Deutschland bei der Basketball-EM:Im Flow zum dritten Sieg

Deutschland bei der Basketball-EM: Durchsetzungsstark: Dennis Schröder (rechts) im Duell mit dem Litauer Rokas Jokubaitis.

Durchsetzungsstark: Dennis Schröder (rechts) im Duell mit dem Litauer Rokas Jokubaitis.

(Foto: Wunderl/Beautiful Sports/Imago)

Die deutsche Nationalmannschaft ringt in einem nervenaufreibenden Spiel Litauen nach zweimaliger Verlängerung mit 109:107 nieder - und steht endgültig im Kreis der Medaillenfavoriten.

Von Ralf Tögel, Köln

Oh, wie ist das schön, schallte durch die Halle, Menschen lagen sich in den Armen, es war wie Karneval in Köln: In einem unglaublich spannenden und nervenaufreibenden Spiel gelang der deutschen Basketball-Nationalmannschaft mit 109:107 Punkten gegen Litauen nach zweimaliger Verlängerung der dritte Sieg im dritten Spiel, womit das Achtelfinale auf schnellstmöglichem Weg gebucht ist. Denn am Abend zitterten sich die Franzosen zu einem 78:74-Sieg gegen die Ungarn und leisteten Schützenhilfe, auch der Einspruch der Litauer blieb erfolglos. Die Referees hatten nach einem technischen Foul gegen Deutschland den fälligen Freiwurf schlichtweg vergessen. Aber der Protest kam zu spät, die Begründung ging nicht innerhalb der festgelegten Frist von 60 Minuten beim Weltverband Fiba ein.

Es kommt nicht oft vor, dass eine deutsche Nationalmannschaft in eigener Halle beim Einlaufen mit einem Pfeifkonzert bedacht wird. Zumal in einer ausverkauften Heimstatt, wie am Sonntag vor 18 017 Zuschauern in der Kölner Arena. Was nicht bedeutete, dass die heimischen Zuschauer in der Unterzahl waren, aber die 7000 basketballverrückten litauischen Fans verwandeln das Areal bei Auftritten ihrer Auswahl stets in eine riesige Partyzone. Dieses Mal aber hatten sie einen würdigen Gegner auf den Tribünen - auf dem Spielfeld ohnehin.

Es ging ja auch um einiges, die Auswahl des Deutschen Basketball Bunds (DBB) wollte unbedingt nach Berlin in die K.-o.-Runde, Litauen stand nach zwei Niederlagen mit dem Rücken zur Wand. Und das Spiel übertraf alle Erwartungen: Von der ersten Minute an legten beide Kontrahenten mit viel Energie los, aus einer giftigen und robusten Verteidigung suchten beide das schnelle Offensivspiel, was einen sehenswerten, bisweilen wilden Schlagabtausch ergab. In dem sich die Mannschaft von Bundestrainer Gordon Herbert nach einem ausgeglichenen ersten Viertel (19:19) bis zur Pause langsam ein Übergewicht erarbeitete. Vor allem der NBA-erfahrene Franz Wagner (Orlando Magic) erwischte einen Glanztag, egal ob aus der Distanz, im Eins-gegen-eins-Duell oder beim Blocken in der Abwehr: Der 21-jährige Topscorer (32 Punkte) drückte dem Spiel seinen Stempel auf und führte die Deutschen zu einem 46:41-Vorsprung zur Halbzeit.

Dennis Schröder vergibt mit dem letzten Wurf die Chance auf den vorzeitigen Sieg

Auch auf Seiten der Litauer war es in Jonas Valančiūnas (New Orleans Pelicans) ein NBA-Akteur, der sich dem Gegner am wirkungsvollsten entgegenstemmte. Unter dem Korb ist der 2,13-Brocken ohnehin schwer zu halten, zudem traf der 30-jährige Routinier sicher aus der Distanz (34). Die Partie blieb intensiv und eng, vor dem finalen Viertel war der Vorsprung der Deutschen auf einen Punkt geschmolzen (66:65). Im Schlussabschnitt stiegen Intensität und Spannung in der längst kochenden Arena weiter, die Führung wechselte mit jedem Treffer, aber Dennis Schröder vergab mit dem letzten Wurf die Chance auf den vorzeitigen Sieg.

89:89 stand es nach der regulären Spielzeit, die DBB-Auswahl musste in die Verlängerung. Wieder ging es hin und her, wieder stürzten die Protagonisten auf dem Parkett die Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle: 96:96 - zweite Verlängerung.

Und dort hatten die Deutschen, angefeuert von den längst frenetischen Zuschauern etwas mehr Wurfglück. Dieser Sieg nach hartem Kampf dürfte das ohnehin große Selbstvertrauen der deutschen Akteure weiter befördern, nun geht es am kommenden Dienstag (20.30 Uhr) gegen den Europameister aus Slowenien, der indes überraschend gegen Bosnien-Herzegowina verloren hat.

Gegen Bosnien-Herzegowina tags zuvor begann das deutsche Team deutlich unrunder, denn da funktionierte zunächst jenes Element nicht, das Spielmacher Maodo Lô als "Markenzeichen" im deutschen Spiel ausgemacht hatte: die Defensive. Immer wieder konnte der bosnische Flügelspieler Džanan Musa unbedrängt zum Korb ziehen oder zu Distanzwürfen ansetzen, was er dann auch mit 30 Punkten dankend nutzte. Zudem zeigte Bosniens Center Jusuf Nurkić, warum er sogar in der NBA gefürchtet ist.

Von Bosniens hünenhaften NBA-Center Nurkić prallen die deutschen Spieler in der ersten Halbzeit ab wie Fliegen

Von dem 2,13 Meter-Hünen der Portland Trail Blazers prallten die deutschen Verteidiger teilweise wie Fliegen ab. "Die haben uns überrumpelt mit ihrer Physis und Aggressivität", beschrieb Lô die erste Halbzeit, was Wirkung hinterließ. Phasenweise wirkte das Team verunsichert und leistete sich auch Aussetzer im Aufbauspiel. Die Folge waren 14 Ballverluste, ein unschöner Wert im Spitzenbasketball.

Doch das Team um Anführer Schröder, der nach wie vor mit seinem Distanzwurf hadert, aber gegen Bosnien-Herzegowina wie auch nun gegen Litauen Führungsqualitäten bewies, wusste sich zu steigern. Auch dank Trainer Herbert, wie Lô berichtete, der ruhig und sachlich in der Pause analysiert und auf Fehler hingewiesen habe. "Wir haben versucht, es zu korrigieren, hat ganz gut geklappt." In der Tat, fortan wurden die beiden bestimmenden Akteure in Reihen des Gegners deutlich wirkungsvoller bearbeitet, "wir haben in der zweiten Halbzeit als Team verteidigt, das hat automatisch jeden Spieler aktiver gemacht", erklärte Lô den Umschwung.

Und plötzlich klappte auch das Angriffsspiel besser, was sich bekanntlich meist gegenseitig bedingt: "Aus der Defense resultiert die Offense", erklärte Lô. Die langen Kerle in der deutschen Auswahl bekamen immer mehr Bälle unter den Körben zu greifen, so fand das DBB-Team zu seinem schnellen Umschaltspiel zurück. Vor allem Jonas Wohlfarth-Bottermann, der gegen Frankreich fast das gesamte Spiel auf der Bank zugebracht hatte, glänzte mit starken Szenen hinten wie vorne. Das ist ja ein zweites Markenzeichen dieser Mannschaft, dass es die Bankspieler verstehen, sich gewinnbringend einzufügen.

Das bestätigte auch Co-Kapitän Johannes Voigtmann, der nach getaner Arbeit "einfach nur müde", war, die beiden Siege seien an die Substanz gegangen. "Das Gute ist, dass immer andere Spieler da sind." In der Tat, gegen Bosnien punkteten Voigtmann, Johannes Thiemann und Andreas Obst zweistellig, gegen Litauen waren neben Wagner und Schröder noch Lô (21) und Daniel Theis (elf) zur Stelle. Man müsse sich in einen Flow spielen, hatte Voigtmann vor dem Turnier gefordert, das darf man spätestens jetzt als geglückt bezeichnen. Ob Deutschland nun in den Kreis der Medaillenanwärter zu zählen sei? Das müssten andere beantworten, aber "wir sind mit hohen Erwartungen hierhergekommen".

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