Basketball:Der General

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Vor dem Bundesligatreffen in Bamberg ist Cameron Wells in exzellenter Form. Der stille Mann hat sich zum Anführer der Würzburger Basketballer entwickelt.

Von Sebastian Leisgang

Vor ein paar Tagen, erzählt Cameron Wells, sei er beim Radio zu Gast gewesen, ein deutscher Sender, irgendein Unterhaltungsprogramm. Man muss dazu zwei Dinge wissen: Wells ist US-Amerikaner, er kommt aus Houston; und weil Wells mit seinem Englisch im Basketball problemlos auskommt, spricht er nicht besonders gut Deutsch, obwohl er schon seit Jahren in der Bundesliga spielt. Dieses eine Sprichwort aber, sagt Wells, das habe er bei seinem Besuch beim Radio gelernt. Er überlegt einen Augenblick, dann probiert er, den Satz zu wiederholen. Mit Bedacht, Wort für Wort und deshalb gut verständlich: "Aller - guten - Dinge - sind - drei." Wells, 31, spielt Basketball, insofern muss man sagen: Aller guten Dinge sind drei - ja, das passt.

Es ist ein grauer Novembertag in Würzburg, Wells sitzt auf einer Holzbank in der Trainingshalle im Stadtteil Zellerau, über ihm, an der Wand, steht in weißen Versalien auf rotem Grund: WORK. Ein paar Meter weiter sind noch zwei weitere Schlagworte zu lesen: GROW und PLAY. Die Begriffe sollen den Spielern im Alltag als Leitlinie dienen, sie beschreiben aber auch, wenn man denn so will, den Weg, den Wells in den vergangenen Monaten bei den Würzburger Basketballern zurückgelegt hat.

Stille Menschen können anderen ein Rätsel sein, und Wells ist ein zurückhaltender Mensch

Stille Menschen können anderen ein Rätsel sein, und Wells ist ein stiller, ein zurückhaltender Mensch. Zuletzt hat er sich aber zur zentralen Figur der Mannschaft aufgeschwungen. Erst Work, dann Grow, schließlich Play. "Cam ist mittlerweile in diese Rolle als Leader reingewachsen", sagt Denis Wucherer. Ein paar Minuten vor dem Gespräch mit Wells steht Würzburgs Trainer im Vorraum der Trainingshalle und spricht über die Entwicklung seines Kapitäns. Er habe erst lernen müssen, selbst Verantwortung zu übernehmen, sagt Wucherer. Wells hat in den USA eine Militärschule besucht, "aus der Zeit war er es gewohnt auszuführen", erklärt Wucherer, "deshalb hat es ein bisschen gedauert, bis er verstanden hat, dass ich kein Coach bin, der jedes Play vorgibt."

Jetzt aber, jetzt hat Wells verstanden, jetzt ist er ein Anführer, nicht nur ein Ausführer. "Je nachdem was hier zu sehen ist", sagt Wucherer und tippt sich mit dem Zeigefinger auf die linke Schulter, "desto mehr muss man vorangehen. Das ist auch diese Militär-Nummer." Er meint: Seit Wells Kapitän ist, seit er dieses Amt inne hat, muss er vorangehen - und seitdem wird er seiner Rolle als Führungsspieler auch gerecht. Spielt er momentan also so gut wie nie zuvor?

Wells schüttelt den Kopf. Tatsächlich nicht? Nein. Er spiele vielleicht etwas aggressiver und sei selbstbewusster, bedeutend besser als zuvor sei er aber nicht. Ob ihn das Kapitänsamt nicht beflügele? Nein, sagt Wells, das finde er nicht. Er beantwortet die Fragen im Eiltempo, eine nach der anderen. Wells rast, als habe er, wie auf dem Spielfeld, ein Zeitlimit, um eine Antwort zu finden.

Vor dieser Saison haben die Würzburger knapp die Hälfte des Spielerkaders ausgetauscht. Ein solcher Umbruch, auch wenn er überschaubarer als in den Jahren zuvor war, ein solcher Umbruch ist ein Experiment. Ein Experiment kann gelingen, dann entsteht etwas, ein Experiment kann aber auch schiefgehen, vorweg ist nie abzusehen, ob ein Plan aufgeht. Im Würzburger Fall war das Risiko des Scheiterns zwar nicht allzu groß, weil nicht nur Wucherer blieb, sondern auch eine Reihe zentraler Spieler wie Jordan Hulls, Skyler Bowlin und Wells - dennoch bestand ein Risiko. Denn mit Xavier Cooks und Devin Oliver verließen zwei Akteure den Klub, die einerseits Würfe selbst kreieren konnten, andererseits stets in der Lage waren, ein direktes Duell mit einem Gegenspieler für sich zu entscheiden und dann zu treffen. Als sie gingen, fiel Wells diese Verantwortung zu. Und weil er inzwischen derart dominant spielt, ist Wells' Spitzname dieser Tage treffender denn je. Wells ist: der General.

"Die Mitspieler wissen, dass Cam den Ball bekommen muss, wenn es eng wird."

Ein Spitzname kann die Leute kleiner machen, aber General, das hat etwas Bestimmendes, etwas Autoritäres, und Wells, dieser stille und zurückhaltende Mensch, ist mittlerweile eine natürliche Autorität. Wucherer sagt: "Die Mitspieler wissen, dass Cam derjenige ist, der den Ball bekommen muss, wenn es eng wird und wir zwei Punkte brauchen." Es ist kein banaler Satz, den Wucherer da formuliert. Wenn man ihm noch mal nachhört, dann ist der Satz sogar ziemlich groß, denn Wucherer sagt nicht: bekommen sollte. Er sagt: bekommen muss.

An diesem Dienstag spielen die Würzburger Basketballer in Bamberg. Die Vorzeichen sind nicht gerade günstig, auswärts haben sie das Frankenderby noch nie gewonnen. Auch Wells hat mit Tübingen, Gießen und Würzburg alle seiner vier Bundesliga-Spiele in Bamberg verloren. Bleibt also nur die Frage: Sind aller schlechten Dinge fünf?

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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