Isaiah Hartenstein war am perfekten Ort in diesem Moment, genau dort, wo er als Center sein musste: unter dem Korb seines Klubs Oklahoma City Thunder. Es wirkte allerdings, als wäre es womöglich der schlechteste Zeitpunkt, denn der Basketballer LeBron James hatte soeben in den Superheldengang geschaltet, um Mitte des Schlussviertels die Weichen in dieser knappen Partie auf Sieg für seine Los Angeles Lakers zu stellen. Er kam auf den Korb zugesegelt, in einer Wasserballer-vorm-Kanonenwurf-Pose. Alle erwarteten, dass LeBron James den Ball nun krachend in den Korb stopfen würde. Wer das zu verhindern versucht, könnte als Poster in Kinderzimmern hängen – als derjenige, den James posterized hat, wie man im US-Basketball-Slang sagt: also derart düpiert, dass man es verewigen muss.
Hartenstein probierte es dennoch – und posterizte James: Er pflückte den Ball ohne Foul weg, James landete auf dem Hintern. Hartenstein hatte nicht nur zwei Punkte verhindert, sondern die Stimmung in heimischer Halle gedreht. Seine Aktion verabreichte den Mitspielern und Fans einen Energieschub, der aus einem 112:112 einen 136:120-Sieg werden ließ. Kurzer Blick in die Statistik in den spielentscheidenden Momenten: Rebound Hartenstein, stibitzter Ball Hartenstein, Vorlage Hartenstein, Rebound Hartenstein, der Block gegen James und noch ein Rebound. Er war sehr häufig zur richtigen Zeit am richtigen Ort in dieser Partie, und das führte zu einer weiteren erstaunlichen Ziffer im Zahlenwerk: Mit dem Deutsch-Amerikaner Hartenstein auf dem Parkett schaffte Oklahoma City 18 Punkte mehr als die Lakers. Es war der Bestwert der Partie.

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Über die komplette Saison schaffte sein Team im Schnitt 7,3 Punkte mehr als der jeweilige Gegner pro Spiel, wenn Hartenstein auf dem Feld stand. Ligaweit ist dies Platz zehn, vor ihm liegen nur Teamkollegen wie Chet Holmgren oder der NBA-Adel wie Nikola Jokic (Denver Nuggets), Kawhi Leonard (Los Angeles Clippers) oder Donovan Mitchell (Cleveland Cavaliers). Hartenstein ist auch, was seine Karriere betrifft, jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oklahoma City hat die reguläre Saison mit der besten Bilanz seiner Klubgeschichte (68 Siege, 14 Niederlagen) beendet. Und der Klub ist sich recht sicher, dass Hartenstein der wichtigste Grund dafür ist – obwohl er kein NBA-Adel ist.
Die Starspieler stehen bei Oklahoma bereits unter Vertrag, etwa Shai Gilgeous-Alexander, der 26 Jahre alte Aufbauspieler, der die nächste Stufe seiner Punktesammlerkarriere erklimmen konnte und seine Ausbeute auf 32,7 Zähler pro Spiel schraubte. Oder Flügelspieler Jalen Williams, 23, der robuster wurde und seine Werte in Punkten (21,6) und Vorlagen (5,1) steigerte. Es gab Zweifel, ob das für den Titel reichen würde, da das Team auch vergangene Spielzeit die beste Bilanz aller Konkurrenten aufweisen konnte – jedoch in der zweiten Playoffrunde an Dallas scheiterte.
„Ging schon auch ums Geld, für einen Dollar wäre ich nicht gekommen“, sagte Hartenstein kürzlich
Oklahoma Citys Manager Sam Presti wollte unbedingt noch einen Verteidiger haben, der die gegnerischen Aufbauspieler mit Hingabe in den Wahnsinn treibt; den fand er in Alex Caruso. Er suchte außerdem einen uneitlen Center, der weiß, wie er Spiele prägend kann, indem er andere glänzen lässt.
Es gab da diesen Typen, der in den ersten vier NBA-Jahren seit 2018 bei fünf Klubs gewesen ist – dann aber zwei Jahre lang bei den New York Knicks gezeigt hat, wozu er fähig ist. Presti gab für Isaiah Hartenstein, 26, so viel aus wie nie zuvor für einen vertragslosen Spieler in der Klubgeschichte: 87 Millionen Dollar für drei Spielzeiten. Diese Summe kann lähmen, oder sie kann das Gegenteil ausdrücken: Vertrauen. Wenn deutlich wird, dass der Klub in einem Spieler das Puzzlestück sieht, das zum Titel führt; wenn er vermittelt: Vertraust du uns, profitierst du ebenfalls.
Genau so ist es gekommen: Kein Gegner tritt gerne gegen Oklahoma City Thunder an, weil das Team um Hartenstein seine Gegner über taktisch ausgefeilte Verteidigung oft schlecht aussehen lässt. Die Defensive lässt mit deutlichem Abstand die wenigsten Punkte pro 100 generische Angriffe zu: 106,7. Auf Platz zwei liegt Orlando Magic, der Klub der Wagner-Brüder, mit 109. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass Coach Mark Daigneault zwei große Leute aufs Feld schickt: den 2,13 Meter langen Hartenstein und den 2,16 Meter langen Chet Holmgren. So etwas gilt seit einigen Jahren wegen der Dreier-Disruption in der NBA als überholt. Aber: The 90s are back – mit modernem Touch.
Hartenstein und Holmgren sind beweglich, beide haben ein gutes Auge fürs Parkett (Hartenstein schaffte die meisten Saison-Vorlagen eines Centers in der Klubgeschichte) und sind taktisch variabel. Sie wechseln einander in der Bewachung der gegnerischen Center ab. Die Defensive beherrscht sowohl Manndeckung als auch Zonenverteidigung, mit bisweilen derart seltsamen Zuordnungen, dass die Gegner wahnsinnig werden.
Hartenstein zockt mit Kindern, sponsert Basketballcourts, unterhält Trainingscamps
Das soll auch in den für Oklahoma am Ostersonntag beginnenden Playoffs funktionieren und Thunder zum ersten Titel seit dem Umzug aus Seattle 2008 führen (die Supersonics hatten 1979 gesiegt). Für Hartenstein ist eine prägende Rolle vorgesehen. Er hat Karriere-Bestwerte vorzuweisen in den Kategorien Punkte (11,2), Rebounds (10,7), Vorlagen (3,8) und Blocks (1,1).
Auch die Stadt scheint das richtige Umfeld zur richtigen Zeit für den 19-maligen Nationalspieler Hartenstein zu sein. Er wurde im US-Bundesstaat Oregon geboren, wo sein Vater Florian am College spielte, und wuchs in Quakenbrück auf, wo der Vater als Trainer der Artland Dragons ein WG-Haus für Talente gründete. Community also, das ist ein Begriff, der für Hartenstein wichtig ist. „Bitte nicht falsch verstehen: Ging schon auch ums Geld, für einen Dollar wäre ich nicht gekommen“, sagte er kürzlich der Sports Illustrated: „Ich kannte Vereinskultur von außen, aber wie sehr sie in der Community verwurzelt sind, das hat dann sehr viel mit mir zu tun.“
Hartenstein setzt sich seit Jahren über seine Stiftung für Jugendliche ein. In Oklahoma ist er mehrmals pro Monat unterwegs, er zockt mit Kindern, sponsert Basketballcourts, unterhält Trainingscamps. Er will helfen, so wie sein Vater einst in Deutschland Talenten geholfen hat. „Zurückgeben“ nennt er das. Einen Teil seines Gehalts verwendet er darauf, Strafen von Mitspielern wie die kürzlich von Cason Wallace nach einem technischen Foul zu übernehmen, oder die Rechnung beim Mannschaftsdinner zu bezahlen.
Deshalb glauben sie in Oklahoma City, dass sie den Richtigen geholt haben im Sommer. Und dass sie für Isaiah Hartenstein keinen Cent zu viel bezahlt haben. Sie haben dem deutschen Basketballer mit Geld wortwörtlich gezeigt, dass seine Helfereigenschaften etwas wert sind in dieser Liga. Der Titel wäre endgültige Bestätigung, dass er tatsächlich zur perfekten Zeit am perfekten Ort ist.