Basketball-Playoffs:Die glorreichen Sieben, Teil 2

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"Charakter ist wichtiger als Talent" - das ersatzgeschwächte Vechta düpiert Pokalsieger Bamberg. Nach der Energieleistung stellt sich nun die Frage: Wie lange reicht die Kraft?

Von Joachim Mölter, Vechta/München

Man kommt gar nicht mehr aus dem Staunen heraus über diese Basketballer aus Vechta, einer 32 000-Einwohner-Stadt im Westen von Niedersachsen, Metropolregion Bremen/Oldenburg, wie es im Behördendeutsch heißt. Erst sind sie zum dritten Mal in ihrer Vereinsgeschichte in die Bundesliga auf-, dann aber überraschenderweise nicht sofort wieder abgestiegen, so wie bei den ersten beiden Malen. Sondern sie haben sich den Klassenverbleib gesichert, dann die Teilnahme an den Playoffs der besten Acht, schließlich sogar Tabellenplatz vier und somit den Heimvorteil im Viertelfinale. Und dort haben sie am Sonntagabend zum Auftakt der Best-of-five-Serie auch gleich den ersten Playoff-Sieg ihrer noch kurzen Historie gefeiert: 96:85 (49:41) über Brose Bamberg.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, wer da wem gegenüberstand, und wer da wen besiegt hat. Auf der Verliererseite Bamberg, der neunmalige deutsche Meister und aktuelle Pokalsieger, ein ruhmreicher Klub voller abgezockter Profis; auf der Spielmacher-Position besetzt mit drei früheren Euroleague-Champions, dem Griechen Nikos Zisis (2008) sowie den Amerikanern Tyrese Rice und Ricky Hickman (beide 2014), unter den Körben stabil aufgestellt mit einem halben Dutzend kräftiger Zwei-Meter-und-mehr-Männer.

Und auf der anderen Seite die Gewinner, das arg gerupfte Häuflein von Rasta Vechta, einem Verein, der einst aus einer Schüler-AG des Gymnasiums hervorging und sich nach dem Album "Rastaman Vibration" des Reggae-Musikers Bob Marley nannte. Gegen Bamberg fehlten den Rastamännern beide Center - der 2,08 Meter große Clint Chapmann wegen einer Knieverletzung, die ihn für den Rest der Saison lahmlegt, und Michael Keesens (2,05) wegen einer Magenverstimmung. Dazu sind von den drei nominellen Power Forwards zwei auch nicht mehr einsatzfähig in diesen Playoffs, Tyrone Nash (2,03/Knie) und Seth Hinrichs (1,99/Handbruch). Im Grunde waren fürs Getümmel unterm Korb nur der 19 Jahre alte Philipp Herkenhoff (2,08) sowie Robin Christen (2,00) übrig. Bloß für die größten Notfälle saßen noch Tim Insinger (2,05) und Luc van Slooten (2,02) auf der Bank, der eine ist aus dem Regionalliga-Team, der andere erst 17.

Vechtas Trainer Pedro Calles, ein junger, erst 35 Jahre alter Spanier, ließ notgedrungen ein kleines Sieben-Mann-Ensemble gegen das große Brose-Orchester spielen. Es war erstaunlich, dass Rasta die Partie überhaupt gewann; noch erstaunlicher war der Umstand, dass die Gastgeber dabei auch noch mehr Rebounds sammelten als die körperlich überlegenen Bamberger - 37:26 endete der Vergleich bei den gefangenen Bällen. "Unser Trainer sagt immer, Rebounds sind eine Sache der Einstellung, des Willens", versuchte Herkenhoff anderntags den Erfolg zu erklären. Der Teenager hatte zwei persönliche Bestmarken erzielt - 20 Zähler, vor allem aber elf Rebounds. Fünf davon schnappte er sich am gegnerischen Brett, eine Folge des rasanten Spiels, mit dem die Rastamänner Bambergs Abwehr durcheinander wirbelten.

"Sie haben uns ausgespielt", gab Brose-Trainer Federico Perego nachher zu. "Vechta war uns in allen Belangen überlegen", fand Co-Kapitän Elias Harris, mit 21 Punkten bester Bamberger. Die hätten gewarnt sein müssen: Vechta hatte ja schon im Januar durch einen 85:67-Auswärtssieg die Entlassung des damaligen Brose-Trainers Ainar Bagatskis verursacht. Für dessen Nachfolger Perego sieht's jetzt auch nicht mehr so gut aus. Das nächste Spiel findet am Mittwoch in Bamberg statt, dann will der Italiener "ein anderes Gesicht zeigen". Vermutlich hoffen sie, dass Rastas glorreichen Sieben die Kraft ausgeht. Austin Hollins, mit 30 Punkten (darunter sieben verwandelten Dreiern) erfolgreichster Schütze der Partie, spielte bis auf die letzten 13 Sekunden durch, sein Nebenmann Max DiLeo, der umtriebigste Verteidiger von Vechta, musste zwischendurch mal mit Krämpfen vom Feld. Aber Herkenhoff versichert: "Ich habe nicht das Gefühl, dass wir irgendwann erschöpft sein werden." Die Euphorie ist groß, das Adrenalin fließt.

In der Basketball-Bundesliga (BBL) hat es ja schon mal eine Mannschaft mit einer Siebener-Rotation bis ins Finale geschafft, Ratiopharm Ulm war das, 2016. Selbst der junge Herkenhoff erinnert sich an diesen in der deutschen Szene legendären Lauf vom siebten Tabellenplatz aus, "Per Günther und sechs Amerikaner, oder?", fragt er. Die Ulmer mussten sich damals erst den ausgeruhten Bambergern beugen.

Gegen Teil 2 dieser Geschichte von den glorreichen Sieben, allerdings mit einem besseren Ende, hätten sie in Vechta nichts, obwohl sie ja schon viel mehr erreicht haben in dieser Saison, als sie erträumt hatten. Ihr Chefcoach Calles ist nach der Hauptrunde als "Trainer des Jahres" ausgezeichnet worden, ihr Regisseur T.J. Bray (14 Punkte, zwölf Vorlagen am Sonntag) landete bei der Wahl des wertvollsten Spielers der BBL auf Platz zwei hinter dem Oldenburger Will Cummings. DiLeo und Herkenhoff belegten jeweils Rang drei unter den besten Verteidigern bzw. den besten deutschen Nachwuchsspielern. "Für mich ist klar, dass diese Mannschaft das Team des Jahres ist", schwärmte Pedro Calles nach seiner eigenen Ehrung. Auch Herkenhoff macht vor allem die "sehr, sehr gute Teamchemie" für die Erfolge verantwortlich: "Wir haben sehr gute Charaktere."

Man merkt, dass der junge Mann gut zugehört, wenn sein Coach spricht. "Ich habe schon vor langer Zeit gesagt, dass Charakter wichtiger ist als Talent", resümierte Calles nach dem Erfolg vom Sonntag: "Vielleicht war das heute eine dieser Situationen, an denen man das gesehen hat."

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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