wir müssen unsere Systeme gut durchlaufen", erklärt King das Erfolgsrezept. Anders formuliert: Die Münchner müssen das Tempo der Berliner drosseln.

Alba-Kapitän Niels Giffey kennt alle Philosophien, die es im Basketball so gibt. Die amerikanische hat er während seiner Collegezeit in Connecticut studiert, die jugoslawische in Berlin einst unter dem serbischen Trainer Sasa Obradovic praktiziert. Die spanische gefällt ihm am besten. "Aito ist ein Professor von der Art und Weise, wie er lehrt", schwärmt der 28-Jährige: "Das ist ein angenehmer Druck, der aufgebaut wird. Man sieht, dass die Spieler sich verbessern." Zu einem Titel hat es zwar noch nicht gereicht seit Aitos Amtsantritt vor drei Jahren, aber Alba hat seitdem schon fünf Finals erreicht - zwei in der Bundesliga, zwei im Pokal, eins im Eurocup. Die Berliner flößen ihren Gegnern zunehmend Respekt ein. Danilo Barthel findet jedenfalls: "Wir müssen 40 Minuten Top-Basketball spielen, um dort zu gewinnen."

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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