Süddeutsche Zeitung

Basketball-EM:Einbürgerung im Eilverfahren

Beim deutschen Halbfinalgegner Spanien spielt in Lorenzo Brown ein kürzlich eingebürgerter Spieler eine tragende Rolle - wie in vielen anderen Teams. Das finden nicht alle gut.

Von Ralf Tögel

Rudy Fernandez und Lorenzo Brown harmonierten prächtig auf dem Spielfeld. Die beiden Spanier waren wichtige Stützen beim 100:90-Sieg im Viertelfinale gegen die Finnen um ihren NBA-Flügelspieler Lauri Markkanen, der sich trotz seiner 28 Punkte vergeblich gegen das EM-Aus stemmte. Die Finnen führten zur Pause klar (52:43), dann brachte Fernandez den Umschwung: Fünf Pässe fing er dem Gegner ab, erzielte 15 Punkte. Und in der Schlussphase strukturierte Brown das Spiel, erzielte 18 Punkte. Die deutsche Mannschaft trifft nun also auf Weltmeister Spanien, um Kapitän Fernandez und Spielmacher Brown.

Ursprünglich war der Mallorquiner Fernandez gar nicht so glücklich über den neuen Teamkollegen aus den USA, obwohl Brown mit der Empfehlung einer NBA-Vergangenheit in die Auswahl der Iberer kam. Das war aber das Problem, bis kurz vor Turnierbeginn war Brown noch kein Spanier. Der 32-Jährige, der durch Europas Topvereine tingelte und derzeit bei Maccabi Tel Aviv angeheuert hat, wurde eigens für die EM im Eilverfahren eingebürgert. Respektlos gegenüber den eigenen Talenten fand das Fernandez in einer ersten Reaktion.

Brown ist nicht der einzige Akteur, der kurzerhand mit neuer Nationalität ausgestattet wurde. Für die Türkei geht Shane Larkin aufs Feld, der bei der 86:87-Achtelfinalniederlage gegen Frankreich wegen einer Fingerverletzung fehlte. Mit Larkin, früher in der NBA tätig und später Spielmacher bei diversen Euroleague-Klubs, hätte das Ergebnis vielleicht anders ausgesehen. Auffallend oft handelt es sich bei den Neubürgern um Spielmacher, nordamerikanische Kräfte sind offensichtlich begehrt. Die nehmen das Angebot gerne an, zumal sie es unter eigener US-Flagge nie in die Landesauswahl schaffen würden.

Jaleen Smith erzählt, dass er nicht einmal wusste, wo Kroatien liegt. Jetzt ist er Spielmacher der Nationalmannschaft

So bedankte sich Kendrick Perry, der im Achtelfinale mit Montenegro der deutschen Mannschaft mit 27 Punkten gehörigen Ärger bereitet hatte, bei seinem neuen Heimatland für die Chance, an so einer herausragend besetzten EM teilzunehmen. Denn mit seinem Klub Malaga spielt er nie gegen NBA-Spieler. Oder John Roberson: Der Spielmacher der bosnischen Auswahl spielte in Slowenien, der Schweiz, Schweden, Frankreich, Russland, Australien, der Türkei und Spanien - nie aber in Bosnien.

Jaleen Smith wurde kurz vor Turnierbeginn Kroate, sein Geld verdient der Bis-dahin-Texaner bei Alba Berlin, die Berührungen mit Kroatien waren sparsamer Natur, wie er dem Internetportal Eurohoops berichtete: Er wusste nicht einmal, wo seine neue Heimat liegt. Ähnliches erzählte Mike Tobey: Er habe das erste Mal von Slowenien gehört, als er gefragt wurde, ob er einen Pass haben wolle.

Immerhin ist eine Wettbewerbsverzerrung wie im Handball nicht möglich. In unguter Erinnerung bleibt da die WM in Katar: Der Gastgeber hatte sich mit vielen Petrodollar-Millionen Spieler aus Kuba, Montenegro, Bosnien, Spanien oder Frankreich zusammengekauft, wurde WM-Zweiter. Zwar wurden die Regeln danach verschärft, sie sind aber nicht so rigide wie im Basketball: Dort darf nur ein tatsächlich eingebürgerter Spieler mitmachen.

Das spanische Team hat aber weitaus mehr zu bieten als Brown: Die Hernangomez-Brüder Juancho (Denver Nuggets) und Willy (New Orleans Pelikans) spielen beide in der NBA. Letzterer war gegen Finnland mit 28 Punkten bester Werfer. Auch Usman Garuba geht in die NBA zu den Houston Rockets. Zudem gilt der italienische Trainer Sergio Scariolo als alter Taktikfuchs, er gewann mit Spanien drei EM- und einen WM-Titel. "Die spielen mit einer unglaublichen Ruhe, taktisch sehr ausgefeilt, der Trainer hat immer wieder Sachen auf Lager, die nicht so üblich sind", warnt Deutschlands Co-Kapitän Johannes Voigtmann.

Es war auch die Idee Scariolos, nach dem Ende der goldenen Generation in Brown einen erfahrenen und hochklassigen Leader ins Team zu holen, zumal der etatmäßige Spielmacher Ricky Rubio, natürlich ebenfalls in der NBA für die Indiana Pacers notiert, mit einem Kreuzbandriss ausfällt. Im deutschen Team haben sie in Nick Weiler-Babb einen Abwehrspezialisten, dem die Aufgabe, die Kreise von Lorenzo Brown einzuengen, wie auf den Leib geschneidert erscheint.

Weiler-Babb wurde im Übrigen kurz vor dem EM eingebürgert. Immerhin kennt er seine neue Heimat. Er hat eine deutsche Großmutter, spielt seit 2019 in Deutschland und hat seinen Vertrag beim FC Bayern München gerade bis 2024 verlängert.

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