Basketball:Smart statt zart

Basketball Berlin 28.11.2019 Euroleague Regular Season Saison 2019 / 2020 Alba Berlin - Zalgiris Kaunas Niels Giffey (A

Im richtigen Moment: Alba-Kapitän Niels Giffey ist derzeit der treffsicherste Distanzschütze in Europa.

(Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Alba Berlins Kapitän Niels Giffey ist aktuell der akkurateste Distanzschütze der Euroleague - für sein Team ist jedoch etwas anderes noch wichtiger.

Von Joachim Mölter, Berlin/München

Wenn der Tabellenachte den Vierzehnten erwartet, macht das erst mal wenig her. Für den Vergleich zwischen Khimki Moskau und Alba Berlin an diesem Donnerstagabend kündigt die Basketball-Euroleague freilich Aufregendes an auf ihrer Homepage: das Duell zweier spektakulärer Schützen, Khimkis Alexej Schwed und Albas Niels Giffey. Schwed hält den Ligarekord für die meisten verwandelten Drei-Punkte-Würfe in einer Saison, 107 waren es in der Spielzeit 2017/18; Giffey ist aktuell der mit Abstand präziseste Distanzschütze des Wettbewerbs, 19 seiner 27 Würfe von jenseits der 6,75-Meter-Linie sind im Korb gelandet, mehr als 70 Prozent. Damit ist auch Giffey auf Rekordkurs: Über eine ganze Saison gerechnet hat noch keiner in der Euroleague mehr als 60 Prozent seiner Dreier verwandelt; Schwed zum Beispiel hat in seinem Rekordjahr nur bei jedem dritten Versuch getroffen. Alba-Geschäftsführer Marco Baldi mag am liebsten gar nicht über die Leistung seines Kapitäns sprechen; der 57-Jährige weiß aus Erfahrung: "Immer, wenn man anfängt, so ein Thema zu vertiefen, geht es in die andere Richtung." Auch Giffey findet es kaum der Rede wert, dass er momentan als akkuratester Dreierschütze der Liga annonciert wird. "Ich glaube nicht, dass ich ein besonderer Spezialist für eine Sache bin", sagt der 28-Jährige, "ich bin relativ variabel einsetzbar."

In der Tat ist Giffeys Vielseitigkeit derzeit noch wichtiger für Alba als seine Treffsicherheit. Nominell firmiert der Zwei-Meter-Mann als Small Forward, als kleinerer Flügelspieler. Er kann aber auch als Shooting Guard spielen, und zuletzt hat er häufig als Power Forward aushelfen müssen, weil Alba von einer unglaublichen Verletzungsserie unter den großen Männern geplagt wird. Tyler Cavanaugh (2,06 Meter; Bänderriss), Tim Schneider (2,08; Lungenentzündung) und Johannes Thiemann (2,06; Gehirnerschütterung) fehlen seit Wochen; selbst der kurzfristig nachverpflichtete Bogdan Radosavljevic (2,13) fiel jüngst mit einer Bänderdehnung aus. Also hat sich Giffey mit seinen 93 Kilo notgedrungen auch gegen größere, kräftigere, schwerere Gegner gestemmt und so dazu beigetragen, dass Alba im europäischen Wettbewerb mit 4:8 Siegen besser dasteht als angesichts der Umstände zu erwarten war.

"Man unterschätzt seine Athletik", findet Baldi, der eine simple Erklärung dafür hat: Giffeys blasse Haut. "Dadurch wirkt er ein bisschen zart", sagt der Manager, versichert aber sofort das Gegenteil: "Niels ist ein sehr explosiver Spieler. Er kann sich auch unter dem Korb durchsetzen."

Wenn man Giffey über längere Zeit beobachtet, bekommt man den Eindruck: Er kann alles. Vieles von dem, was er auf dem Spielfeld tut, schlägt sich freilich nicht in Statistiken nieder: Er hält da mal eine Hand dazwischen, drängt dort einen Angreifer aus dem Rhythmus und verhindert so einen Korberfolg des Gegners; er passt da den Ball weiter zu Mitspielern, fängt ihn dort noch schnell ein, bevor er ins Aus hüpft und leitet so einen Korb von Alba ein. "Das ist kein aktiver Gedankengang, dass ich sage, ich muss jetzt das und das und das machen", sagt er über die vielen Kleinigkeiten, die er wie nebenbei erledigt: "Es ist einfach so, dass ich Wert darauf lege, viele Teile des Spiels richtig zu machen."

Es macht Giffey nichts aus, von der Bank zu kommen

Tatsächlich macht Niels Giffey selten etwas falsch, er ist smart wie nur wenige, wirft zum Beispiel kaum so wild wie es der Kollege Schwed oft macht. Ihm gehe es darum, "die richtigen Momente zu finden, nur qualitativ hochwertige Würfe zu nehmen", erklärt Giffey seine hohe Trefferquote aus der Distanz. Er weiß auch, wem er es zu verdanken hat, wenn er in eine gute Wurfposition gekommen ist: "Das hat viel mit der Spielintelligenz der Mannschaft zu tun", sagt er, "viele unserer Würfe sind nicht erzwungen, sondern kommen aus dem Spielfluss, den wir uns als Team über die Jahre erarbeitet haben, aus dem Verständnis, wann man wen sucht."

Seine eigene Spielintelligenz hat Niels Giffey unter vielen Trainern geschult, zunächst in der Alba-Jugend beim heutigen Bundestrainer Henrik Rödl, später an der University of Connecticut bei amerikanischen Lehrern, unter denen er zweimal die Studentenmeisterschaft der USA gewann, 2011 und 2014. Zurück bei Alba durchlief er zunächst die jugoslawische Schule unter Sasa Obradovic, inzwischen geht er in die spanische bei Alejandro "Aito" Garcia Reneses. "So wie Aito denkt und spielen lässt, gefällt mir das schon sehr", sagt Giffey: "Er macht alles sehr, sehr positiv. Er macht den Basketball sexy."

Der gebürtige Berliner fühlt sich gerade sichtlich wohl bei Alba, seinem Heimatklub. "Ich habe mich in meine Rolle eingefunden", sagt Giffey und versichert, dass es ihm nichts ausmache, von der Bank zu kommen. Es gibt ja Spieler, die großen Wert darauf legen, in der Starting Five zu stehen, der Anfangsformation. Giffey braucht das nicht für sein Selbstvertrauen. "Er ist sich seines Wertes für die Mannschaft total bewusst", hat Geschäftsführer Baldi festgestellt. Und dieser Wert bemisst sich nicht nur an verwandelten Distanzwürfen. Giffey ist klug genug, um auch gegen Khimki nichts erzwingen zu wollen. Seine Bedeutung für Alba wird ja nicht geringer, wenn seine Trefferquote sinkt. Er hat genug andere Möglichkeiten, seinem Team zu helfen.

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