Süddeutsche Zeitung

Basketball:Der FC Bayern greift an

Nach einer Saison ohne Titel muss Trainer Andrea Trinchieri liefern. Dafür wird der Kader im Kern gehalten, auf den deutschen Positionen umgebaut und weiter verstärkt.

Von Ralf Tögel

Urlaub? Marko Pesic lächelte gequält. Die Saison war gerade vorbei, klar, aber in diesem Moment beginnt für den Geschäftsführer eines Basketball-Profivereins die Arbeit für die nächste Saison. Die Spieler des FC Bayern München hatten sich in alle Winde verstreut, für ein bisschen Erholung nach den Strapazen der vergangenen Monate. Die kraftraubende Spielzeit mit drei Wettbewerben hatte ja durch die Pandemie und die daraus resultierenden Verwerfungen kaum Zeit zum Luftholen gelassen. Für Pesic dagegen galt es, zusammen mit Trainer Andrea Trinchieri und Sportdirektor Daniele Baiesi den neuen Kader zu bauen. Wenn man ihn nun in diesen Tagen trifft, ist der größte Druck bereits abgefallen, die wichtigsten Personalien sind erledigt, Pesic wirkt entspannter.

Damals, am 20. Juni, dem Tag nach der dritten Niederlage gegen den alten und neuen Meister Alba Berlin, musste er erst einmal die frischen Eindrücke einer unbefriedigenden Saison sacken lassen. In der Euroleague hatte das Team erneut die Playoffs erreicht, unterlag im Viertelfinale wie schon in der Vorsaison hauchdünn in fünf Spielen, dieses Mal gegen den großen FC Barcelona. Ein Achtungserfolg in der europäischen Königsklasse, das schon, aber ohne Wert. Das Scheitern im Ringen um die deutsche Meisterschaft wog ungleich schwerer und ließ die Saison nach dem frühen Pokal-Aus zu einem Misserfolg schrumpfen.

Kein Titel, weniger geht nicht, im Vorjahr konnten sich die Münchner immerhin noch den Pokalsieg auf den Briefkopf drucken. Pesic wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, die Fakten abwarten, in Ruhe analysieren. Nur einmal entfleuchte ihm seinerzeit ein Lächeln, als es um die Vertragsverlängerung von Nick Weiler-Babb ging, nach seiner Meinung einer der besten Guards in Europa, mit erst 26 Jahren zudem ausgestattet mit weiterem Entwicklungspotenzial. Pesic hatte seine Hausaufgaben gemacht und sich rechtzeitig um den begehrten US-Amerikaner bemüht.

In Elias Harris kommt ein alter Bekannter: Der wuchtige Flügelspieler holte unter Trainer Trinchieri mit Bamberg drei Meisterschaften

Wie erwartet bleibt der abwehrstarken Guard zwei weitere Jahre, dafür wurde Kapitän Nihad Djedovic verabschiedet. Der FCB wollte dem 32-Jährigen trotz Vertrags bei seiner wohl letzten Chance auf ein attraktives Auslandsengagement keine Steine in den Weg legen und ließ ihn zum spanischen Erstligisten Malaga ziehen. Leon Radosevic bekam kein neues Angebot, der Center ist ebenfalls 32 und im Herbst seiner Karriere, war in der vergangenen Saison wie Djedovic lange verletzt und schloss sich dem italienischen Erstligisten Derthona Basket an. Zudem wechselt Joshua Obiesie, 22, nach nur einer Saison zu Ligakonkurrent Frankfurt.

Diese Weggänge lassen erkennen, dass die Münchner die deutschen Positionen überdacht haben. Durch zwei Verpflichtungen sind die Lücken schon geschlossen: Flügelspieler Niklas Wimberg, 26, gilt als nationales Versprechen. Und der robuste Elias Harris, 32, ist bestens mit Trainer Trinchieri und Sportdirektor Baiesi vertraut und gewann mit ihnen in Bamberg drei Meistertitel. Zudem sollen Spieler wie Gavin Schilling, der jüngst bei der WM-Qualifikation sein Debüt im Nationalteam feierte, den nächsten Schritt gehen.

Gleichwohl setzt der FC Bayern auf Kontinuität, Routinier Othello Hunter hat sich trotz seiner 36 Jahre für eine weitere Saison als mentaler Leader neben Vladimir Lucic dringend empfohlen, mit den Schlüsselspielern Augustine Rubit und Zan Mark Sisko wurde verlängert. Bei Deshaun Thomas rutschte Pesic wieder ein Lächeln über die Lippen, der US-Amerikaner spielt gerade die NBA-Summer-League, danach werde man sich zusammensetzen. Corey Walden und Paul Zipser haben wie Ognjen Jaramaz und Andreas Obst gültige Arbeitspapiere, gehen angesichts ihrer üppigen Fehlzeiten fast als Zugänge durch. Zipser war nach seiner Hirn-OP nur sehr dosiert einzusetzen, Walden fehlte praktisch die zweite Saisonhälfte, er hatte nach einer Corona-Infektion Probleme mit dem Herzen. Die vielen Ausfälle hat Pesic als Hauptübel ausgemacht: "Wir müssen es schaffen, den Kader gesund zu halten." Denn über die Saison gesehen hätten immer mindestens 30 Prozent der Spieler gefehlt. In diesem Zusammenhang mussten sich die Münchner den Vorwurf mangelnder Belastungssteuerung gefallen lassen, was Pesic nicht weiter kommentieren will: "Sonst heißt es sofort wieder, wir suchen nach Ausreden."

Natürlich hatten die Münchner die Corona-Probleme nicht exklusiv, aber in der Endphase der Saison rollte die dritte Virus-Welle über den Kader und dezimierte ihn. Bis auf Weiler-Babb hatten sich alle Spieler mindestens einmal mit Corona infiziert, erinnert Pesic, der Guard fehlte dafür sieben Wochen wegen einer Gehirnerschütterung. Auf weniger Pech zu hoffen, wird nicht reichen, Trinchieri weiß, dass er kommende Saison liefern muss - egal was passiert, er muss Titel holen. Es ist zu erwarten, dass der Italiener den Spagat zwischen internationalem und Alltagsgeschäft Bundesliga überdenken wird, der Euroleague-Achtungserfolg wurde zum zweiten Mal hintereinander zu teuer bezahlt. Um die Kräfte ökonomischer zu verteilen, wird er Backup-Akteuren wie Wimberg, Schilling oder Marvin Ogunsipe mehr zutrauen müssen, was in der Vergangenheit zu selten der Fall war und die Stammspieler im Saisonendspurt an das Ende ihrer Kräfte führte. Immerhin darf der Trainer noch zwei ausländische Verstärkungen "auf einer großen und einer kleinen Position" erwarten, sagt Pesic, zumal Topscorer Darrun Hilliard, der ebenfalls die halbe Saison verletzt fehlte, sich nach Tel Aviv verabschiedet hat.

Eines aber bleibt unverändert: "Priorität hat die deutsche Meisterschaft." Die soll nach drei vergeblichen Anläufen im Audi Dome gefeiert werden, denn die Eröffnung des SAP Gardens hat sich wegen Liefer- und Personalproblemen auf 2024 verschoben.

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