Süddeutsche Zeitung

Basketball:Der Stolz des Professors

Trainer Aíto García Reneses freut sich über das schöne Spiel von Alba Berlin im Pokalfinale gegen Oldenburg fast mehr als über den Sieg.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Himar Ojeda, der Sportdirektor des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin, vernahm den Jubel, den ein Pokalsieg in eigener Halle verursacht. Und er verspürte, wie er später eingestehen sollte, schon so etwas wie Erleichterung darüber, dass Alba an diesem Sonntagabend im Finale EWE Oldenburg besiegt hatte, 89:67 (40:43). "Weniger wegen uns", erklärte Ojeda, "für uns sind die Dinge nie schwarz oder weiß gewesen. Sondern weil wir schon mitbekommen hatte, wie gesagt wurde: Aber ihr gewinnt ja nie was."

Um genau zu sein, hatte Alba seit 2016 keinen Titel mehr gewonnen, seitdem aber fünf Endspiele oder Finalserien nacheinander verloren, im nationalen Cup-Wettbewerb, in der Bundesliga, im Eurocup. Und nun also: der zehnte Pokalsieg der Vereinsgeschichte, vor 14 600 Zuschauern in der Arena am Berliner Ostbahnhof. Ojeda, der von den Kanarischen Inseln stammt, ging zu dem Mann, den die Menge feierte, indem sie seinen Vornamen in drei Silben aufteilte: "A-í-to! A-í-to!" Und dann kam Ojeda aus dem Staunen nicht heraus. Da stand eben dieser Aíto García Reneses, seit 2017 Trainer von Alba, hatte die Hände in den Taschen seiner Anzughose stecken und sagte zu Ojeda: "Haben die gut gespielt, verdammt!" Und: "Wie! Gut! Diese Kerle gespielt haben...!"

So jedenfalls berichtete es Ojeda, und er erzählte, dass ihn weniger diese immer wiederkehrende Bemerkung wunderte, sondern die Tonalität. "Als er das sagte, klang er wie ein Zuschauer, der das, was er gesehen hatte, einfach genossen hatte. Wie ein Zuschauer!!!", staunte Ojeda.

Das war Aíto natürlich nicht, im Gegenteil. Er ist nun schon 73 Jahre alt, eine Legende seines Berufsstandes und - dies wiederum seines Alters und seines Erfolges wegen - meist auf dem Rückweg, wenn andere erst aufbrechen. Er hat im Basketball alles schon mal gesehen. Er liebt den Wettbewerb. Und er mag Trophäen, er hat eine Menge davon geholt, in Spanien unter anderem fünfmal den Pokal und neunmal die Meisterschaft mit dem FC Barcelona; er gewann den Korac-Cup, auch den Eurocup.

Lange nach dem deutschen Pokalfinale, im Vip-Raum der Berliner Arena, nahm er mit seiner Frau ein paar Häppchen zu sich und einige Glückwünsche entgegen, bestellte sich ein kleines Bier und sagte, dass er natürlich froh sei über den Sieg, aber mehr noch darüber, wie er zustande gekommen sei. Denn viele wüssten ja gar nicht, dass Johannes Thiemann eine schmerzstillende Spritze bekommen hatte, dass bei Peyton Siva der Schenkelbeuger zwickte, und dass nicht einmal Martin Hermannsson richtig fit war, der Isländer, der 20 Punkte gegen Oldenburg warf, mehr als jeder andere. Stolz sei er, "weil ich weiß, wie sehr es meiner Mannschaft behagt, zu Hause zu spielen, mit der Unterstützung der Halle, weil die Fans einen Sieg verdienen. Dankbarkeit dafür zu zeigen heißt: alles zu geben. Die Anstrengung zu unternehmen, an deine eigenen hundert Prozent zu kommen. Jene, die nur den Sieg schätzen, irren. Nicht, dass mir der Basketball, der in der NBA gerade gespielt wird, besonders gefallen würde, aber wenn wir dort spielen würden und das Finale erreichen und dort verlieren sollten - wäre das nichts wert? Und deswegen sage ich: Ich bin auf die anderen fünf Finals genauso stolz." Die fünf Finals, die während seiner Amtszeit verloren worden waren.

Dass Berlins Basketballer Aítos sechstes Finale gewinnen konnten, lag vor allem an einer signifikanten Steigerung nach der Pause. Zur Halbzeit hatte Oldenburg in einem extrem verbissen geführten Spiel noch mit 43:40 Punkten vorn gelegen, zu Beginn des dritten Viertels ging Alba durch einen Dreier von Siva im Grunde erstmals in Führung (49:46). Rokas Giedraitis ließ einen Dunk folgen und brachte damit die Halle zum Beben; danach wuchs der Vorsprung nur noch an, auf letztlich 22 Punkte. "Den Ausschlag gab gar nicht mal so sehr, was wir uns in der Halbzeit gesagt haben", erklärte Aíto, "es war eine Frage der Konzentration, dass wir die Aktionen, die wir vorbereitet hatten, gut umgesetzt haben. Das Ergebnis wurde später noch deutlich, vielleicht hat Oldenburg irgendwann gespürt, dass sie nicht mehr gewinnen würden, aber sie waren ein sehr guter Gegner."

Und nun? "Haben wir den zweitwichtigsten Titel des Landes gewonnen. Und das gibt uns Kraft für den wichtigsten Titel, die Meisterschaft", sagte Aíto, ehe er die Einladung zur Privatparty des Teams in einem Berliner Club ausschlug: "Das ist zu viel für mich." Doch die Meisterschaft war nur eine konjunkturell wichtige Frage, die ihn ereilte - die strukturell wichtige war eine andere: Ob er auch über den Sommer hinaus bei Alba bleibt. "Keine Ahnung", sagte Aíto: "Wenn ich 32 wäre würde ich vielleicht an meine Zukunft denken. Aber jetzt versuche ich nur, den Tag zu genießen."

Berliner Spezialität - Daten zum Pokal-Wettbewerb im Basketball

Die letzten zehn Pokal-Endspiele

2011 Brose Bamberg - Braunschweig 69:66

2012 Brose Bamberg - Telekom Bonn 82:73

2013 Alba Berlin - Ratiopharm Ulm 85:67

2014 Alba Berlin - Ratiopharm Ulm 86:80

2015 EWE Oldenburg - Brose Bamberg 72:70

2016 Alba Berlin - Bayern München 67:65

2017 Brose Bamberg - Bayern München 74:71

2018 Bayern München - Alba Berlin 80:75

2019 Brose Bamberg - Alba Berlin 83:82

2020 Alba Berlin - EWE Oldenburg 89:67

Die meisten Pokalsiege

10 Bayer Leverkusen (1970, '71, '74, '76, '86, '87, '90, '91, '93, '95)

10 Alba Berlin (1997, '99, 2002, '03, '06, '09, '13, '14, '16, '20)

6 Br. Bamberg (1992, 2010, '11, '12, '17, '19)

3 vier weitere Klubs

Das ist, folgt man Manager Ojeda, alles andere als Koketterie: "Der ist so! Der ist wirklich so!! Ein Professor, der sich freut, seine Schüler wachsen und lernen zu sehen, weil er die Herausforderung mag, vor einer Gruppe zu stehen!" Er sei optimistisch, dass Aíto García Reneses in Berlin Wurzeln schlägt: "Er ist wirklich gut drauf, gut bei Kräften, er klagt sogar weniger über die Reisen als noch im vergangenen Jahr", sagte Ojeda. Aber die Entscheidung liegt ganz bei Aíto, dem sie in Berlin so huldigen wie daheim in Spanien. Und er wird bis zum Ende der Saison warten, ehe er sich entscheidet.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2020
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