Basketball:Der 34-Millionen-Dollar-Mann

02.10.2021, easyCredit Basketball Bundesliga, Magentasport BBL Pokal, Saison 2020/2021, Herren, Chemnitz Niners - Ratio

Zwei Wochen vor seiner Unterschrift wusste Cristiano Felicio nicht einmal wo Ulm ist, jetzt spielt er dort Basketball.

(Foto: Alexander Trienitz /Imago)

In Cristiano Felicio wechselte ein weiterer NBA-Profi in die Bundesliga. Für den aufstrebenden Bundesligisten Ulm ist der Zugang von den Chicago Bulls ein Glücksfall.

Von Ralf Tögel, Ulm

Wenn ein Spieler aus der NBA in die Basketball-Bundesliga wechselt, wird mindestens erwartet, dass dieser Spieler auch mit NBA-Aktionen auffällig wird. Cristiano Felicio benötigte exakt 32 Minuten und 24 Sekunden, um dieser Anforderung gerecht zu werden. Der Center, der von den Chicago Bulls zu ratiopharm Ulm gewechselt war, schnappte sich den Ball und hämmerte ihn ungeachtet zweier Gegenspieler in den Korb des FC Bayern München. Es war das erste Spiel für den 2,11 Meter großen Hünen auf der neuen Bühne, Ulm bezwang den großen Ligafavoriten gleich zum Saisonstart auswärts mit 86:83 und setzte damit das erste Ausrufezeichen der Saison. Einen wie Felicio, 29, würde man eher bei einem Euroleague-Team wie dem der Münchner erwarten, den Wechsel nach Ulm erklärt Geschäftsführer Thomas Stoll so: "Wir hatten sehr viel Glück."

Denn es war der Agent von Felicio, der den Kontakt zu den Ulmern gesucht habe, erzählt Stoll, auch die folgenden Verhandlungen hätten sich "relativ einfach" gestaltet. Das Geld jedenfalls habe eine untergeordnete Rolle gespielt: "Er wollte einfach nur spielen." Das war in der Vorsaison nicht immer der Fall: "In Chicago habe ich viel Zeit auf der Bank verbracht. Ich fand es wichtig, Spielzeit zu bekommen und auf dem Feld zu stehen." Dafür ist er bereit, auf Geld zu verzichten, denn in der Bundesliga (BBL) wird er nicht zu den Topverdienern zählen.

Zukunftsängste dürften ihn dennoch nicht quälen, Felicio stand in den vergangenen sechs Spielzeiten in 258 Partien für den sechsmaligen NBA-Champion auf dem Parkett, verdiente 34 Millionen Dollar. Von seinem neuen Klub hatte er bis zwei Wochen vor seiner Unterschrift noch nicht einmal etwas gehört, dann aber "habe ich mich schlau gemacht und recherchiert, dass hier auch Spieler waren, mit denen ich zusammengespielt habe". Und von seinen letztjährigen Mannschaftskollegen Daniel Theis und Javonte Green habe er "viel Positives" erfahren. Ausschlaggebend aber sei der Eurocup gewesen, in den die Ulmer mit dem Heimspiel gegen den montenegrinischen Rekordmeister Podgorica starteten. Diesmal ging es schief (Felicio steuerte zwölf Punkte bei, konnte das 79:86 aber nicht verhindern). Aber NBA-Spieler wie Felicio wollen sich auf europäischer Bühne empfehlen: "Ich wollte Spiele mit einem gewissen Niveau, gegen starke Gegner. Da gibt es keine bessere Option als in Europa zu spielen." Der Eurocup ist nach der Euroleague der zweithöchste kontinentale Wettbewerb.

Die Ulmer wissen, dass Felicio bald Begehrlichkeiten wecken wird

Damit steht der Brasilianer auch für einen neuen Trend: Üblicherweise versuchen die besten Spieler aus den europäischen Ligen einen Vertrag in der NBA zu ergattern. Nun aber es gibt immer mehr Akteure mit einer ähnlichen Vita wie der Brasilianer, die den entgegengesetzten Weg gehen. Derrick Williams und Greg Monroe etwa heuerten beim FC Bayern an und sind mittlerweile zu finanzstarken europäischen Großklubs weitergezogen. Entsprechend realistisch schätzt Stoll die Chance auf einen langfristigen Verbleib seines neuen Centers im Schwäbischen ein: "Spieler wie Cristiano werten die Bundesliga natürlich auf, das hat es vor zehn Jahren nicht gegeben. Aber natürlich werden Klubs in ganz Europa auf ihn aufmerksam werden."

Auch dem Basketball-Standort Ulm wird diese Aufmerksamkeit zuträglich sein, kontinuierlich haben sich die Schwaben zu einem BBL-Spitzenklub entwickelt und vor einem Jahr ein hochmodernes Nachwuchs-Leistungszentrum in Betrieb genommen. Trotzdem sieht sich Stoll keinesfalls auf den Spuren von Liga-Größen wie München oder Berlin: "Wir bleiben ein Ausbildungsverein", dessen Entwicklung indes seit 20 Jahren beständig nach oben führe: "Wir wollen nicht oben angreifen, aber mit einem stabilen Team regelmäßig in den Playoffs stehen".

Eine Entwicklung, die den beschaulichen Standort sogar für einen Spieler wie Cristiano Felicio interessant gemacht hat. Er habe sogar Angebote aus der Euroleague und Asien ausgeschlagen, erzählt der Brasilianer, die richtige Entscheidung, glaubt er: "Ulm fühlt sich wie meine Heimatstadt in Brasilien an. Es ist sehr ruhig und die Menschen sind sehr freundlich." Felicio ist zweitbester Schütze und sammelt die mit Abstand meisten Rebounds für sein Team, dennoch haben die Ulmer nach dem Sieg in München drei Partien in Folge verloren.

Mit dem dem Derbysieg in Crailsheim am vergangenen Wochenende sind sie rechtzeitig vor dem Eurocup-Start aber wieder in die Erfolgsspur zurückgekehrt. Wobei Cristiano Felicio wieder eine neue Erfahrung gemacht hat: In einer hitzigen Partie in der engen Crailsheimer Halle kassierte er ein technisches Foul und ließ sich auf ein Wortgefecht mit der Crailsheimer Bank ein - worauf ihn Trainer Jaka Lakovic zum Abkühlen in die Kabine schickte. Aber Felicio kam nach der Pause zurück aufs Feld und hämmerte den Ball in den Crailsheimer Korb - ein NBA-Moment.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: