Basketball-Euroleague:Guter Wein und ein Schweizer Taschenmesser

Basketball-Euroleague: Lass dich umarmen: Nick Weiler-Babb (vorne) und Othello Hunter wissen, dass sie gerade Historisches vollbracht haben.

Lass dich umarmen: Nick Weiler-Babb (vorne) und Othello Hunter wissen, dass sie gerade Historisches vollbracht haben.

(Foto: Markus Fischer/Passion2Press/Imago)

Der FC Bayern hat gegen Barcelona mit dem 59:52-Sieg ein fünftes Match bei den Spaniern erzwungen und damit die Chance auf das Final Four. Dabei zeigte sich, wie gut die Mischung aus Routine und Talent im Team gelungen ist.

Von Ralf Tögel, München

Marko Pesic hätte vieles sagen können an diesem Abend im Audi Dome. Die Uhr tickte unaufhaltsam gegen Zwölf, hinter Pesic tollten noch ein paar Kinder der Spieler auf dem Parkett umher, auf dem sich zuvor Historisches ereignet hatte. Zum zweiten Mal nacheinander kämpfen die Münchner mit realistischen Chancen um den Einzug ins Final Four, dem Endturnier um die europäische Krone im Basketball. Der 59:52-Sieg gegen den Topfavoriten FC Barcelona brachte den 2:2-Ausgleich in der Serie, Spiel fünf findet am Dienstag (20 Uhr) in Spanien statt. Es war ein begeisternder Abend, eine unglaubliche Energieleistung einer dezimierten Mannschaft, der in Corey Walden und Topscorer Darrun Hilliard zwei wichtige Kräfte fehlten. Nie zuvor hatten die 6500 Zuschauer in der ausverkauften Halle den Spielern unten auf dem Feld so viel Energie gegeben, vom ersten Wurf an wurde jede Aktion frenetisch bejubelt. Und nie zuvor wurde ein so großer Gegner in einem so bedeutenden Spiel klein gehalten, man kann sagen: Es war der wohl größte Abend im Dome, seit die Basketballer des FC Bayern im internationalen Wettbewerb zu Werke gehen.

Marko Pesic hätte also darüber räsonieren können, welch gutes Händchen er bei den Verpflichtungen des weitgehend neu zusammengestellten Kaders hatte. Über den Fachverstand und die Kontakte seines Sportdirektors Daniele Baiesi, der in Abstimmung mit ihm und Trainer Andrea Trinchieri die Spieler gescoutet und von einem Wechsel nach München überzeugt hatte. Aber Pesic sprach vom "riesen Charakter dieser Mannschaft". Es sei die Mischung aus Routiniers und Talenten, die das Team ausmache, Spielern wie Othello Hunter oder Nick Weiler-Babb.

In Spiel drei zog sich Hunter einen Cut an der Schläfe zu. Er ließ ihn mit vier Stichen nähen und spielte weiter

Hunter ist der einzige Profi im Kader, der die Euroleague schon gewonnen hat, 2019 triumphierte er mit ZSKA Moskau. Der 2,03-Meter-Center ist mittlerweile 36 Jahre alt, spielte nach einem NBA-Gastspiel zu Beginn seiner langen Profikarriere in den vergangenen neun Jahren ausschließlich bei europäischen Topklubs, neben Moskau für Montepaschi Siena, Olympiakos Piräus, Real Madrid und Maccabi Tel Aviv. Aus Israel kam Hunter zu Saisonbeginn mit 218 Euroleague-Partien in seinem Erfahrungsschatz, darunter viele dieser nervenaufreibenden K.-o.-Spiele. Dieses Wissen soll er nun den jungen Mitspielern weitergeben, sie anleiten, was ihm vorzüglich gelingt.

Auch Hunter war noch in der Halle, als langsam die Lichter ausgingen. Tiefenentspannt saß er auf der Bande und beobachtete die spielenden Kinder der Teamkollegen. Dann erzählte er eine Geschichte: Nach der Niederlage in Barcelona im ersten Playoff-Spiel sei Ognjen Jaramaz sichtlich niedergeschlagen gewesen, da habe er den zehn Jahre jüngeren Kollegen zur Seite genommen, ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: "Warte nur, wir machen das schon." Und Hunter geht voraus. Neben der Erfahrung, die ihn in kniffligen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen lässt, besticht er im Herbst seiner Karriere auch durch einen unbändigen Einsatzwillen. Wie im dritten Spiel, als er sich bei einem Hecht nach dem Ball einen Cut an der linken Schläfe zuzog: Hunter ließ sich die Wunde mit vier Stichen nähen - und spielte weiter. Solch einen Einsatz müsse "ein Spieler wie er gar nicht mehr zeigen", findet Pesic. Eigentlich hatte der Center am Ende seines Tel-Aviv-Engagements über ein Karriereende nachgedacht, finanziell jedenfalls könnte er sich das nach vielen Jahren bei Klubs in der europäischen Spitze sicher leisten. "Othello ist wie ein guter Wein, er wird immer besser." Und er hat noch Lust, zu hechten - und sein Wissen weiterzugeben, an Spieler wie Nick Weiler-Babb.

Der kam vor zwei Jahren mit der Erfahrung von null Euroleague-Spielen aus Ludwigsburg, nachdem er in den Playoffs starke Leistungen gezeigt hatte - gegen die Bayern. Pesic sagte schon damals, dass der 26-Jährige einmal zu den besten Guards in Europa zählen werde, was sich immer mehr bestätigt. In der Defensive ist er schon lange ein bestimmender Akteur. Nun wird Weiler-Babb auch offensiv zusehends zu einem Faktor im Spiel. Dabei musste er nach einer Gehirnerschütterung Anfang März noch fünf Wochen pausieren, doch "seit er auf den Kopf gefallen ist, wird er im Angriff immer besser", stellte Pesic fest: "Das hat natürlich nichts miteinander zu tun." Pesic vergleicht seinen Guard mit einem Schweizer Messer, weil er universell einzusetzen sei, was ihn so wertvoll mache: "Nach meinem Gefühl wird er immer besser, je erfahrener er ist."

Am Dienstag im Palau Blaugrana werden sie wieder gefordert sein, Hunter, Weiler-Babb und die Kollegen. Trainer Trinchieri sagt trotz des Triumphes im Dome, dass man eigentlich keine Chance habe. Er sagte aber auch: "Genau das ist unsere Chance."

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