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Basketballer bei Olympia:Der Geist von Split

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Die deutschen Basketballer entwickeln trotz enormer Widrigkeiten echtes Teamgefühl und qualifizieren sich überraschend für Tokio - nur um Dennis Schröder und Joshiko Saibou gibt es noch Fragen.

Von Ralf Tögel, Split/München

Dennis Schröder riss in der Spaladium Arena zu Split triumphierend die Arme nach oben. Gerade hatten die deutschen Basketballer die Zulassung zu den Olympischen Spielen nach Tokio erreicht, mit einem hart erkämpften 75:64 gegen Brasilien. Der größte Erfolg einer Auswahl des Deutschen Basketball Bundes (DBB) seit 2008. Damals hatte Dirk Nowitzki das Team zu Olympia nach Peking geführt.

Schröder war beim Qualifikationsturnier in Kroatien als Anführer der Mannschaft eingeplant, er gilt vielen als der beste Basketballer seit Nowitzki. Aber Schröder stand nicht im verschwitzten Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust in der Halle. Er stand auf der Tribüne, mit dunkler Sonnenbrille, die Baseball-Cap tief ins Gesicht gezogen und mit schwerem Glitzerschmuck behängt. Schröder war nur Fan, aus sportlicher Sicht eine funkelnde Randnotiz.

Dennis Schröder als Randnotiz beim DBB?

Dieses Mal war es nicht der extravagante Basketball-Profi, der im Rampenlicht stand, sondern die Kollegen: Die Attraktion von Split war die Mannschaft. Bundestrainer Henrik Rödl war ja mit einer nahezu aussichtslosen Mission nach Kroatien gereist, er sollte mit einer dezimierten Auswahl gegen hoch gehandelte Gegner wie Russland und Kroatien das Turnier gewinnen.

Vier solcher Qualifikationsrunden gab es, nur der jeweils Erste bekam dabei die Zulassung für die vier offenen Olympia-Startplätze. Rödl musste auf die Dienste der NBA-Profis Maximilian Kleber, Daniel Theis und Isaiah Hartenstein verzichten. Auch Paul Zipser, ebenfalls NBA-erfahren und in Bestform, fehlte - er war wegen einer Hirnblutung notoperiert worden.

Dann verursachte auch noch die Nominierung von Joshiko Saibou öffentliche Entrüstung, der 31-Jährige hatte vor einem Jahr an einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen teilgenommen und sich des Querdenker-Gedankenguts verdächtig gemacht - weshalb er von den Baskets Bonn fristlos gekündigt wurde. Und schließlich gab es noch einigen Wirbel um Schröder, der erst verspätet zur Mannschaft stieß, um dann kurz vor Turnierbeginn abzusagen - weil er für den Verband nicht zu versichern war.

Der 27-Jährige, der zuletzt für die LA Lakers spielte, ist derzeit ohne Vertrag, bewegt sich aber in Sphären, die ihm bei einer mehrjährigen Anstellung einen dreistelligen Millionenbetrag in Aussicht stellen. Bei einem durch Corona verunsicherten Markt wollte kein Unternehmen dieses Risiko tragen.

Bundestrainer Rödl trotzte den sich auftürmenden Problemen mit Gelassenheit

Die Frage also war, ob das deutsche Team diese Nebengeräusche wegstecken kann, kaum jemand hatte Rödl diese Herkules-Aufgabe zugetraut. Zumal der 52-Jährige selbst in der Kritik stand, die WM 2019 endete trotz eines klar stärker besetzten Kaders auf dem enttäuschenden 18. Platz.

Rödls Vertrag hätte bei einem Misserfolg im Qualifikationsturnier ein sofortiges Ende gefunden, schon vor dem Turnier hatte der DBB seine Fühler nach einem Nachfolger ausgestreckt. Doch Rödl blieb ruhig und trotzte mit geradezu buddhistischer Gelassenheit allen sich auftürmenden Problemen. Dass die Spieler genügend Qualität haben war klar, nicht aber, welch unglaublichen Mannschaftsgeist sie entwickelten.

Die Mannschaft hatte schnell verinnerlicht, dass die Qualifikation für Tokio nur gemeinsam zu schaffen war. Jeder stand für den anderen ein, so steigerte sich das Team nach einem holprigen Start gegen Mexiko (82:76) von Spiel zu Spiel, schlug Russland nach einer Energieleistung im letzten Viertel (69:67) und schließlich im Halbfinale Gastgeber Kroatien (86:76).

Während das Spiel der Kroaten auf ihren NBA-Leader Bojan Bogdanovic zugeschnitten war, der mit 38 Punkten die Hälfte aller kroatischen Zähler erzielte, verteilte sich im deutschen Spiel die Last auf viele Schultern. So waren es immer wieder andere Protagonisten, die zu großer Form aufliefen: In der Vorrunde waren die großen Spieler um Johannes Voigtmann, Danilo Barthel, Johannes Thiemann und Robin Benzing maßgeblich. Dann prägten die Guards um Maodo Lo (gegen Kroatien 29 Punkte), Isaac Bonga, Andreas Obst, Niels Giffey und Saibou, der seine Nominierung zumindest sportlich rechtfertigte, das deutsche Spiel. Und im Finale schließlich, dem Meisterstück dieser bemerkenswert geschlossenen DBB-Auswahl, war NBA-Profi Moritz Wagner mit 28 Punkten nicht zu bremsen. Der Power Forward hat sich wie Bonga, der im Finale angeschlagen fehlte, in der NBA enorm entwickelt.

Der Kader hat zwar auch ohne seine Besten viel Qualität, der Erfolg ist aber dem funktionierenden Kollektiv zuzuschreiben

Das Lob indes gebührt dem Kollektiv, das von einem großartigen Zusammenhalt durch das Turnier getragen wurde. Mit großem Willen und einer unermüdlich kämpfenden Defensive wurden auch die bis dahin so stark aufspielenden Südamerikaner niedergerungen. Neben ihrem besonderen Geist hatte die Gruppe auch einen im wahrsten Wortsinn großen Anführer: den 2,11 großen Center Voigtmann.

Der 28-Jährige ist beim Euroleague-Spitzenklub ZSKA Moskau zu einem Schlüsselspieler gereift und hatte sich vor dem Turnier in einer bemerkenswerten Wortmeldung zur Personalie Saibou Respekt verdient. Der müsse sich nachhaltig von der Querdenkerszene distanzieren, sonst solle man "ihn rauswerfen, oder ich bin weg". Gerade angesichts des teilweise naiven Agierens der DBB-Funktionäre im Vorfeld waren das bemerkenswert klare Worte, die viel Dampf aus der Diskussion nahmen.

Nun also sind die Basketballer eines von fünf deutschen Ballsport-Teams in Tokio (23. Juli bis 28. August), Fußballer, Handballer und beide Hockey-Teams waren bereits qualifiziert. Für Henrik Rödl, der sogleich alle zwölf müden Helden für Olympia nominiert hat, ist dies nach der WM-Enttäuschung der größte Erfolg seiner Amtszeit. In der Gruppe B spielt die DBB-Auswahl gegen Australien, Nigeria und Italien. Schwere Gegner, dem Rödl-Team ist in dieser Verfassung aber auch bei Olympia einiges zutrauen. Schon am kommenden Montag wird voraussichtlich in Trier die Vorbereitung beginnen.

Dennis Schröder im Übrigen, der in Split noch ausgelassen mit den Spielern feierte, bekundete großes Interesse an einer Teilnahme in Tokio: "Ich stehe immer zur Verfügung, aber meine Situation ist nicht so leicht. Aber ich hoffe, dass wir das klären können bis dahin", sagte er der dpa. Die Frage ist indes, ob Schröder auf dem Parkett wertvoller wäre als auf der Tribüne.

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