Aus der deutschen Basketballer:Überrollt vom Oktopus

Slovenia v Germany Men's Basketball - Olympics: Day 11

Zwischendurch gut mitgehalten, dann wieder nur zugeschaut: Niels Giffey (links) beim Korbwurf des Slowenen Zoran Dragic.

(Foto: Bryan Snyder/Getty Images)

Die deutschen Basketball-Männer scheitern im Olympia-Viertelfinale deutlich an Slowenien. Sie waren im Turnier oft nah dran - aber doch zu weit weg.

Von Jürgen Schmieder

Moritz Wagner sah gegen Ende des dritten Viertels aus, als wolle er sich bei irgendwem beschweren - doch: bei wem? Beim Internationalen Olympischen Komitee vielleicht, das den deutschen Basketball-Männern eine groteske Aufgabe für das Viertelfinale zugelost hatte? Slowenien hatte bei diesem olympischen Turnier bislang knapp 110 Punkte pro Partie erzielt; gegen sie zu verteidigen ist in etwa so, als müsse man sämtliche Tentakel eines Tintenfisches in ein Einkaufsnetz stecken. Wer nun einwendet, dass so ein Oktopus acht Arme habe, beim Basketball aber nur fünf Leute auf dem Feld stehen, dem sei gesagt: Bei Slowenien ist Luka Doncic dabei, und der zählt mindestens für vier Fangarme.

Er kontrolliert den Ball, als habe er Saugnäpfe an seinen Händen; vor allem aber hat er ein Gefühl für Spielfluss, Rhythmus und Bewegungen der Figuren auf dem Feld, dass er selbst in der nordamerikanischen Profiliga NBA bisweilen wirkt, als hätte er den Gegnern ein wenig Tinte in die Augen gesprüht. Er dribbelt, passt, wirft, und immer dann, wenn man glaubt, zumindest seine Tentakel in das Netz gestopft zu haben, legt er (oft blind) hinaus auf die Mitspieler jenseits der Drei-Punkte-Linie, die von dort aus sicher treffen.

Die Deutschen mühten sich in ihrem Viertelfinale, sie gaben nicht auf - doch stand da am Ende eben auch dieses Ergebnis: 70:94, deutlicher geht es kaum, und der Verlauf der Partie steht durchaus symbolisch für des Olympia-Turnier der deutschen Basketballer. "Es war ein Gegner, den wir am Ende nicht unter Kontrolle bekommen haben", sagte Trainer Henrik Rödl.

Als Moritz Wagner kommt, kippt die Partie zwischenzeitlich

Die deutschen Basketballer hatten ordentlich begonnen gegen Slowenien, und als der Gegner im zweiten Viertel davonzuziehen drohte, da schickte Rödl diesen Typen aufs Feld, der im Basketball-Sternzeichen "Wildpferd" geboren ist. Moritz Wagner bemüht sich gerade um einen neuen NBA-Vertrag, und er zeigte - wie schon beim Sieg gegen Nigeria -, was ein Verein von ihm erwarten kann: Jemanden für jene Minuten, wenn es beim Gegner läuft und man dringend einen braucht, der sich ins Getümmel wirft, ein paar Rebounds holt, einen Dreier versenkt, auf einen Mitspieler ablegt und Gegner auch mal ruppig am Erfolg hindert. Einen, der den gegnerischen Oktopus am Kopf packt und ihn einfach mal in dieses Einkaufsnetz stopft. Als Wagner auf Feld kam, stand es 23:12 für Slowenien, kurz darauf hieß es 32:31 für Deutschland.

Aus der deutschen Basketballer: "Generell hat dieser Sommer den deutschen Basketball weitergebracht": Deutschlands Moritz Wagner (links) im Duell mit Luka Doncic (Mitte).

"Generell hat dieser Sommer den deutschen Basketball weitergebracht": Deutschlands Moritz Wagner (links) im Duell mit Luka Doncic (Mitte).

(Foto: Aris Messinis/AFP)

Zur Pause lagen die Deutschen nur mit sieben Punkten zurück, und man fragte sich: Was, wenn der grandiose Defensivspieler Dennis Schröder nun doch in Tokio dabei gewesen wäre und Luka Doncic hätte ärgern können? Wenn die NBA-Profis Daniel Theis und Maxi Kleber unter dem Korb stehen würden? Sie waren aber nicht dabei, und im dritten Viertel zeigte sich dann, was auch schon gegen Italien und Australien zu sehen gewesen war: Ja, die Deutschen sind dran, sie sind drin in einer Partie; aber am Ende doch weit weg. Doncic wedelte plötzlich mit allen Tentakeln, er schaffte 20 Punkte, acht Zuspiele und elf Rebounds. Kollege Zoran Dragic versenkte elf von 13 Versuchen, und unter dem Korb räumte Mike Tobey (13 Punkte, elf Rebounds) ordentlich auf.

Es war eine Kurz-Einordnung dessen, was die deutschen Männer in diesem Sommer so gezeigt haben: Sie haben sich einerseits überraschend für die Olympischen Spiele qualifiziert, sie haben dort gegen Nigeria gewonnen und gegen Italien sehr lange sehr gut mitgehalten; sie standen deshalb zum ersten Mal seit 1992 wieder in einem Olympia-Viertelfinale. Auf der anderen Seite haben sie eben nur einen Sieg geschafft und kein Spiel mit weniger als zehn Punkten verloren. Es ist schwierig, diese Leistung einzuordnen, und es ist noch schwieriger, daraus einen Ausblick zu ziehen.

Mit allen NBA-Profis hätten die Deutschen ein Team, das um die Medaillen mitspielen kann

"Generell hat dieser Sommer den deutschen Basketball weitergebracht", sagte Wagner schon vor dem Viertelfinale und dürfte damit auch ein bisschen sich selbst gemeint haben. Seine Leistungen in der Qualifikation und auch bei Olympia dürften eine Botschaft an Orlando Magic gesendet haben, wo er am Ende der vergangenen Saison unter Vertrag stand und das gerade seinen Bruder Franz bei der NBA-Talentbörse an achter Stelle gewählt hat. Es ist nun wahrscheinlich, dass Moritz Wagner auch in der kommenden Saison in der NBA spielen wird, und es ist wahrscheinlich, dass die deutschen Basketballmänner auch künftig bei solchen Turnieren dabei sein werden.

Schröder, Kleber, Theis, aber auch Isiah Hartenstein, Paul Zipser und der junge Wagner dürften dann mitspielen, und das wäre ein Kader, der sehr nah dran ist, um bei so einem Turnier auch mal um die Medaillen mitspielen zu können. "Wenn man so ein Spiel verliert, ist man erst mal enttäuscht. Es wird aber nicht lange dauern, bis man sich zurücklehnen kann und sagt: Das war ein ganz besonderer Sommer", sagte Rödl.

Bleibt die wichtigste Lehre aus diesem Spiel für das restliche Turnier: Die Amerikaner dominieren nicht mehr so wie einst, auch wenn sie sich nach der Niederlage zum Auftakt gegen Frankreich deutlich gesteigert haben. Und wenn Slowenien gerade in der Offensive weiterhin derart spielfreudig, treffsicher und effizient auftritt, dann könnte dieser Oktopus dem US-Team, das sich selbst immer noch "Dream Team" nennt, schlimme Albträume bescheren.

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