Basketball:Ganz ohne Diamanten

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Höchstens der halbe Kader der Angels wird wohl in Nördlingen bleiben - der Verein hofft vor allem, Nicole Brochlitz (am Ball) halten zu können. (Foto: Eckehard Schulz/Imago)

Wie die Basketballerinnen aus Nördlingen und Wasserburg darum kämpfen, trotz steigender Anforderungen erstligareif zu sein.

Von Andreas Liebmann

Die Stadt Nördlingen ist auf Diamanten gebaut, 70 000 Tonnen sollen es sein. Sogar die Häuser des mittelalterlichen Stadtkerns wurden daraus erschaffen. So gesehen sind die Menschen ziemlich reich am Nordrand der Schwäbischen Alb, und hätte die Sache nicht einen Haken, Martin Fürleger oder einer seiner Vorstandskollegen von der BG Donau-Ries wäre Anfang des Jahres sicher in den Keller gestiegen, hätte ein, zwei der Steinchen hervorgeholt und sie dem gemeinsamen Herzensprojekt geopfert.

Doch die Leute im Ries wissen natürlich, dass der Diamantstaub im Boden nicht abbaubar ist - und damit wertlos. Deshalb standen Fürleger und seine Mitstreiter bis vor einigen Wochen vor einem gewaltigen Problem. "Nervenaufreibend" sei das gewesen, sagt er am Telefon, "das war eine Zeit mit sehr wenig Schlaf." Im Hintergrund läuft ein Livestream, drittes Viertel zwischen Alba Berlin und den Rutronik Stars Keltern, das entscheidende Duell um die deutsche Meisterschaft. Als Sportchef eines Teams der ersten Frauenbasketball-Bundesliga (DBBL) schaut man da natürlich zu. Trotzdem dreht Fürleger den Ton ab. Er hat etwas zu erzählen.

Mitte März hatten die Eigner Angels Nördlingen ihre finanzielle Not öffentlich gemacht. 75 000 Euro fehlten, um ernsthaft eine Lizenz für das 17. DBBL-Jahr beantragen zu können, und die Zeit drängte. Natürlich war das Finanzloch nicht so unerwartet vom Himmel gefallen wie vor etwa 15 Millionen Jahren jener Meteorit, der hier neben Diamantstaub vor allem einen 25 Kilometer großen Krater hinterließ, das heutige Ries. All die Auflagen, die in der DBBL kommen sollten, habe man schließlich gekannt, erzählt Fürleger: hauptamtliche Stellen, LED-Bande, Ausbildungsfonds und einiges mehr. Doch die ehrenamtlichen Strukturen, auf die der Verein so stolz ist, bergen Gefahren. Im Januar erst habe man damit begonnen, die neuen Herausforderungen durchzurechnen, und dann gemerkt: "Das wird zapfig." Ihr bisheriger Etat, 300 000 Euro, ist einer der kleinsten der Liga - und reichte nicht.

Für den überraschend scheidenden Coach Rozlapa ist ein Nachfolger gefunden

Ohne den Schritt an die Öffentlichkeit, da ist sich Fürleger sicher, "wären wir jetzt nicht mehr da". Quasi mit dem letzten Tag der Frist hatten sie den ausgerufenen Betrag eingesammelt. Ein Drittel kam von Privatpersonen, zwei Drittel von Unternehmen, die damit jeweils gezeigt hätten, dass die Angels für sie und ihre Region "relevant" seien. "Stolz" seien sie deshalb, betont Fürleger und erinnert daran, wie bitter ein Ende gewesen wäre: Das Team hatte doch gerade seine bislang beste Saison abgeliefert, Playoff-Viertelfinale und Rang zwei im Pokal.

Dass es erst einmal weitergeht, ist nun klar, weil in der bedrohlichen Lage einige unbeirrt angepackt hätten. Aber wie es weitergeht?

Solange das Ende des Profibasketballs im Ries drohte, konnten sie ja schlecht mit ihren Spielerinnen sprechen. "Die anderen Vereine sind natürlich auf sie losgegangen", sagt Fürleger. Naomi Davenport ist weg; die Chance, die überragende Erika Davenport zu halten, sieht Fürleger als gering an; er hofft, vielleicht den halben Kader zum Bleiben bewegen zu können, vor allem bei der jungen Spielmacherin Nicole Brochlitz wäre ihm das wichtig. Und dann hatte die Verantwortlichen auch noch der Weggang des Trainers Matiss Rozlapa kalt erwischt. Eine Woche nach Saisonende habe ihnen dessen Agent mitgeteilt, dass der Lette nicht zurückkehren, sondern nach Saarlouis wechseln werde. Die Finnin Roosa Lehtoranta nimmt er gleich mit. "Das hätte man anders kommunizieren können", findet der Sportvorstand.

Die Arbeit war also längst nicht getan, als die 75 000 Euro in letzter Sekunde beisammen waren, im Gegenteil. Sie haben nun einen neuen Coach gefunden, den Finnen Niko Kuusi, 35. Vor Jahresfrist hatte er das "Kopf-an-Kopf-Rennen" mit Rozlapa nur deshalb verloren, so Fürleger, weil man den Eindruck hatte, er wäre nicht so richtig erpicht gewesen auf ein Auslandsengagement. Inzwischen kenne man den Grund, er heißt Leonie. Kuusi stand damals kurz davor, Vater zu werden. "Jetzt kommt er mit Frau und Tochter zu uns, was wir als gutes Zeichen sehen." Das Jahr Verzögerung hat Kuusi dazu genutzt, mit dem finnischen Topklub Torpan Pojat Helsinki Meister zu werden.

Und weiter?

Die von der Liga geforderte LED-Bande besitzt der Verein bereits, muss sie aber noch abbezahlen. Der Finanzbedarf ist keineswegs gedeckt, für die kommenden Monate müssten weitere 50 000 Euro eingesammelt werden, schätzt Fürleger - viel hänge an den Kandidaten für die hauptamtliche Geschäftsführung und deren Gehaltsvorstellungen. Ab übernächster Saison fordert die Liga einen Hallenboden, auf dem nur noch Basketballlinien zu erkennen sein dürfen, damit die Spielstätten nicht aussehen, als wären sie Schulturnhallen - was sie, wie in Nördlingen, aber meist sind. Die Schwaben werden sich in der gewaltigen Bandbreite vom LED-Glasboden über einen Rollboden wohl erst einmal mit der kleinstmöglichen Lösung bescheiden müssen: Linie für Linie abkleben. Sie haben das durchexerziert, "14 Mann, zweieinhalb Stunden Arbeit", und das vor jedem Spiel. Das ist der Preis.

Mit einem Sieg am Sonntag dürfte Wasserburg sportlich aufsteigen

Alba Berlin hat am Ende den Titel gewonnen. Die Neulinge aus der Großstadt mit dem Männer-Erstligisten im Hintergrund haben sich (auch ohne Ton) gegen die Gäste aus Keltern durchgesetzt. Die Berliner Sömmeringhalle war ausverkauft, 2400 Zuschauer - das ist ein Viertel der gesamten Einwohnerzahl der Gemeinde Keltern. So ungleich die Kontrahenten waren, einen viel größeren Etat als sie selbst hätten beide, weiß Fürleger. In diesem Umfeld bewegen sie sich. Einen Trend hin zu Großstädten sieht er nicht, aber wie lange sie ihre Standortnachteile - keine Uni, ländliche Strukturen, kein finanzstarker Männer-Erstligist - allein durch ehrenamtliche Hingabe wettmachen können, weiß er selbst nicht.

Beim ehemaligen Serienmeister Wasserburg hat das Finale zwischen Berlin und Keltern übrigens niemand angesehen, nicht mal ohne Ton. Der TSV stand nämlich zur gleichen Zeit in den Zweitliga-Playoffs und glich vor eigenem Publikum seine Halbfinalserie gegen Bad Homburg aus, mit 65:63. Sieben Sekunden vor Schluss traf Sophie Perner aus der Distanz zur Entscheidung, die Halle fiel fast auseinander vor Lärm, Perner schnaufte ungläubig durch. Am Sonntag (16.30 Uhr) können sie an gleicher Stelle ins Finale einziehen - und wären damit aufstiegsberechtigt.

Trainer Luis Prantl will sich nur aufs Sportliche konzentrieren, aber er weiß, dass die neue Abteilungsleitung im Hintergrund gerade alles versucht, um für diesen Fall das Unmögliche vielleicht doch möglich zu machen: wieder erstligatauglich zu werden, trotz all der Auflagen - ohne Großstadt, ohne Uni, nur mit viel Engagement und einer Halle voller Schulsportlinien. Und nicht einmal Diamantstaub haben sie.

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