Süddeutsche Zeitung

Basketball-Bundesliga:Verlässlicher Lebensretter

Mit einem irren Dreier verhilft Tyrese Rice seinem Team Brose Bamberg in Vechta in die Verlängerung - und zum Sieg.

Von Matthias Schmid

Nikolaos Zisis schmiss staunend seine beiden Hände auf die Stirn, er war überwältigt von dem Wurf, den er gerade gesehen hatte. Zisis, 35, kann eigentlich nichts mehr so leicht beeindrucken im Basketball, der Grieche vom Bundesligisten Brose Bamberg hat alles erlebt, alles gewonnen, was dieser Sport in Europa an Titeln so hergibt. Aber der Wurf von Tyrese Rice am Donnerstagabend beim Spiel in Vechta war ein Kunstwerk, von dem Zisis ganz sicher später noch seine Enkeln erzählen wird. "Damals in Vechta, als mein Mitspieler Rice ..." So könnte die Erzählung beginnen. 6,1 Sekunden waren in der regulären Spielzeit noch zu spielen, Aufsteiger Rasta Vechta führte 84:81, als Zisis den Ball zu Rice einwarf. Der Amerikaner dribbelte in die rechte äußere Ecke des Spielfeldes, eng bewacht von seinem Gegenspieler Maximilian Dileo, der fuchtelte wild mit seinen Armen im Gesicht von Rice, der Bamberger war in die Falle getappt. Das glaubten alle, es war eigentlich kein Platz zum Werfen. Die Sekunden rannen von der Uhr, drei Sekunden waren noch zu spielen, als Rice eine Eingebung hatte, er machte mit dem linken Fuß einen Schritt vor, drückte sich ab und sprang zurück, er hatte sich mit dieser Finte, diesem sogenannten step back jump shot ein bisschen Platz verschafft, er warf auf einem Bein im hohen Bogen über Dileo hinweg. Der Ball flog und flog, ehe er sich im Ring noch kreiselte und schließlich hindurchflutschte. 84:84 und noch 1,3 Sekunden zu spielen. Es war der Wurf, der Bamberg in die Verlängerung brachte. Ein irrsinniger, eigentlich ein unmöglicher Wurf, aber Rice ist ein Artist am Ball, der manchmal sogar zu zaubern vermag und dann selbst seine erfahrenen Mitspieler zum Staunen bringt.

Die Geschichte der Verlängerung ist schnell erzählt. Die Bamberger gewannen die Partie mit 101:95, weil sie frischer und routinierter waren. Mit dem - wettbewerbsübergreifend - elften Sieg in Serie überholten sie Vechta auch in der Tabelle und liegen nun auf Rang drei.

"Wir haben gut als Team harmoniert", fasste Rice die Partie zusammen, in der er 30 Punkte und neun Korbvorlagen sammelte. Der 31-Jährige klang ziemlich nüchtern, fast zu emotionslos nach so einer bemerkenswerten Leistung. Um seinem "Wahnsinnswurf", wie ihn sein Kollege Patrick Heckmann nannte, machte er kein großes Aufheben. "Natürlich war am Ende auch etwas Glück dabei", gab Rice immerhin zu, "auch bei meinem Wurf. Wichtig ist aber, dass wir gewonnen und einen Schritt nach vorne gemacht haben."

In der Tat war der Erfolg in Vechta, wo vorher sowohl Meister München als auch Berlin das Nachsehen hatten, ein weiterer Beleg für die gedeihliche Entwicklung der Bamberger unter Federico Perego, 34. Der jüngste Trainer der Liga hat den Profis des neunmaligen deutschen Meisters nicht nur die Freude an der Arbeit zurückgebracht, sie haben auch sehr vieles von dem Lehrinhalt schon umgesetzt, was er sich vorgenommen hatte. Vor allem in der Defensive ist die Mannschaft nicht wieder zu erkennen, wo sie unter Peregos Vorgänger Ainars Bagatskis noch einen Hang zur Sorglosigkeit praktizierte. Inzwischen verteidigen die Oberfranken ihren eigenen Korb wieder mit so viel Hingabe wie Dagobert Duck seinen Geldspeicher. Auf diese Weise konnten sie in der ersten Hälfte auch die gefürchteten Distanzwerfer Vechtas aus dem Spiel nehmen. "Es nimmt in der Offensive Druck von einem, wenn man weiß, dass man hinten Stopps hat", beschreibt Heckmann den Lernerfolg.

Das neue Pflichtbewusstsein in der Verteidigung müssen die Bamberger auch in den nächsten Spielen beibehalten. So steht am nächsten Mittwoch das Hinspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen AEK Athen an, es folgt am Sonntag darauf das Heimspiel gegen Alba Berlin, ehe Bamberg am 3. April nach Athen reist. "Für uns kommen jetzt Wochen, die voll sind mit sehr wichtigen Begegnungen", sagte Perego in der Pressekonferenz, "das heute war der Anfang und wir werden versuchen, da gut durchzukommen."

Die Endrunde der letzten Vier ist das Ziel der Bamberger im europäischen Wettbewerb, in der Bundesliga wollen sie noch einen Platz nach oben klettern, um München im Idealfall in den Playoffs bis zum Finale aus dem Weg gehen zu können.

Auf die Erfahrung und die Kunstfertigkeit von Tyrese Rice wird es dann wieder ankommen, der seine Stepbackwürfe im Training regelmäßig trainiert. "Wir können uns bei Tyrese bedanken, dass er uns damit das Leben gerettet hat", sagte Heckmann in Vechta voller Bewunderung. Rice ließ sich auch am Ende kein Eigenlob entlocken und stellte lapidar fest: "Manchmal fallen die Würfe, manchmal nicht. Heute sind sie gefallen."

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SZ vom 23.03.2019
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