Süddeutsche Zeitung

Basketball:Der Wandervogel

Basketballer Quentin Richardson spielt innerhalb von fünf Monaten bei fünf Vereinen - seinen gut dotierten Vertrag nimmt er jeweils mit.

Jürgen Schmieder

Der Wandervogel war einmal ein beliebtes Tier, der Schriftsteller Otto Roquette beschrieb ihn in dem Gedicht Waldmeisters Brautfahrt so: "Ihr Wandervögel in der Luft, im Ätherglanz, im Sonnenduft, in blauen Himmelswellen, euch grüß ich als Gesellen. Ein Wandervogel bin ich auch, mich trägt ein frischer Lebenshauch." Am Ende des vergangenen Jahrhunderts war das, die Worte Roquettes dienten als Motto für eine Jugendbewegung, bei der die Mitglieder lieber durch die Natur zogen anstatt die Industrialisierung voranzutreiben.

Das Image des Wandervogels ist heutzutage nicht mehr allzu rein, was vor allem daran liegt, dass Wandervögel nicht mehr romantisch über Wiesen hüpfen, sondern rasch von Verein zu Verein. Der Basketballspieler Quentin Richardson etwa hat in diesem Sommer den Begriff des Wandervogels neu definiert, und er hat gute Chancen, als Ehrenmitglied in die Vereinigung aufgenommen zu werden. Vier Mal innerhalb von zwei Monaten hat der Basketball-Profi in der nordamerikanischen Liga NBA den Verein gewechselt.

"Auf dem Papier hört es sich ziemlich verrückt an", sagt Richardson, wobei das eine ziemliche Untertreibung ist, weil manche Menschen in ihrem Leben nicht so oft umziehen wie Richardson in den vergangenen zwei Monaten. Am 25. Juni wechselte er von den New York Knicks zu den Memphis Grizzlies, vier Wochen später zu den Los Angeles Clippers - übrigens dem Klub, der den 29-Jährigen einst im Jahr 2000 gedraftet und sogleich an die Phoenix Suns abgegeben hatte. Von Los Angeles zog es den Drei-Punkte-Spezialisten drei Tage später zu den Minnesota Timberwolves, ehe er in der vergangenen Woche bei den Miami Heat anheuerte.

Hätte er auch nur jeden Klub ein Mal besucht, um den neuen Kollegen einen guten Tag zu wünschen, dann hätte Richardson innerhalb von 60 Tagen mehr als 9000 Kilometer zurückgelegt. Das kann selbst den eifrigsten Wandervogel müde machen. "Es war stressig, das Lustige daran ist: Ich habe nicht einmal Trikots bekommen", sagte Richardson bei der Vorstellung in Miami. "Nicht aus LA, nicht aus Minnesota - und was war noch einmal das andere Team?" Memphis, Mister Richardson, es war Memphis.

Dabei ist der Flügelspieler nicht einmal schuld an der Wechselorgie, es ist vielmehr sein gut dotierter Vertrag, der die Vereine bewog, ihn immer wieder abzugeben. 9,3 Millionen Dollar garantiert ihm dieser Kontrakt in der nächsten Spielzeit, das ist viel Geld für einen Spieler, der in seiner Karriere durchschnittlich 11,5 Punkte erzielte, fünf Rebounds holte - und dem es nicht gelang, aus den New York Knicks ein Siegerteam zu machen.

Aufgrund der Gehaltsobergrenze schachern die Mannschaften im Sommer mit Spielern, es geht zu wie auf einem Jahrmarkt. Mal werden nur Akteure getauscht, mal gibt es Geld obendrauf, hin und wieder die Möglichkeit, in der Zukunft einen talentierten Spieler aus dem College zu bekommen. Richardson war in diesem Sommer ein beliebtes Spekulationsobjekt. "Ich fühlte mich dennoch gewollt. Bei jeder Mannschaft habe ich nachgesehen, ob ich mich mit den Kollegen verstehe", sagt er.

Das sollte in Miami kein Problem sein. Der Verein braucht dringend einen Drei-Punkte-Spezialisten, um einen der besten Freunde von Richardson, den Aufbauspieler Dwayne Wade, zu entlasten. "Wir haben oft telefoniert und ich freue mich nun darauf, endlich mit ihm zusammenspielen zu dürfen", sagt Richardson. In der vergangenen Saison führte Wade die Mannschaft quasi im Alleingang in die Playoffs, dort scheiterte der Verein in der ersten Runde an den Atlanta Hawks. "Das soll in diesem Jahr besser werden. Ich werde Dwayne unterstützen und ein Teil des Teams sein. Danach sehen wir weiter, was passiert."

Richardsons Vertrag nämlich läuft nach der kommenden Spielzeit ebenso aus wie der von Wade, beide können den Verein wechseln. Ohnehin wird nach der kommenden Spielzeit erwartet, dass aus dem Jahrmarkt-Schachern ein Börsen-Wahnsinn werden könnte, weil so viele Spieler wie nie zuvor zu Free Agents werden. "Ich werde in diesem Jahr ohnehin nur zur Miete wohnen", sagt Richardson. "Ich bin nicht unglücklich über meine Situation, schließlich habe ich einen Vertrag, der mir unabhängig vom Verein Geld garantiert." Wandervögel haben die wichtigsten Sachen eben immer dabei.

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SZ vom 01.01.1970
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