Süddeutsche Zeitung

Basketball:Der verrückteste Vater im US-Sport

LaVar Ball will mit seinen Söhnen Lonzo, LaMelo und LiAngelo ein milliardenschweres Basketball-Imperium erschaffen - schon seine Frau hat er dafür ausgesucht. Der irre Plan könnte gelingen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Eine Geschichte über den Basketballvater LaVar Ball muss wohl beim Wrestling beginnen, in der Welt der Schaumschläger und Selbstdarsteller, die viele eher der Unterhaltungsbranche zuordnen als dem Profisport. Wer hier eine gute Show liefert, der wird reich, manchmal sogar stinkreich, obszön reich.

Und LaVar Ball liefert eine wahnwitzige Show, nicht nur beim Wrestling, aber auch dort, weil er wahnwitzig reich werden will. Er will mit seinen Söhnen Lonzo, LaMelo und LiAngelo ein Milliarden-Dollar-Imperium erschaffen. Und er dürfte, das muss gleich zu Beginn der Geschichte erwähnt werden, damit erfolgreich sein.

Also dann, Ende Juni, Staples Center Los Angeles: Knapp 20 000 Leute erwarten ein Spektakel, LaVar Ball liefert zuverlässig. Er stampft vorneweg, als müsse er den Pfad für seine Jungs niedertrampeln. Der älteste Sohn Lonzo, 19, ein paar Tage zuvor vom Basketballklub Los Angeles Lakers verpflichtet, schlurft in Badelatschen auf dem Trampelpfad des Vaters zum Ring. Dort wartet The Miz, ein Schaumschläger und Selbstdarsteller, doch im Vergleich zu LaVar Ball ist er ein langweiliger Hänfling. Ball reißt sich das T-Shirt vom Leib und klettert auf die Ringseile. Er sagt, und auf so einen Satz muss man ja auch erst mal kommen: "Es gibt nur zwei Menschen, die besser sind als ich - und ich bin beide!" Ah ja.

Lonzo sitzt im Ring. Er lacht. Er schweigt. Was muss das für ein Druck sein, der auf einem Teenager lastet, wenn sein Vater verkündet: "Mit Millionen gebe ich mich erst gar nicht ab, ich rede nur über Milliarden."

LaVar Ball ist ein Wahnsinniger und auch irgendwie ein Genie. Vor allem aber ist er wohl ein Wahnsinniger. Es hat in der Sportgeschichte schon jede Menge verhaltensauffällige Väter gegeben. Ball reiht sich irgendwo ein zwischen Richard Williams, dem Tennis-Dad und Venus/Serena-Patriarchen, und Marv Marinovich, der seinen Sohn Todd zum Football-Roboter erzogen und letztlich in die Drogenabhängigkeit getrieben hat. Aber LaVar Ball ist nicht nur deshalb noch faszinierender, weil sein Sohn künftig in Los Angeles für den noch immer glamourösesten Verein der Welt auflaufen wird. Wer Ball versteht, der kapiert, wie das heutzutage so läuft mit dem Sport und dem Geldverdienen.

"Ich habe eine große und hübsche Stute gesucht"

LaVar Ball behauptet, dass er die Karriere seiner Söhne schon vor deren Geburt geplant habe. Er habe seine Frau Tina an der Cal State University nicht zufällig getroffen, sondern aufgrund ihrer Athletik ausgewählt: "Ich habe eine große und hübsche Stute gesucht." Der 1,94 Meter große LaVar, einst Footballprofi bei den London Monarchs, hat mit der 1,83 Meter großen Basketballspielerin Tina gewissermaßen eine Sportler-Zucht eröffnet. "Bei unserer ersten Verabredung hat er mir gesagt, dass er sowieso nur Buben zeugen könne", sagt Tina. Das Paar bekam drei Söhne.

LaVar Ball hat diese Jungs von Geburt an trainiert und dabei, wie er selbst sagt, nicht nur Worte verwendet: "Ich habe ihnen den Hintern versohlt, um ihnen klarzumachen, dass ihre Taten auch Konsequenzen haben." Lonzo habe er mal eins "auf den Kopf gegeben", bei LaMelo "einen Gürtel oder so" benutzt. Keine große Sache, behauptet Ball, seien ja alles anständige und respektvolle Jungs geworden. Der Zweck heiligt die Mittel im Hause Ball: LaMelo, 15, ist der Star des Basketballteams der Chino Hills High School im Osten von L.A., vergangene Saison hat er mal 92 Punkte in einem Spiel erzielt. LiAngelo, 18, wird vom Herbst an für die Elite-Universität UCLA im Stadtzentrum spielen; von dort ist Lonzo gerade zu den Lakers gewechselt. Jetzt soll das Geldverdienen richtig losgehen.

Die nordamerikanische Basketballliga NBA ist aufgrund einiger klug verhandelter TV-Verträge in den vergangenen Jahren zu einer Gelddruckmaschine geworden - jeder einigermaßen begabte Spieler, der sich nicht rechtzeitig duckt, wird mit Dollarscheinen beworfen. Wer über den 222-Millionen-Euro-Transfer des Fußballers Neymar von Barcelona nach Paris staunt, dürfte bei den aktuellen NBA-Verträgen in Ohnmacht fallen: James Harden (Houston Rockets) wird in den kommenden sechs Jahren 228 Millionen Dollar verdienen, Steph Curry (Golden State Warriors) hat einen Fünf-Jahres-Vertrag für 201 Millionen Dollar unterschrieben, und Blake Griffin wird von den L.A. Clippers in den nächsten fünf Jahren 172 Millionen Dollar bekommen. Lonzo Ball kriegt, als Liga-Neuling, in der kommenden Saison 6,28 Millionen Dollar.

Ein Sportler darf nicht mehr nur Sportler sein heutzutage, er soll zur Marke werden. Ein Influencer, der andere zum Kauf von Sachen bewegt. Profisport ist keine Meritokratie, in der die Besten auch die Reichsten sind. Es verdienen jene Athleten das meiste Geld, die das Publikum elektrisieren. Der Basketballer LeBron James etwa hat in seiner Karriere bislang ungefähr 500 Millionen Dollar verdient. Nicht einmal die Hälfte davon haben Vereine bezahlt. Er hat im Dezember vergangenen Jahres mit Nike einen Vertrag geschlossen, der ihm bis ans Lebensende 30 Millionen Dollar pro Jahr garantiert und ihn zusätzlich an Verkaufserlösen beteiligt. James ist der Influencer schlechthin: 2016 hat Nike mit LeBron-Schuhen mehr als 300 Millionen Dollar umgesetzt.

NBA-Sommerliga in Las Vegas, Mitte Juli. Junge Basketballer sollen sich an das Tempo bei den Profis gewöhnen, ältere Akteure für einen Vertrag empfehlen. Wer Lonzo Ball hier spielen sieht, der erkennt, dass der junge Mann von der Natur mit erstaunlicher Athletik und außergewöhnlichem Auge für seine Mitspieler gesegnet ist. Dass seine Hände, nun ja: wohl von Geburt an auf flinke Dribblings und präzise Pässe gedrillt sind. Er wird zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt, viel interessanter als die schönen Zuspiele sind jedoch die Schuhe an seinen Füßen: Er trägt nacheinander "A.D." und "Air Jordan XXX1 Low" von Nike, "Harden Vol. 1 LS" von Adidas und "Curry 4" von Under Armour. Auf die Frage, ob diese Strategie für ein Wettbieten unter den Herstellern sorgen soll, sagt Lonzo: "So was in der Art."

Lonzos Antworten enthalten selten mehr als fünf Wörter. Er spricht langsam und leise. Wer ihm begegnet, bei einem Baseballspiel der Dodgers etwa oder beim Wrestling im Staples Center, der erlebt einen schüchternen jungen Mann, dem es wenigstens ein bisschen peinlich ist, dass die Leute so einen Rummel um ihn machen. Die Menschen, die mit ihm zu tun haben, beschreiben ihn als zurückhaltend und freundlich. Er ist ein, und das soll keineswegs gegen ihn sprechen, ziemlich langweiliger Typ. Die Marke, das ist sein Vater, über den ergießen sich die Schmähungen. Shaquille O'Neal etwa, früher selbst ein berühmter Basketballer, heute Schauspieler und Rapper, hat einen Song komponiert, in dem er LaVar Ball ziemlich deftig verkohlt, am Ende aber auch sagt: "Gute Arbeit - ich liebe es, wie deine Burschen spielen."

LaVar Ball hatte für seine drei Söhne zunächst einen Sponsoren-Festpreis von einer Milliarde Dollar über zehn Jahre ausgerufen. Als niemand ein Angebot abgab und Nike-Marketing-Direktor George Raveling behauptete, LaVar sei "das Schlimmste, was dem Basketball in den letzten 100 Jahren passiert ist", erhöhte Ball seine Forderung auf drei Milliarden. "So was wie die Ball-Jungs", sagte er, "hat es in den letzten 100 Jahren nicht gegeben. Vor ihnen hat diese Sportart nur ,Basket' geheißen."

Die Schuhe eines NBA-Novizen kosten schon 495 Dollar

LaVar hat das Unternehmen Big Baller Brand gegründet. Der Schuh "ZO2: SHO'TIME", den Lonzo bei zwei Spielen der Sommerliga getragen hat, wird im Online-Shop für 495 Dollar feilgeboten, Pullis kosten 70 Dollar, Mützen 60 Dollar.

Die Ball-Jungs sind wegen des Vaters schon eine Marke, ohne je eine Minute in der NBA gespielt zu haben. LaVar Ball spricht in jede Kamera, die nicht rechtzeitig ausgeschaltet wird, und wie Maximus im Film "Gladiator" fragt er die Menschen: "Unterhalte ich euch etwa nicht?" Er sagt Unerhörtes ("LaMelo und ich würden Michael Jordan und LeBron James beim Zwei-gegen-Zwei besiegen"), legt dann noch eins drauf ("Lonzo ist jetzt schon besser als Steph Curry") - und wenn dann noch immer nicht jeder den Kopf schüttelt, haut er halt noch was Sexistisches raus. Kürzlich beleidigte er eine Schiedsrichterin bei einem Jugendturnier. Es hieß, Veranstalter Adidas habe die Frau dann austauschen lassen, um Ball nicht zu verärgern. Das Unternehmen ist ja noch im Rennen um den Schuhvertrag.

Man kann das alles unglaublich nervig finden. Es ist unglaublich nervig. LaVar Ball gibt dem modernen Sport, in dem sich eine komplette Branche darum kümmert, Athleten zu Influencern zu formen, ein stets grinsendes Gesicht und eine immerzu redende Stimme. Er selbst sieht sich als eine Art Robin Hood des Profisports: Warum sollen andere - Vereine, Industrie, Fernsehsender - mit seinen Buben Geld verdienen? Da gibt er es lieber den Bedürftigen. Also sich selbst.

Nehmen will er das Geld, ja: von wem eigentlich? Wer bezahlt das alles? Vor allem die Leute, die kommende Saison mindestens 35 Dollar für eine Lakers-Eintrittskarte hinlegen müssen, die NBA-Spiele (und damit auch jede Menge Werbefilme) im TV gucken oder die 495 Dollar für ein Paar Basketballschuhe ausgeben. Es zahlen die Leute, die sich von Influencern tatsächlich beeinflussen lassen. Ball sagt dazu lapidar: "Wer sich die Schuhe nicht leisten kann, der ist kein Big Baller." Wenigstens tut er gar nicht erst so, als würde es um was anderes gehen als Geldverdienen.

Und dann führt eine Geschichte über den Basketballvater LaVar Ball irgendwann zu Magic Johnson, dem das Leben nicht nur Ballgefühl und Charisma geschenkt hat, sondern auch den Unternehmer Jerry Buss. Der Lakers-Eigentümer ist quasi der Erfinder des modernen Sports, er hat VIP-Logen in den Stadien eingeführt, Hollywoodstars an der Seitenlinie platziert und in den Spielpausen leicht bekleidete Mädchen aufs Parkett geschickt. Der Verein war erfolgreich, gewiss, er war dabei aber immer auch cool. "Die Lakers sind verdammt noch mal Hollywood", sagte Buss stets. Seit ein paar Monaten ist Johnson als Präsident verantwortlich für Erfolg und Coolness, er hat Lonzo Ball verpflichtet. Bei der Vorstellung auf dem Trainingsgelände nahm er ihn in den Arm und deutete nach oben, wo die Trikots von Lakers-Legenden wie Wilt Chamberlain, Shaquille O'Neal und natürlich auch von Magic Johnson hängen: "Wir erwarten, dass eines Tages ein Trikot mit deinem Namen darauf da oben hängt."

Wie viel Druck kann ein junger Mann aushalten?

Man kann LaVar Ball für einen Wahnsinnigen halten, wahrscheinlich ist er das auch. Wer jedoch verfolgt, was in der NBA und in anderen Profiligen derzeit passiert, der weiß, dass die Verantwortlichen von Vereinen, Sportartikelherstellern, Fernsehsendern ebenfalls keine Altruisten sind, die sich dem Wohle des Sports verschrieben haben. Ball sieht sich unter anderem auch als Blitzableiter für seine Söhne. Als seine Frau Tina im Frühjahr einen Schlaganfall hatte, ließ er seine Jungs tagelang nicht ins Krankenhaus. Sie durften ihre Mutter erst wieder sehen, als es ihr besser ging. Beschützen, beherrschen, die Grenzen verlaufen fließend bei LaVar Ball.

"Wir erwarten, dass eines Tages dein Trikot da oben hängt"

Die Ball-Jungs könnten in den kommenden zwanzig Jahren, sollten die unabhängigen Prognosen tatsächlich in Erfüllung gehen, eine Milliarde Dollar und vielleicht sogar noch mehr einnehmen - wegen ihres Vaters, der sie zur Marke aufgebaut hat. Und trotz ihres Vaters, der diese Marke mit seinen Auftritten auch ständig beschädigt. Sie müssen einem nicht leid tun, gewiss nicht, man muss sie aber auch nicht beneiden, die drei jungen Balls.

Die Geschichte über LaVar Ball muss auch beim Wrestling enden, weil einem nirgends so deutlich vor Augen geführt wird, wie lächerlich das Gedöns und Geschacher um den Profisport eigentlich ist. LaVar Ball hatte offenkundig einen Riesenspaß im Ring in L.A., er hat sich selbst und seine Marken (Söhne, Klamotten) wieder heftig beworben. In den Katakomben allerdings, hinter den Kulissen - das berichten viele Leute, die ihn dort erlebt haben -, da bewegt er sich deutlich vorsichtiger. Da sieht er aus wie ein Lausbub, der nicht so genau weiß, ob er sich den Lolli in seiner Hand verdient oder ob er ihn doch geklaut hat. Er wartet so lange, bis ihm jemand auf die Schulter klopft und sagt: "Guter Auftritt." Dann nickt er zufrieden. Er hat sich mal wieder selbst gespielt. Und wieder mal reden alle über ihn, den Wahnsinnigen, und seine fürs Imperium gezüchteten Jungs.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2017/schma
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