Süddeutsche Zeitung

Basketball-EM in Deutschland:Hoffen auf den Erweckungskuss

In einer Woche startet die Basketball-Europameisterschaft in Köln. Stephan Baeck war 1993 dabei, als das deutsche Team überraschend den Titel holte - und erklärt, warum die Sportart bis heute in Deutschland auf den Durchbruch wartet.

Von Jonas Beckenkamp, Köln

Das Bayerische Fernsehen hatte vor neun Jahren anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Europameistertitels der deutschen Basketballer eine Dokumentation angefertigt. Eine kleine Sensation war das 1993, niemand hatte das Team des damaligen Bundestrainers Svetislav Pesic, der bei dieser EM Mitfavorit Serbien anleitet, auf der Rechnung. Verschwitzte Hünen lagen sich in den Armen, riesige Kerle fassten sich verblüfft an den Kopf, daneben freudige Polizisten in hellgrünen Neunzigerjahre-Uniformen. Und in der Live-Übertragung stammelte Kommentator Fritz von Thurn und Taxis: "Ich kann es nicht begreifen, was diese Mannschaft hier leistet."

In einer Woche nun beginnt wieder eine Basketball-Europameisterschaft. Am Donnerstag spielt die deutsche Auswahl von Bundestrainer Gordon Herbert noch ein WM-Qualifikationsspiel in Schweden, am Sonntag folgt die Qualifikationspartie im Münchner Audi Dome gegen Titelverteidiger Slowenien. Und während die WM im kommenden Sommer am anderen Ende der Welt auf den Philippinen, in Japan und Indonesien stattfindet, steigt die EM (1. bis 18. September) in Köln und Berlin. Eine Heim-EM also, wie vor fast 30 Jahren. Die beiden Qualifikationsspiele sollen eigentlich letzte Aufschlüsse über den Zustand des Teams geben, in Schweden wird indes von den ursprünglich fünf nominierten NBA-Spielern nur einer sicher dabei sein: Franz Wagner.

Isaac Bonga und Moritz Wagner sind wegen Verletzungen aus dem Rennen, auch für Daniel Theis ist die EM wegen Knieproblemen fraglich. Immerhin besteht die Hoffnung, dass Anführer Dennis Schröder nach seiner Knöchelverletzung vom Supercup in Hamburg gegen Slowenien wieder mitmischen kann. Unabhängig davon scheint es mehr als fraglich zu sein, ob es wieder zu ähnlich surrealen Bildern kommen kann wie 1993.

Nach anfänglicher Euphorie blieb der Basketball-Boom nach dem Titel 1993 aus

Dieser ferne Moment hätte damals viel verändern können. Basketball, dieser universitär angehauchte Sport, stand plötzlich im Fokus. Und Boris Becker und Steffi Graf hatten es gerade vorgemacht, wie es eine Sportart in die deutschen Wohnzimmer schaffen kann.

Doch es kam anders - und an der öffentlichen Wahrnehmung hat sich bis heute wenig geändert. Basketball ist Nischensport, auch vor dieser Heim-EM, trotz deutscher NBA-Profis, trotz der Erfolge von Dirk Nowitzki, trotz der zwei Millionen Instagram-Fans von Dennis Schröder. Was also erzählt 1993 über die Entwicklung des Basketballs, wie fühlte es sich damals im Vergleich zu heute an? Einer, der es wissen muss, ist Stephan Baeck, damals Europameister und heute Basketball-Botschafter der Stadt Köln, in der jetzt die deutschen Vorrundenspiele stattfinden.

"Alle haben erwartet, dass Deutschland wachgeküsst wird, Basketball einen größeren Stellenwert bekommt, aber das ging nicht auf", sagt der 57-Jährige heute: "Wir wurden in der Folge auf allerlei Veranstaltungen eingeladen, ich konnte einen Werbespot für Nutella machen, aber das Interesse war nicht nachhaltig." Baeck klingt etwas ernüchtert, wenn er von dem größten deutschen Erfolg erzählt, zu dem er im Halbfinale gegen Griechenland neun Punkte beigesteuert hat.

Natürlich habe der Titel von 1993 bis heute eine "sehr große Bedeutung" für den deutschen Basketball, gleichzeitig habe man "sich viel mehr versprochen für die Entwicklung des Sports". Baeck findet: Es fehlten damals die Strukturen, um den Erfolg zu verarbeiten, es fehlte ein Plan, die Aufmerksamkeit am Leben zu erhalten. Die Bundesliga fand in den Neunzigerjahren noch vorwiegend in miefigen Turnhallen statt, im TV gab es kaum Übertragungen, die NBA war in jeder Beziehung weit weg.

"In Deutschland gibt man sich selten mit Mittelmaß zufrieden", sagt Stephan Baeck

"Ich glaube, dahinter steckt auch eine deutsche Mentalitätsgeschichte: Man will hier immer das bestmögliche Produkt schauen und gibt sich mit Mittelmaß selten zufrieden", sagt Baeck, weshalb sich um die NBA später eine kleine Gemeinschaft bildete, nicht aber um die Bundesliga. Das Produkt ist zwar besser geworden, die Einschaltquoten auch, Basketball bleibt aber am Rand. "Hier muss man national und international spitze sein, sonst tut sich nichts", glaubt Baeck. Und genau darin liege heute das Potenzial. Denn zur Heim-EM ist die Aufmerksamkeit gestiegen, der Ticketverkauf läuft gut. Baeck, der bei den Rheinstars Köln nach dem Abstieg in die Regionalliga gerade als Geschäftsführer am Wiederaufbau arbeitet, nennt die Zugpferde: Dennis Schröder, die Wagner-Brüder, Daniel Theis, "das sind alles Spieler, die jetzt für Furore sorgen. Und nicht zu vergessen Dirk Nowitzkis Meriten in der näheren Vergangenheit".

Der ist diesmal ebenfalls EM-Botschafter - und pries zuletzt schon mal die aktuelle Generation. "Potenzial hat die Mannschaft, die Chemie muss stimmen, alle müssen topfit sein", befand er kürzlich. Aber ob das reicht? "Die Hallen werden hoffentlich voll sein, die Teams aus Slowenien und Litauen (deutsche Vorrundengegner, d. Red.) bringen traditionell viele Fans mit."

Auch Schröder, der Kapitän und gefragteste deutsche Spieler dieser Tage, hat den erhofften Schwung für seinen Sport im Kopf: "Wir haben die Chance, den Basketball noch größer zu machen in Deutschland." Schröder kam kurz nach dem EM-Triumph 1993 zur Welt, jetzt will er ein ähnliches Glanzlicht setzen.

Ein gewisser Druck sei jetzt schon da, findet auch Stephan Baeck, weil auch "mit den ganzen deutschen NBA-Spielern der große Wurf noch nicht gelungen ist". Aber die Chance bestehe, dass es mal wieder klappt mit Erlebnissen wie 1993: "Für die deutsche Basketball-Seele wäre ein erfolgreiches Abschneiden sehr schön und auch sehr wichtig."

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