Süddeutsche Zeitung

Basketball-Finals:Mit fliegenden Zöpfen ins Viertelfinale

Ohne den besten Punktesammler, ohne den besten Rebounder, ohne den Spielmacher: Ulm überrascht beim Finalturnier in München mit guten Leistungen.

Von Joachim Mölter

Dass während der Corona-Krise die Friseurläden eine Weile geschlossen waren, hatte für Dylan Osetkowski auch was Gutes: Da blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich die Haare wachsen zu lassen, und zwar so lang, dass ihm seine Freundin nun viele Zöpfchen flechten konnte, nicht zum ersten Mal übrigens: Bereits während seines Studiums an der University of Texas in Austin trug der 23-Jährige gelegentlich so eine Flechtfrisur spazieren.

Beim Finalturnier der Basketball-Bundesliga (BBL) in München ist Osetkowski mit seinen fliegenden Zöpfen der auffälligste Spieler der auffälligsten Mannschaft - Ratiopharm Ulm. Die Schwaben haben sich als erstes Team für das Viertelfinale qualifiziert nach drei Siegen über den Titelverteidiger Bayern München (95:85), den Geheimfavoriten EWE Oldenburg (82:66) und die Merlins Crailsheim (92:80), ihres Zeichens Tabellendritter, als die Hauptrunde im März wegen der Corona-Pandemie unterbrochen wurde. Damals waren die Ulmer bloß Zehnter, und von den zehn Teilnehmern des kurzfristig anberaumten Finalturniers stand nur Frankfurt weiter unten, auf Rang 14; die auf Acht platzierten Würzburger verzichteten nun aufs Mitmachen, ebenso wie sechs weitere Klubs.

So ein Um- und Aufschwung für sich genommen ist schon bemerkenswert, die Ulmer schafften ihn obendrein ohne ihren besten Punktesammler, ohne ihren besten Rebounder, ohne ihren Spielmacher. Zoran Dragic, bis dahin sogar erfolgreichster Werfer der Liga mit durchschnittlich 19,9 Punkten, hatte sich kurz vor der Corona-Unterbrechung dem spanischen Euroleague-Klub Vitoria-Gasteiz angeschlossen; Grant Jerrett, der Reboundspezialist und zweitbeste Scorer des Teams, zog es wie einige seiner Landsleute vor, die Corona-Krise daheim in den USA auszusitzen; und der Franzose Killian Hayes, 18, scheute das Verletzungsrisiko beim Turnier, weil er bei der anstehenden Talentbörse der amerikanischen Profiliga NBA hoch gehandelt wird.

"Man braucht mehr als zwei Spieler, damit eine Mannschaft funktioniert", sagt der Amerikaner Tyler Harvey, der von Hayes die Spielgestaltung und von Dragic das Punkten übernommen hat. Es ist nun eine ganz andere Spielweise, mit der Ulm bei diesem Turnier aufwartet. Hayes hatte den Ball stets lang in den Händen, ehe er einen Spielzug einleitete, und solange Dragic da war, liefen die Aktionen meist über ihn. Harvey und Per Günther, die sich jetzt beim Spielaufbau abwechseln, fangen hingegen gleich an, den Ball durch die Reihen laufen zu lassen, so kriegen ihn alle mal zwischen die Finger und ein besseres Gefühl dafür; vor allem bringen sie die gegnerische Abwehr schneller in Bewegung und spielen so Kollegen frei. "Wer die beste Gelegenheit hat, der wirft", sagt Harvey, Ulms bester Schütze in den ersten zwei Partien.

Die neue Ausgeglichenheit und die damit einhergehende Unberechenbarkeit der Ulmer schlugen sich beim Erfolg über Crailsheim in dem Umstand nieder, dass gleich die Hälfte der Spieler zweistellig punktete, allen voran der Center Osetkowski (17 Punkte). "Jeder in unserem Kader ist ein Teamspieler", findet er, "da gibt es keinen, der selbstsüchtig ist. Wir sind eine sehr uneigennützige Mannschaft, das hilft in so einer Turniersituation."

Nach drei Partien innerhalb von fünf Tagen haben die Ulmer nun eine kleine Pause von drei Tagen bis zu ihrem letzten Vorrundenspiel am Sonntag gegen die BG Göttingen, Osetkowskis vorherigen Klub. Der Center war von den Ulmern zu Saisonbeginn ausgeliehen und vor dem Finalturnier zurückgeholt worden, als Ersatz für Jerrett. Angesichts der besonderen Situation erlaubte die BBL jedem Klub zwei Nachverpflichtungen. In Ulm holten sie außerdem den Österreicher Thomas Klepeisz, dessen bisheriger Klub Löwen Braunschweig den Spielbetrieb für diese Saison eingestellt hat. "Sie haben sich mühelos eingefügt", sagt Harvey. "Es ist beeindruckend, wie schnell sich die beiden integriert haben", pflichtet Sportdirektor Thorsten Leibenath bei: "Und das, obwohl wir vorher nur zehn Trainingseinheiten mit dem Team hatten." Per Günther findet: "Tommy hätte auch gar kein Training mit uns gebraucht, den hättest du jetzt erst anrufen können. Er versteht die Spielzüge sehr schnell. Das macht es einfach."

Die Ulmer haben ihr Turnierziel, den Viertelfinaleinzug, bereits erreicht, aber damit wollen sie es jetzt nicht bewenden lassen. "In der Gruppenphase gibt es keine Überraschungen, die was wert sind", ordnet Per Günther, 32, der Teamälteste, die bisherigen Erfolge ein: "Aber wenn es Überraschungen geben sollte, dann in diesem Format. Da ist es schwieriger für die beste Mannschaft, sich auch durchzusetzen." Wegen des begrenzten Zeitplans werden die K.-o.-Runden mit Hin- und Rückspiel ausgetragen, nicht im gewohnten Best-of-five-Modus, in dem drei Siege zum Weiterkommen nötig sind. Nun könnten drei Siege in den Playoffs schon zum Titel reichen.

Trainer Jaka Lakovic, 41, warnt seine Spieler freilich vor Übermut: "Nach der Vorrunde fängst du wieder bei Null an. Die drei oder vier Siege jetzt werden dir nicht helfen in den Playoffs. Wir müssen bescheiden bleiben." Da brauche er keine Angst zu haben, versichert Per Günther: "Die Gefahr, dass wir durchdrehen, ist nicht gegeben."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4933331
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.