Basketball in China:Körbe fürs Selbstbewusstsein

Basketball in China: Sun Yue (im Bild) konnte sich bei den Los Angeles Lakers nicht durchsetzen. Ein Nachfolger für Yao Ming wird weiter dringend gesucht.

Sun Yue (im Bild) konnte sich bei den Los Angeles Lakers nicht durchsetzen. Ein Nachfolger für Yao Ming wird weiter dringend gesucht.

(Foto: AFP)

Basketball hat in China eine lange Tradition. Nach dem Rücktritt von Superheld Yao Ming muss der Sport im eigenen Land zukunftsfähig gemacht werden. An Unterstützung aus den USA mangelt es nicht.

Von Johannes Mitterer

Eine Gruppe chinesischer Touristen mit gelben Hüten drängt sich aufgeregt zusammen, ein Reiseleiter mit identischer Kopfbedeckung wedelt mit seiner Fahne. Mit lauten Ansagen durch sein Mikrofon unternimmt er einen letzten Versuch, seine Meute auf Linie zu bringen. Wer Ruhe und Idyll sucht, ist in der Verbotenen Stadt in Peking falsch. Hunderte Besucher quetschen sich hier zu allererst durchs Tor des Himmlischen Friedens, von dem Mao Zedong die Volksrepublik ausgerufen hat. Eigentlich undenkbar, waren hier Besucher einst nur mit ausdrücklicher Einladung des Kaisers geduldet.

Heute ist es ganz ohne drohende Todesstrafe erlaubt, in Chinas Kaiserzeit einzutauchen. Bevor jedoch die ersten Palastgebäude zu sehen sind, ehe sich die alten Gemächer der kaiserlichen Konkubinen aneinanderreihen, fällt ein unerwarteter Anblick ins Auge: zwei Basketballkörbe auf einem grünen Feld mit weißen Linien. Sicherheitsleute und Wachen treten hier nach getaner Arbeit zum Feierabendsport an.

Wer das Lingyin-Klosters am Rande der ostchinesischen Millionenstadt Hangzhou besucht, ist ebenfalls selten allein. Inmitten der Wulin-Hügel unweit des berühmten Westsees stehen die drei Hallen einer der größten und am besten erhaltenen buddhistischen Tempelanlagen des Landes. Gegen Abend, wenn der Lärm der Touristengruppen abgeklungen ist, kehrt noch keine Ruhe ein: Der dumpfe Klang eines Basketballs, der auf harten Untergrund schlägt, durchdringt die Feierabend-Stille. Die Mönche halten sich auf einem kleinen Feld schräg hinter der Großen Halle der Himmelskönige in Form.

Basketball, das zeigen nicht nur diese beiden Erfahrungen, ist in China überall. Auch an den ungewöhnlichsten Orten. Was auf den ersten Blick inmitten Jahrhunderte alter, geschichtsträchtiger Bauten etwas fehlplatziert scheint, ist nämlich genau das: Geschichte.

Nicht erst seit die US-amerikanische Profiliga NBA in den neunziger Jahren ins Reich der Mitte zu expandieren begann, und auch nicht erst seit Yao Ming als insgesamt dritter Chinese im Jahr 2002 zu den Houston Rockets wechselte, sind die Chinesen begeisterte Korbjäger. "Basketball hatte schon immer einen großen Einfluss in China", sagt der 2,29-Meter große Center, dessen erstes Spiel für Houston 200 Millionen Chinesen im Fernsehen verfolgten. "Auch bevor die NBA auftauchte, gab es ein Fundament", sagt Yao.

Dieses Fundament wurde lange vorher gelegt: Ein Missionar führte den Mannschaftssport kurz nach dessen Erfindung vor mehr als 100 Jahren in China ein. Schon im Jahr 1936 nahm die chinesische Nationalmannschaft an den Olympischen Spielen in Berlin teil. Wenngleich der Erfolg gering war, die Sportart war etabliert und genoss vor allem an Universitäten und in militärischen Kreisen hohe Anerkennung.

Mehr als 300 Millionen Basketballspieler

So überstand der Ballsport sogar Chinas Krisenjahre der Kulturrevolution. Alles Westliche wurde in dieser Zeit aus dem Leben verbannt, wenn nötig mit Gewalt. Basketball blieb jedoch verschont: Mao Zedong war ein erklärter Anhänger des Sports.

"Zwischen 300 und 400 Millionen Chinesen spielen regelmäßig Basketball", schätzt Hu Jiashi, stellvertretender Direktor der Nationalmannschaft. Studenten der Fudan-Universität in Shanghai treffen sich in der Mittagspause auf einem der sieben Asphaltfelder auf dem Campus, im ländlichen Wuyuan in der Jiangxi-Provinz sieht man Landarbeiter, die sich nach getaner Arbeit auf einem einfachen Lehmfeld um den Ball streiten. In einem kleinen Elektroladen in Xi'an ist vormittags der Betrieb so lange am Stocken, wie das Playoff-Spiel der Dallas Mavericks gegen Oklahoma City im chinesischen Staatsfernsehen läuft.

Basketball in China: Kälte und Schnee? Für Chinesen lange kein Grund, auf Basketball zu verzichten.

Kälte und Schnee? Für Chinesen lange kein Grund, auf Basketball zu verzichten.

(Foto: AP)

Die Menschen im Reich der Mitte sind verrückt nach Basketball, das haben auch die NBA-Offiziellen bemerkt. "China ist unser größter internationaler Markt", wird NBA-Boss David Stern nicht müde zu betonen. 450 Millionen Fans hat die amerikanische Profiliga dort, deren Logo unter anderem auf Tsingtao-Bierflaschen in die entlegensten Regionen der Nation gelangt. Jedes Jahr kommen Spieler wie Kobe Bryant oder Lebron James in die Volksrepublik, um die Liga zu vermarkten, und sich selbst gleich mit. In Kooperation mit der NBA sollen 800.000 Basketballplätze gebaut werden.

Für die Bürger der Volksrepublik ist Basketball aber mehr als reine sportliche Betätigung oder bloßes Geschäft. So wie jede Goldmedaille bei Olympia stärkt jeder Korb, den ein Chinese im Ausland wirft, das nationale Selbstbewusstsein. Auch deshalb genießt Yao ein so hohes Ansehen: Er bewies, dass Chinesen auf dem höchsten internationalen Basketball-Niveau mithalten können.

Die Dominanz der Nationalmannschaft im asiatischen Raum und ihre Triumphe über die Erzrivalen Japan und Südkorea sind gut für chinesische Basketball-Seelen. Im Gegensatz zu den Fußballern, die seit 2002 bei keiner Weltmeisterschaft mehr dabei waren und - noch viel schlimmer - wiederholt Niederlagen in den prestigeträchtigen Duellen gegen Südkorea und Japan nach Hause bringen.

Doch seit Yao Ming 2011 seine Karriere beendet hat, steht der chinesische Basketball vor einem Wendepunkt. Während zwar immer wieder große NBA-Namen wie Tracy McGrady und Stephon Marbury in die nationale Liga CBA wechseln, existiert kein schlüssiges Konzept der Nachwuchsförderung. Das staatliche Sportprogramm, das rein nach körperlichen Merkmalen aussortiert, führt tatsächlich zu einem Mangel an kleinen Spielern. "Es ist unglaublich, in einem Land mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen gibt es keinen einzigen Aufbauspieler", sagt Chinas Nationaltrainer Bob Donewald Jr. Wer nicht ins Förderprogramm kommt, fällt irgendwann dem Druck des Bildungssystems zum Opfer.

Darunter leidet nicht nur die CBA, die Schwierigkeiten hat, aus dem Schatten der unterhaltsameren US-Liga herauszutreten. Auch ein Nachfolger für Yao fehlt, der dringend notwendig wäre, um sich in internationalen Wettbewerben zu etablieren und den Sport weiter zu professionalisieren, den so viele Chinesen tagtäglich mit Leidenschaft ausüben. "Die Zahl der Spieler hat nicht zugenommen, dafür aber die Qualität", beschreibt Hu den Trend.

Dementsprechend hartnäckig arbeiten die Verantwortlichen daran, Chinas Basketball zukunftsfähig zu machen, allen voran Yao: "Es reicht nicht, große Namen aus dem Ausland zu verpflichten. Wir müssen die Entwicklung heimischer Talente fördern. Spieler aus der Region müssen einen großen Einfluss haben, um die Verbindung zu den Fans herzustellen."

Deshalb ist er jetzt auch Präsident der Shanghai Sharks, die er vor seiner NBA-Zeit zur Meisterschaft geführt und nach seiner Rückkehr vor der Pleite bewahrt hat. "Wir müssen über den zweiten Schritt nachdenken", so der beste chinesische Basketballer. Sollte dieser Schritt in absehbarer Zeit gelingen, dann steht dem chinesischen Basketball bei der riesigen Auswahl an Talenten eine mindestens silberne Zukunft bevor.

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