Süddeutsche Zeitung

Basketball:Der etwas andere Rookie

  • In seiner ersten NBA-Saison steht Daniel Theis mit den Boston Celtics aktuell an der Spitze der Eastern Conference.
  • Der 25-Jährige unterscheidet sich nicht nur aufgrund seiner bisherigen Profi-Erfahrung von anderen Neulingen.
  • Trotzdem bleibt seine Zukunft in Amerika unklar, derzeit wechselt Theis zwischen Startformation und Bank.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Der Angriff kam aus der Tiefe des Raums, Jaylen Brown hatte nicht den Hauch einer Abwehrchance. Der Jungprofi der Boston Celtics spürte noch, wie etwas an seinem Bein zog, dann geriet er ins Straucheln und sah irritiert nach unten. Dort, auf dem Boden der Umkleidekabine, lag Daniel Theis, dessen lange Beine gerade von einem Physiotherapeuten gedehnt wurden und der sich diebisch über den Kleine-Jungs-Streich freute. Brown brach in Gelächter aus, trat theatralisch nach dem Sportkameraden und trollte sich.

Streiche, Neckereien, Gelächter - die Episode aus der Umkleide der Celtics zeigt, wie schnell sich der Basketballer Daniel Theis im US-Profisport etabliert hat. Das ist keineswegs selbstverständlich: Manch anderer Deutsche, der sein Glück in der Millionärsliga NBA versuchte, scheiterte; selbst die heutigen Stars Dirk Nowitzki und Dennis Schröder brauchten Jahre für den Durchbruch. Theis dagegen ist nach nur zwei Monaten fester Bestandteil seines Teams. "Daniel hat genau einen Tag gebraucht, um sich umzustellen", sagt sein Trainer Brad Stevens - und das ist tatsächlich nur ein kleines bisschen übertrieben.

Der zweite Anlauf nach Amerika gelingt auf Anhieb

Aus Salzgitter in die Glitzerwelt der NBA? "Es gibt Tage, da muss ich mich immer noch zwicken", sagt Theis, "da kommt man in die Halle und realisiert, dass man tatsächlich mit den Besten der Welt spielt - das ist schon Wahnsinn." Allerdings: Die Celtics haben es dem 25-Jährigen auch leicht gemacht. Nach dem Radikalumbau des Kaders im Sommer mit dem Weggang von Schlüsselspieler Isaiah Thomas und der Verpflichtung von Kyrie Irving war sich die Führungsriege um Geschäftsführer Danny Ainge und Trainer Stevens selbst unsicher, wo die Mannschaft steht. Nach nunmehr 22 von 82 Hauptrundenspielen und nur vier Niederlagen kennen die Herren die vorläufige Antwort: ganz oben.

Dabei ist, das weiß man in Boston sehr wohl, noch längst nicht alles Gold, was da glänzt. Manche Spiele wurden nur knapp gewonnen, in anderen ließ die Mannschaft viel Kraft, weil sie gewaltige Rückstände aufholen musste. Und doch: Vor allem in der Verteidigung spielt das Team so erfolgreich wie lange nicht - und das ist der Moment, in dem sich der Blick auf Daniel Theis richtet. "Es gibt nicht viele, die in die NBA kommen und gleich einen so deutlichen Fußabdruck hinterlassen", sagt Al Horford, einer der Etablierten im Team: "Daniel weiß, worum es geht, und er ist sich nicht zu schade, all die Arbeit zu tun, die nötig ist, um zu gewinnen. Genau so jemanden haben wir gebraucht." Dass Theis mit seiner wuchtigen Spielweise, den Blocks, Dunks und Alley-oops, wie sie in Amerika sagen, außer den Mitspielern auch die Zuschauer von den Sitzen reißt, macht die Sache für ihn nicht schlechter.

Seine Ausbeute ist mit vier Punkten in durchschnittlich zwölf Spielminuten solide, aber nicht überragend. Doch Theis, der bereits als Jugendlicher in Braunschweig mit dem heutigen NBA-Kollegen Schröder zusammenspielte, weiß selber, dass ihn Ainge aus anderen Gründen verpflichtet hat. "Punkte zu machen, ist gar nicht so das Entscheidende, es gibt genügend andere, die sich darum kümmern", sagt der 32-malige Nationalspieler: "Ich weiß aber, dass ich dem Team in der Defensive, beim Rebounden und mit meiner Energie helfen kann." Und tatsächlich: Wenn sich der 2,04-Meter-Mann vor einem gegnerischen Angreifer auffaltet wie das Siebengebirge vor Bonn, bekommen auch erfahrene Kontrahenten weiche Knie.

Dabei kommt Theis zugute, dass er kein 19 Jahre alter Jungspund mit Oberlippenflaum und dünnen Ärmchen mehr ist, sondern ein muskelbepackter, erfahrener Profi, der im bis dato letzten Jahr seiner Bundesligakarriere als Defensivspieler des Jahres ausgezeichnet wurde. "Ich glaube, es war hilfreich, dass er schon für mehrere unterschiedliche Mannschaften und Trainer gespielt hat, einschließlich der Nationalmannschaft", sagt Celtics-Coach Stevens. Vielleicht war es deshalb - bei aller damaligen Enttäuschung - ein Glück, dass der erste Wechselversuch in die NBA 2013 scheiterte und Theis in den Jahren danach der Versuchung widerstand, als Ersatzspieler des Ersatzspielers bei einem US-Team anzuheuern. "Mir ging es nie darum, einfach als 15. Mann irgendwo hinzugehen, nur um sagen zu können: Ich bin jetzt in der NBA", sagt er. "Das Paket aus Klub, Trainer und Umfeld musste stimmen, und hier in Boston fühlt es sich einfach richtig an."

Wenn man ihn brauche, sei er da: "Egal, ob für zwei oder für zwanzig Minuten"

Ob Theis in der bedeutendsten Basketballliga der Welt eine Zukunft hat, ist allerdings trotz seines Traumstarts offen. Zuletzt holte ihn ein wenig der Alltag ein, die Zahl seiner Einsatzminuten sank, teilweise saß er ganz draußen. Dann wiederum, etwa gegen die Indiana Pacers, stand er plötzlich in der Starting Five. Auch Experten wie Adam Miller vom Fanmagazin Hardwood Houdini zollen ihm zwar Respekt für sein starkes Debüt, sind aber noch unschlüssig, ob er tatsächlich das Zeug zum Star hat.

"Es wird Matches geben, in denen ich wenig oder gar nicht spielen werde, weil der Coach seine Aufstellung auch daran ausrichtet, gegen wen wir antreten. Das ist völlig okay", sagt Theis selbst: "Dafür kommen andere Spiele, in denen er mich braucht - und dann bin ich da, egal ob für zwei, 15 oder 20 Minuten." So wie gegen die Sacramento Kings, als er mit zehn Punkten und zehn Rebounds in nur 18 Minuten das erste sogenannte Double-Double seiner jungen NBA-Karriere schaffte.

Weil Theis nach dem gescheiterten Versuch von 2013 zunächst in der Bundesliga blieb, hat er den Millionärskollegen in seinem Team heute sogar ein paar Dinge voraus: Der ehemalige Bamberger, der derzeit den NBA-Mindestlohn für einen Neuling von knapp 816 000 Dollar im Jahr erhält und damit ein Vierzigstel dessen, was Liga-Superstar LeBron James einstreicht, ist dreimaliger nationaler Champion. "Ich weiß, wie es sich anfühlt, Meisterschaften zu feiern, und hier in Boston wartet man jetzt schon verdammt lange auf einen Titel", sagt Theis. "Also: Auf geht's!"

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SZ vom 30.11.2017/mwal
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