Drei Dutzend Nachwuchs-Basketballerinnen wuseln an einem vorweihnachtlichen Samstagmorgen durch die Halle des TS Jahn München in der Weltenburger Straße. Turnschuhe quietschen, Bälle prallen auf den Boden und rauschen durch Netze, darüber helles Stimmengewirr. Doch die Farbe der Basketbälle überrascht: Weiß und türkis sind sie, dazu ein geschwungener Schriftzug: the Brooklyn dribble. Moment, Brooklyn, ist das nicht der Spielort von …? Ja, genau: von Leonie Fiebich. Dort spielt die Landsbergerin für die New York Liberty, dort hat sie unlängst die WNBA-Meisterschaft gewonnen, den wichtigsten Titel der Frauenbasketball-Welt.
Die Bälle sind neben Schuhen und Trikots nur eines der vielen Geschenke, die Fiebich heute mitgebracht hat. Das größte Geschenk für die Spielerinnen aber ist wohl, dass Fiebich selbst in der Halle steht: 1,93 Meter, durchtrainiert, schwarze Trainingshose, charakteristischer Dutt, verschmitztes Lächeln. Sie hat eingeladen zum Basketballcamp, einem zweitägigen Lehrgang für Nachwuchsspielerinnen – es ist das erste seiner Art, trägt ihre Initialen und ihre Rückennummer: LF13. Dass sie sich für die neue Jahn-Halle als Austragungsort entschieden hat, ist nicht ganz überraschend: 2018 hat Leonie Fiebich mit dem Jahn die weibliche Jugend-Bundesliga WNBL gewonnen (damals ebenfalls die 13 tragend), hat parallel erste Bundesligaluft in der zweiten Liga geschnuppert, in der der TS Jahn damals noch angetreten ist.
Die Strukturen sind nicht optimal: „Einige Talente haben Standortnachteile.“
Das ist alles schon etwas länger her, sechs Jahre, um genau zu sein. Heute ist Fiebich nicht als Spielerin hier, sondern als Coach – neben Armin Sperber und Imre Szittya, die beide für sich beanspruchen können, einen nicht ganz kleinen Anteil an Fiebichs Karriere zu haben. Als sie das Camp eröffnet und die jungen Spielerinnen zu sich ruft, zeigt sich: Sie hat heute noch eine weitere Rolle inne, und zwar die des überlebensgroßen Idols. Mit großen Augen sitzen die 14-, 15- und 16-Jährigen vor ihr, von denen einige vielleicht selbst von einer Karriere als Profibasketballerin träumen, und sind auf einmal ganz still. 200 Spielerinnen hatten sich beworben, über die Teilnahme hat das Los entschieden. Vielleicht auch die ein oder andere Wildcard, das würde die verhältnismäßig zahlreichen Jahn-Spielerinnen erklären, ansonsten aber sind sie aus Wasserburg angereist, aus Mammendorf, aus der Fiebich-Heimat Landsberg am Lech, aus Gräfelfing – und sogar aus Leverkusen.

Fiebich und Sabally in der WNBA:Ein Titel als Triumph des deutschen Frauen-Basketballs
Zwei deutsche Spielerinnen in prägenden Rollen gewinnen die Basketball-Meisterschaft in den USA. Das hebt auch den Stellenwert der ganzen Sportart hierzulande. Anerkennung kommt von prominenter Stelle – und Leonie Fiebich gibt ein Versprechen ab.
„Ich mache gerne was für die Jugend, weil ich es damals so cool fand, wenn die Profis aus dem Herrenbereich zu uns in die Halle gekommen sind. Oder die Erstligadamen aus Nördlingen, mit denen wir eine Kooperation hatten“, erzählt Fiebich später in der Mittagspause. „Ich wollte den Kontakt herstellen zwischen den Mädels und mir, und denen ein bisschen was mit auf den Weg geben.“ Auf dem Programm stehen Athletiktraining, Lektionen im One-on-One und im Ballhandling, aber auch kurze Vorträge zur Ernährung im Leistungssport und zur mentalen Stärke. Der Ansatz, den Fokus nicht nur aufs Sportliche zu legen, sei neu, sagt Fiebich, aber bewusst gewählt. „Basketball ist das eine, aber du musst noch mehr machen, wenn du leistungsorientiert spielen willst. Ich hoffe, dass die Mädels das auch so annehmen, also die Angebote, die über das Sportliche hinausgehen. Es ist ja irgendwie auch ein Experiment.“ Am Abend steht noch ein Gespräch mit den Eltern an, um Fragen zu beantworten, wie man es denn anstellt, wenn es die eigene Tochter in den Leistungssport zieht – ebenfalls ein Novum im Nachwuchsbereich.
Imre Szittya, neben ihr sitzend, nickt: „So etwas haben wir früher nicht gemacht.“ Er muss es wissen, schließlich hat er als ehemaliger bayerischer Landestrainer jahrzehntelang die besten Jugendspielerinnen Bayerns trainiert. Frage also an Szittya: Welche Strukturen braucht es, um Talente wie die 15-jährige Silvia Heide zu fördern, der 1,83 Meter großen WNBL-Spielerin vom TS Jahn, die heute mittrainiert, und der Großes bevorstehen könnte? Oder eine Mia Wiegand, die gerade 16 geworden ist, in Würzburg in der WNBL spielt, in der zweiten Bundesliga aufläuft, und auch schon für die U16-Nationalmannschaft angetreten ist? Schließlich hat es auch Leonie Fiebich aus Landsberg bis an die Weltspitze geschafft.
Drei Säulen seien entscheidend, sagt Szittya: „Die Trainingsstruktur, die Wettkampfstruktur und die individuelle Ausbildung.“ Und, gibt es dies alles in Bayern? Szittya zögert. „Wir haben viele Talente in Bayern. Aber einige Talente haben Standortnachteile, weil die Trainings- und Wettkampfstrukturen nicht optimal sind.“ Soll heißen: Die Konkurrenz im eigenen Team ist nicht stark, die Trainer sind nicht geschult genug, darüber hinaus seien die Wege im Bundesland vielerorts einfach zu weit, um einen Wettbewerb zu etablieren, der die Spielerinnen herausfordert.
An einzelnen Standorten seien die Voraussetzungen aber durchaus vorhanden, sagt Szittya. Zum Beispiel in München. Dort gibt es mittlerweile gleich zwei Vereine mit Team in der WNBL, den MTV und den TS Jahn. Armin Sperber verantwortet als Sportwart den weiblichen Bereich des TS Jahn, hat jahrzehntelang die Nachwuchsmannschaften trainiert. Er ist heute ebenfalls in der Weltenburger Straße. Der Stolz, dass das Camp in seiner Halle und mit seinen Spielerinnen stattfindet, ist ihm anzusehen. Der Fokus des Vereins liegt seit Jahren auf dem WNBL-Bereich, erzählt er. Zuletzt umso mehr, hat der Jahn doch seit dem vergangenen Jahr keine Frauen-Zweitligamannschaft mehr.
Eine solide Nachwuchsarbeit sei eine der wichtigsten Voraussetzungen, um irgendwann wieder höher mitzuspielen, sagt er: „Der Leistungsgedanke zieht sich durch alle Teams.“ Das bedeutet: Es wird auch mal ausgesiebt, und das schon in der U14 oder U16. „Das ist hart, aber notwendig. Man muss den Mädchensport ernst nehmen, wenn man erfolgreich sein will. Vor allem die Spielerinnen, die den nötigen Ehrgeiz mitbringen. Dann bleiben sie auch dabei.“ Zumindest so lange, bis sie dem Jugendbereich entwachsen, wenn ein Studienplatz in einer anderen Stadt, ein College in den USA lockt – oder eine andere Erstligamannschaft. Die sucht man in München vergeblich, zumindest bei den Frauen. Am hochklassigsten spielt in der Landeshauptstadt der TSV München-Ost; das Team ist derzeit Letzter der Südstaffel der zweiten Bundesliga.

In Würzburg können sich die dortigen WNBL-Spielerinnen hingegen in ihrem eigenen Klub Erfahrungen in der zweiten Bundesliga sammeln, so wie Leonie Fiebich einst beim Jahn. Um das Pendeln zwischen den Teams so einfach wie möglich zu gestalten, sei der Trainer des Jugendteams zugleich Assistenztrainer der Bundesligamannschaft, erklärt Janet Fowler-Michel am Telefon. Fowler-Michel trainiert jene Bundesligamannschaft, ist U18-Nationaltrainerin und leitet darüber hinaus den Bundesstützpunkt Basketball in Würzburg, eine Kaderschmiede mit dazugehörigem Sportinternat. Sie beobachtet, dass sich viele Spielerinnen vom Sport abwenden würden, sobald sie das Teenageralter hinter sich lassen. Die Kombination aus WNBL und Bundesliga würde es den Spielerinnen erleichtern, „ein bisschen länger beim Basketball zu bleiben“.
Oder man macht es wie Chanel Ndi, die ehemalige Würzburg- und U18-Nationalspielerin: Die 18-Jährige ist nach Nördlingen gezogen, zum einzigen bayerischen Erstligisten. Der Verein schreibt es sich auf die Fahnen, besonders stark in den Nachwuchs zu investieren. Mit Ndi, Jana Koch, 18, und Anna Löffler, 17, stehen seit dieser Saison gleich drei bayerische Nachwuchsspielerinnen auf dem Parkett. „Überragend“ sei ihre Integration ins Team verlaufen, sagt Nils Gerstmeier, der die Jugendarbeit in Nördlingen leitet. Verantwortlich dafür macht er ein vereinsinternes Mentoringprogramm, aber auch die Nördlinger Spielerinnen-WG: „Da ist eine richtig familiäre Struktur entstanden.“ Sportlich ähnelt das Nördlinger Nachwuchskonzept dem Ansatz in Würzburg: Um die Spielerinnen nicht zu überfordern – und ihnen gleichzeitig viel Spielpraxis zu ermöglichen –, spielen alle drei mit einer Doppellizenz in der Regionalligamannschaft des TSV 1861 Nördlingen.
In Bayern basiere nach wie vor zu viel auf ehrenamtlichen Strukturen, findet Gerstmeier
Auch wenn er mit dem eigenen Ansatz zufrieden ist: Grundsätzlich findet Gerstmeier, dass der Nachwuchssport in Bayern noch lange nicht da ist, wo er stehen könnte: „Klubs wie Alba Berlin machen es vor, und zwar mit einem gewaltigen Tempo. Sie leisten hervorragende Jugendarbeit, mit personellen Strukturen und den entsprechenden finanziellen Ressourcen.“ Das fehle in Bayern bislang, hier basiere nach wie vor zu viel auf ehrenamtlichen Strukturen. So könne man vielleicht in einer WNBL oder der zweiten Liga überstehen. Um den Nachwuchs so fit zu machen, dass er irgendwann auch erfolgreich in der ersten Liga oder im Ausland spielen könne, und vor allem – das ist Gerstmeier besonders wichtig –, um eine große Anzahl an Spielerinnen so auszubilden und aufzubauen, dass langfristig das Erstliganiveau steige, bedürfe es aber größerer Anstrengungen. Inklusive des Engagements von finanziell mächtigen Vereinen wie dem FC Bayern München: „Die Leistungsbasis ist super, aber die Spitze nur punktuell.“
Auch im LF13-Camp steht heute vor allem die Freude am Spiel im Vordergrund und nicht der Leistungsgedanke. „Ich hoffe, dass die Mädchen einfach Spaß haben und ein bisschen was lernen“, sagt Leonie Fiebich, bevor sie wieder zurück ins Training geht. Wobei sie stellvertretend dafür steht, wie ein Weg einer Basketballerin aus Bayern in den Spitzensport aussehen kann – wenn nicht nur das Talent vorhanden ist, sondern auch der entsprechenden Rahmen. Sie ist auch als Vorbild hier. Eine Rolle, derer sie sich durchaus bewusst ist: „Ist doch ganz cool, denen mal zu zeigen, wo es hingehen kann.“
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung hatte es geheißen, es gebe in München im Frauen-Basketball „keinen Bundesligaklub“. Tatsächlich spielt nur kein Münchner Klub in der ersten Bundesliga, der TSV München-Ost aber in der zweiten. Das haben wir präzisiert.