Es wird emotional, sollte Emily Bessoir am 31. Mai tatsächlich in Bamberg zum EM-Testspiel gegen Tschechien auflaufen. „Bittersüß wäre es“, sagt sie, „aber ich würde mich sehr freuen.“ Ihre letzte Begegnung mit den tschechischen Basketballerinnen im November 2023 endete für Bessoir schlimm: Gestützt von ihren Mitspielerinnen humpelte sie damals vom Platz, sie brauchte keinen Arzt, um zu diagnostizieren, dass das Kreuzband wieder durch war. „Ich wusste es. Alle wussten es“, erzählt sie, knapp anderthalb Jahre später, in einem Café in Prenzlauer Berg. Draußen sagt die Frühlingssonne der Berliner Kälte den Kampf an, drinnen erzählt Bessoir davon, wie sie sich zurückgekämpft hat nach ihrem zweiten Kreuzbandriss – einer Verletzung, die Karrieren beenden kann. Den Weg, den sie dabei gewählt hat, bezeichnen nicht nur Experten als ungewöhnlich. Auch Bessoir räumt ein, er sei „crazy“ gewesen.
Emily Bessoir galt als eines der größten Talente des deutschen Basketballs. Mit der TS Jahn München gewann die 1,92 Meter große Flügelspielerin 2018 die U18-Meisterschaft, später wurde sie U18-Europameisterin, erhielt zahllose Auszeichnungen. Sie war Teil jener Basketballgeneration, die international erstmals weit vorne mitmischte. Sie spielte für die University of California (UCLA) und den A-Kader der Nationalmannschaft, 2023 wurde sie EM-Sechste. Und dann: zweiter Kreuzbandriss, alles auf Anfang. Während die anderen Karriere machten in Frankreich, Spanien und den USA, absolvierte Bessoir Reha-Übungen.
Zurück ins Jetzt: Die 23-Jährige ist gerade aus Hannover zurückgekehrt, sie pendelt derzeit zwischen Berlin, München und Niedersachsen. Dort hat sie am Olympiastützpunkt an ihrer Gesundung gearbeitet, hat kurz vor Ende der Saison beim Bundesligisten TK Hannover unterzeichnet – ohne Spielpraxis, mitten im Reha-Prozess und ohne die Garantie, ein Spiel absolvieren zu können. Warum hat sie sich darauf eingelassen? „Das Team wollte mir die Möglichkeit geben, wieder fit zu werden“, sagt Bessoir, „dafür bin ich sehr dankbar.“ Die Luchse hätten sich im Gegenzug neue Impulse von ihr erhofft: „Allen war bewusst, dass ich nicht garantieren konnte, am Teamtraining teilzunehmen oder an Spielen. Ich konnte nur garantieren, alles zu geben.“
Die Ärzte konnten das Kreuzband nicht einfach ein weiteres Mal erneuern
Ihr Einsatz endete mit dem Ausscheiden der Luchse in den Playoffs, ohne ein einziges absolviertes Spiel, aber nicht ohne Effekt: Bessoir wagte erste Schritte auf dem Feld, nicht nur im Einzel- oder Athletiktraining, sondern auch im vorsichtigen Kontakt mit anderen, im One-on-one oder zu viert auf dem Feld. Im Hinblick auf die anstehende Europameisterschaft und die Heilung ihres Kreuzbandes, das sich „jetzt so bei 85 bis 90 Prozent“ befinde, sei das wahnsinnig wichtig gewesen. „Das Vertrauen ist weg nach so einer Verletzung“, erzählt sie, „vor allem auf dem Feld. Das muss man erst mal wiederfinden.“
Denn auch, wenn Bessoir sich schon einmal zurückgekämpft hatte: Das zweite Comeback verlief anders. Die Ärzte konnten das Kreuzband nicht einfach ein weiteres Mal erneuern. Die Bohrlöcher, in denen Bessoirs erstes neues Kreuzband verankert war, waren zu groß, außerdem nicht stabil genug, um wiederverwendet zu werden. „Man musste die alten Löcher erst zumachen und aushärten lassen“, erklärt Bessoir. Dazu musste der Meniskus genäht werden. Nach der OP pausierte sie drei Monate, sie konnte zwar durch den Alltag gehen, nicht aber joggen oder das Knie stärker belasten. Nach einigen Wochen in Deutschland kehrte sie zurück an die UCLA, um ihr Studium zu beenden. Ihr Basketballstipendium lief weiter, auch wenn sie nicht mehr für die Bruins auflief. „Das war nicht ohne“, erzählt sie. „Man wird aus seinem Alltag gerissen, verliert einen Teil von sich, ist total vulnerabel. Die ganzen positiven Teammomente fehlen.“
Dazu zerplatzten einige Träume: Der WNBA-Draft, zuvor in greifbarer Nähe, war in weite Ferne gerückt. Und dann qualifizierte sich ihr Team, die deutsche Nationalmannschaft, für die Olympischen Spiele in Paris, während Bessoir nur zuschaute. „Ich wusste, dass die Olympia-Quali hart sein wird. Man will ja, dass das Team sich qualifiziert, und gleichzeitig ist man so verletzt, dass man nicht dabei sein kann.“ Verletzt, das zeigen Körperhaltung und Stimme jetzt deutlich, war damals nicht nur das Knie. „Es klingt dramatisch, aber ich war noch nie so traurig in meinem Leben.“
Statt sich im Frust zu verlieren, fasste sie einen unkonventionellen Plan. „Ich träumte davon, Olympia ohne Kreuzband zu machen. Und ein Arzt sagte dann: Das ist möglich.“ Sie rief Marc Lechler an, ihren einstigen Athletiktrainer. Im Chor der vielen Meinungen, die sie damals hörte, vertraute sie seiner besonders.
„Du siehst eine Leonie, eine Nyara, die auch zwei Kreuzbandrisse hatten und jetzt an der Spitze der Welt stehen.“
Lechler kennt Bessoir, seit sie als Jugendliche in München gespielt hat. „Meine erste Reaktion war ein klares Nein“, erzählt er am Telefon: zu hoch die Gefahr, das kreuzbandlose Knie dauerhaft zu schädigen. Dann revidierte er sein Urteil. „Weil ich wusste, wie die Emmy als Sportlerin und als Mensch so tickt. Sie ist schlau und brutal diszipliniert.“ Die beiden erarbeiteten einen detaillierten Trainingsplan mit dem Ziel, das Knie zu kräftigen. „So etwas klappt nur mit jemandem, der alles gibt, und wenn nichts schiefläuft. Wir hatten ja nicht viel Zeit.“
„Anfangs war ich unsicher“, erzählt Bessoir. „Ich bin kein Muskelpaket, keine Superathletin.“ Aber der Plan ging auf, die Kraftwerte stimmten, der Deutsche Basketball Bund (DBB) erteilte die Spielerlaubnis – die für ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen entscheidend ist. Ohne Kreuzband, dafür mit Schiene und vielen neuen Muskeln. „Als ich auf der Eröffnungsfeier auf dem Boot auf der Seine stand, dachte ich nur: holy shit.“ Dass ihr spielerisches Niveau gelitten hatte, sie später nur wenig Zeit auf dem Platz bekam – geschenkt: „Es ging darum, dabei zu sein.“ Auch Marc Lechler fieberte damals mit: „Ich habe noch nie zuvor so viel Frauenbasketball geschaut.“
Nach Olympia erhielt Bessoir ihr neues Kreuzband, fing ein drittes Mal von vorne an. Ob sie während des Prozesses an sich gezweifelt habe? „Immer! Das gehört dazu. Man darf die Zweifel auch wahrnehmen, sie anerkennen, aber niemals darauf hören.“
Sie zückt ihr Smartphone, zeigt ein Bild von jenem Spielende im November 2023. Die Spielerinnen, die sie damals vom Platz tragen, sind Nyara Sabally und Leonie Fiebich – beide ebenfalls doppelt kreuzbandrisserfahren. Heute sind sie WNBA-Champions. „Das Bild steht für so viel“, erzählt Bessoir. „Du siehst eine Leonie, eine Nyara, die auch zwei Kreuzbandrisse hatten und jetzt an der Spitze der Welt stehen.“ Ein Ort, an dem auch Bessoir mitspielen will. Es kann gut sein, dass der kurze Aufenthalt in Hannover nur ein Zwischenstopp ist auf dem Weg nach oben: „Ich bin jetzt erst am Anfang meiner Karriere.“ Sollte sie ihr spielerisches Potenzial noch einmal entfalten können, wäre die Bundesliga zu klein für sie. Sie selbst gibt sich bescheiden: „Ich träume vom europäischen Ausland. Und manchmal auch von der WNBA. Wer weiß, wo mich die Reise hinführt. Ich werde auch auf jeden Fall an Hannover denken.“
Zunächst steht die EM an. Am 25. Mai beginnt die Vorbereitungsphase mit der Nationalmannschaft, bevor die EM dann im Juni startet. Bessoir ist zum Lehrgang eingeladen, in dem der Kader geformt wird, auch wenn die offizielle Spielfreigabe durch den DBB noch aussteht. Der dafür erforderliche medizinische Test findet kurz vor dem Lehrgang statt, „aber die bisherigen Messungen sehen sehr gut aus“. Um sich ihren Platz im Team zu sichern, muss Bessoir außerdem Spielpraxis sammeln, dafür steht sie jetzt, wo ihre Genesung fast abgeschlossen ist, fast täglich in der Halle, trainiert privat mit anderen Spielerinnen, deren Saison bereits vorbei ist. Auch wenn noch nicht alle Hürden genommen sind, glaubt sie fest an ihren Einsatz: „Es ist von Anfang an der Plan gewesen, EM zu spielen, und ich habe zu jedem Zeitpunkt so hart daran gearbeitet, wie ich konnte.“