Die Frage, ob Dirk Nowitzki schon ein alter Mann ist, lässt sich einfach beantworten: Ist er nicht. Mit 37 Jahren steht er mitten im Leben, sein Haar ist noch voll, es schimmert zwar nicht mehr so blond wie vor zwölf Jahren, aber von Ergrauen fehlt bei ihm jede Spur. Dieser Nowitzki altert wie ein zäher Bergsteiger, wer ihm gegenüber steht, bemerkt die vielen Sehnen seines Athleten-Körpers sofort. 37 ist für diesen Kerl im Grunde gar kein Alter.
Trotzdem gilt auch für den Würzburger natürlich die branchenübliche Halbwertszeit einer Profikarriere und da ist er schon seit einiger Zeit in Richtung Ziellinie unterwegs. Aber aufhören? Warum denn, wenn es noch so wunderbar funktioniert wie in der vergangenen Nacht beim 132:120 nach Verlängerung gegen die Portland Trail Blazers? 40 Punkte zeigte der Videowürfel in der Arena der Dallas Mavericks hinter Nowitzkis Name an. Der Deutsche hatte wieder einmal so gut gespielt, dass in den USA vom "Vintage-Dirk" die Rede ist. Der unkaputtbare Deutsche, dessen Moves irgendwie immer cool sind.
Was Nowitzki Kobe Bryant voraus hat
Basketballer halten oft ewig durch, die Besten sind in der Lage, ihr Spiel auch dann noch gewinnbringend zu justieren, wenn die Gelenke ein wenig knarzen. Kobe Bryant hat das lange hinbekommen, aber derzeit schaut ihm ganz Amerika dabei zu, wie er es in seiner letzten Saison eben nicht mehr schafft. Der große Shaquille O'Neal wuchtete seine 150 Kilogramm durch die Zone, bis er 39 war - schön sah das am Ende nicht mehr aus. In Würde altern, das funktioniert eben nur bis zu einem bestimmten Punkt. An diesem Punkt scheint Dirk Nowitzki noch lange nicht zu sein.
Seine 40 Punkte allein sind noch keine einzigartige Meisterleistung - so viele Zähler hat Nowitzki schon oft erzielt, zuletzt im Januar 2014. Entscheidend ist der Zusammenhang zwischen Alter und Ausbeute. Vor ihm gelangen nur drei Akteuren in der NBA mit mindestens 37 Jahren so viele oder mehr Punkte. Deren Namen zählen zum Kreis der Allerbesten, die diese Sportart je hervorbrachte: Michael Jordan (acht Mal), Kareem Abdul-Jabbar (vier) und Karl Malone (zwei). Kein Wunder, dass beim Krimi gegen die Blazers irgendwann alle Zuschauer in der Halle "Dirk, Dirk, Dirk" brüllten und so ihrem Kapitän ein dickes Grinsen abrangen.
Warum er für Dallas so wichtig ist
"Ich weiß, welche Zeit jetzt gerade ist und dass die Playoffs kommen", sagte Nowitzki. In der letzten Saisonphase geht es für sein Team darum, die Ausscheidungsrunde überhaupt zu erreichen. Denn anders als in den vergangenen Jahren sind die Mavericks nicht mehr so gut besetzt wie einst - zudem wirkt der Kader seit Monaten wie ein einziges Lazarett. Verletzungen, die ausgerechnet Opa Nowitzki erspart bleiben. Es ist erstaunlich, wie er mit seinem Einsatz, seinem Gespür und seiner Präsenz ein Team trägt, das sich eigentlich längst von ihm emanzipieren sollte.
Nowitzki spielt so gut wie im Meisterjahr
In den vergangenen acht Partien erzielte der Deutsche immer mindestens 20 Zähler - eine solch konstante Serie auf Top-Niveau brachte er zuletzt 2011 zustande. Da wurden die Mavericks Meister. Mit dem aktuellen Erfolg beendete Dallas nun eine Heimmisere von fünf Pleiten nacheinander. Nowitzki selbst hat verstanden, dass ohne seine Bestform kaum was geht. Aber er ist keiner, der nach so einer Leistung große Sprüche raushaut.
Er hob vor allem die Bedeutung seiner Mitspieler Deron Williams (31 Punkte, 16 Vorlagen) oder Salah Mejri (13 Punkte, 14 Rebounds, sechs Blocks) hervor: "Dieses Spiel hat mehrere Helden", fand Nowitzki, dabei waren es seine Dreier, die in der Overtime durch die Reuse rauschten. "Ich könnte sagen, dass ich überrascht bin", erklärte Williams, "bin ich aber nicht. Er spielt schon die ganze Saison so."
Natürlich war allen klar, dass allein der lange Blonde Dallas seit Wochen im Playoffkampf weiterfiebern lässt. "Unterschätze niemals wahre Größe - egal, in welchem Alter", betonte Mavs-Trainer Rick Carlisle, Nowitzki gelinge so ein "Monster-Spiel" beständig jedes Jahr.
Was Nowitzkis Trainer sagt
Auch der Coach weiß, dass sein Klub nicht auf diese Momente verzichten kann, in denen der kleine Korb Nowitzki vorkommen muss wie ein XXL-Swimming-Pool. "Wir müssen die Zeit genießen, die wir noch haben, um ihm zuzuschauen", meinte Carlisle, "wie viele Jahre es auch noch sein werden". Einen wie Nowitzki werde man nicht mehr zu sehen bekommen, so der Meister-Trainer von 2011.
Voller Poesie formulierten auch die Dallas Morning News ihre Lobeshymne auf den Wahnsinnstyp aus Germany. "Am ersten Tag des Frühlings, der die Wiedergeburt bedeutet, verbuchte Nowitzki das 20. Spiel seiner Karriere mit 40 oder mehr Punkten." Die Renaissance des "Dirkules" - diese Geschichte beschäftigt nun die US-Sportwelt. Klar ist aber auch: Dallas braucht von ihm noch weitere Heldentaten fürs Basketball-Museum. Das belegen die Zahlen. Der 35. Saisonsieg in der 70. Partie der regulären Saison half den Mavs lediglich, nicht weiter abzustürzen.
In der Western Conference zog die Mannschaft zwölf Spiele vor Ende mit den siebtplatzierten Houston Rockets gleich. Portland kommt als Sechster auf 36 Erfolge, die besten Acht erreichen die K.o.-Runde. Doch Achter will eigentlich keiner werden: Der letzte Playoff-Startplatz bedeutet ein Erstrunden-Duell mit den schier unbesiegbaren Golden State Warriors. Wie gut, dass die Mavericks schon am Mittwoch erneut auf Portland treffen. Mit einem Sieg wäre sogar Platz sechs drin. Nowitzki wäre es am liebsten, wenn es so weitergeht wie bei seiner 40-Punkte-Show: "Ich war irgendwie im Fluss", sagte er. Und aufhören will er sowieso erst in zwei oder drei Jahren.