NBA-Spieler Andre Iguodala:Der sechste Mann

Miami Heat v Boston Celtics - Game Five

Hält nichts von der Spielweise der gegnerischen LA Lakers: Andre Iguodala, Basketballer alter Schule.

(Foto: Mike Ehrmann/AFP)

Miami-Spieler Andre Iguodala erlebte seine größten Erfolge erst, als er bereit war, zum Einwechselspieler zu werden. Nun soll der unauffällige Routinier die Lakers im NBA-Finale stoppen.

Von Jürgen Schmieder

Detroit Pistons, Chicago Bulls, San Antonio Spurs - alles ruhmreiche Franchises der nordamerikanische Basketball-Profiliga NBA. Aber alle drei haben weniger Finalserien erreicht als LeBron James, der zum zehnten Mal in seiner Karriere in einer dabei sein wird. Von allen NBA-Klubs waren nur die Golden State Warriors (elfmal), die Boston Celtics (21 Mal) und sein aktueller Klub, die Los Angeles Lakers (31 Mal), häufiger im Finale.

Es wird vor dem Duell zwischen dem Favoriten Los Angeles und Miami Heat viel über die historische Dimension von James' Karriere debattiert. Wie er seinen Heimat- und Herzensklub, die Cleveland Cavaliers, 2007 ins Finale geführt hat. Wie er 2010 nach Miami wechselte und dort die Ära der so genannten "Superstar-Teams" begründete, bei der die drei prägenden Akteure (James, Dwyane Wade und Chris Bosh) unter der Gehaltsobergrenze versammelt wurden. Wie er zwei Meisterschaften später nach Cleveland zurückkehrte und der Stadt 2016 den ersten Titel bescherte nach 52 Jahren Dürre über sämtliche Sportarten hinweg. Wie er 2018 an die Westküste wechselte und dort nach John Salley und Robert Horry der dritte Spieler der NBA-Geschichte werden kann, der Titel mit drei Teams gewinnt - zufällig gegen Miami.

Ihre Karrieren hätten kaum unterschiedlicher verlaufen können

All das ist interessant, und doch lohnt es, das Augenmerk auf den Spieler zu lenken, der James in dieser Serie, die an diesem Mittwoch in Orlando beginnt, häufig bewachen dürfte: Andre Iguodala. Der nimmt seinerseits zum sechsten Mal nacheinander am Finale teil. Er gewann drei Titel mit den Warriors, wurde 2015 dabei sogar zum wertvollsten Spieler der Endspielserie gewählt, obwohl seine Rolle das war, was nun als Titel auf seiner Biografie steht: "The Sixth Man" - der Joker, der Partien nach der Einwechslung entscheiden kann.

James, 35, und der ein Jahr ältere Iguodala kennen sich, seit sie als Teenager bei Turnieren im Mittleren Westen gegeneinander gespielt haben. Ihre Karrieren hätten freilich kaum unterschiedlicher verlaufen können. James galt schon als Jugendlicher als Auserwählter, er hat den Begriff "The Chosen One" kurz nach dem 17. Geburtstag auf seinen Rücken tätowieren lassen. Iguodala erlebte seine größten Erfolge erst, als er bereit war, zum "Sixth Man" zu werden, zum Einwechselspieler.

"Ich bin seit 16 Jahren in dieser Liga, ich habe vor Miami neun Trainer bei vier Klubs erlebt", sagt Iguodala: "Ich habe ein bisschen was von allem gesehen, und dabei gemerkt, dass es nicht nur einen Weg zum Erfolg gibt." Dem Portal The Athletic gab er kürzlich ein Interview, bei dem er erzählte, wie in seinem ersten Profijahr bei den Philadelphia 76ers selbst lockere Trainingseinheiten per Video analysiert wurden: Er lernte dort diese Einstellung zum Beruf, die ihn bis heute prägt.

"Als ich nach Miami kam, ist mir ein Licht aufgegangen"

"Jeder sieht meine Jahre bei Golden State und die Tatsache, dass dort viel mit Meditation gearbeitet wird", sagt er über die oftmals buddhistische Herangehensweise von Warriors-Trainer Steve Kerr: "Als ich nach Miami kam, ist mir ein Licht aufgegangen: Es gibt nicht diese eine Blaupause, die man überall anlegen kann." Wenn die Warriors Wasser waren, das alles sanft umspült und scheinbar fließend zu drei Titeln gelangte, dann ist Miami nun Feuer, das eine wilde zerstörende Kraft entwickelt. Es spricht für Iguodala, dass er sich in beiden Elementen wohl fühlt.

Es gibt in der NBA Akteure, die erst beim zweiten Hinsehen auffallen, aber entscheidenden Anteil haben an den Erfolgen ihres Teams: Dennis Rodman bei den Pistons, Kerr bei den Bulls, Horry bei den Lakers. So einer ist auch Iguodala, wie die letzte Partie des Halbfinals gegen die Boston Celtics zeigt: Er kam von der Bank, traf mit jedem seiner fünf Würfe, darunter vier von jenseits der Drei-Punkte-Linie; er hielt die Trefferquote seines Gegenspielers Jayson Tatum unter 35 Prozent. Mit Iguodala auf dem Feld schaffte Miami 20 Punkte mehr als Boston. Das ist die Statistik, die ihn interessiert, sein Team gewann letztlich mit zwölf Punkten Vorsprung.

"Die haben das Spiel derart verdummt, dass ich meinen Wert trotz meines Alters mehr denn je sehe", sagte er The Athletic über die Spielweise des Finalgegners: "Es geht entweder darum, möglichst aggressiv zum Korb zu stürmen - oder jemand an der Dreier-Linie fängt den Ball und drückt ab." Die Korbstürmer der Lakers sind James und Anthony Davis, sie spielen sich die Bälle gegenseitig zu; beide sind zudem gute Dreierschützen, geben aber auch ab zu den Spezialisten Danny Green, Kyle Kuzma und Kentavious Caldwell-Pope.

Soll Miami also versuchen, vor allem James zu bearbeiten, den Heat-Trainer Eric Spoelstra aus der gemeinsamen Zeit in Miami bestens kennt und damit auch die Mittel, ihn zu bändigen? Oder soll Miami lieber alle anderen neutralisieren? Als Iguodala diese Frage beim Video-Gespräch hörte, lächelte er wie ein Brandstifter, der genau weiß, was er tun wird, es aber nicht verrät. Miami ist der Außenseiter: ein junges Team, das schon in den Runden davor nichts zu verlieren hatte und dennoch alles gewann. Das als fittestes Team der Liga gilt und sich auch von hohen Rückständen nicht entmutigen lässt. Das dem Taktik-Genie Spoelstra vertraut und weiß, dass da von der Bank einer kommt, der selbst mehr Finalserien erreicht hat als 22 NBA-Teams.

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