Süddeutsche Zeitung

MHP Riesen Ludwigsburg:Basketballer, die über sich hinauswachsen

Trainer John Patrick hat die Bayern besiegt und Ludwigsburg erstmals ins Meisterschafts-Finale geführt - mit einer Spielweise, die alle Gegner fürchten.

Von Joachim Mölter

Ein feines, kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte am Dienstagabend die Lippen des Basketballtrainers John Patrick, er strahlte die Zufriedenheit eines Mannes aus, der mehr geschafft hat, als man ihm zugetraut hatte; viel, viel mehr sogar. Durch das 94:85 über Ratiopharm Ulm haben die von Patrick gecoachten MHP Riesen Ludwigsburg zum ersten Mal das Finale um die deutsche Basketball-Meisterschaft erreicht; am Freitag (20.30 Uhr) und Sonntag (15 Uhr) treffen sie auf die Mannschaft von Alba Berlin, die am Mittwochabend EWE Oldenburg mit 81:59 besiegte. "Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft", sagte Patrick ruhig: "Wir haben kein einfaches Spiel gehabt in diesem Turnier."

Tatsächlich hatten die Ludwigsburger den mühsamsten Weg zurücklegen müssen bei dem wegen der Corona-Pandemie kurzfristig organisierten Finalturnier der Basketball-Bundesliga (BBL). Bis auf das 103:74 über Bamberg in der Vorrunde gab es für die Riesen nur enge Spiele mit einem, drei, vier, fünf, acht Punkten Differenz. Nach der Partie um den Gruppensieg mit Pokalsieger Alba Berlin (89:97), musste Ludwigsburg im Viertelfinale den Titelverteidiger Bayern München aus dem Weg räumen (87:83 und 73:74) und danach im Halbfinale die zuvor unbesiegten Ulmer, die Besten der Vorrunde. "Es waren hart umkämpfte 80 Minuten", resümierte Patrick nach dem 71:71 im Hinspiel und dem erst im Schlussviertel bewerkstelligten Sieg im Rückspiel.

Überraschend ist Ludwigsburgs Finaleinzug trotzdem nicht, die Riesen waren ja Tabellenzweiter, als die Hauptrunde im März abgebrochen wurde, und sie hatten bis dahin schon den FC Bayern (81:74) sowie Berlin (81:77) besiegt und Ulm sogar zweimal (106:75 und 94:76). Insofern spricht das knappe Halbfinale auch für Ulms Leistung beim Finalturnier.

Den Ulmern fehlte "ein bisschen der Killerinstinkt"

Das weitgehend runderneuerte Team von Trainer-Neuling Jaka Lakovic, 40, war nach holprigem Saisonstart nur Zehnter gewesen und hatte dann in München genau wie Ludwigsburg drei Leistungsträger ersetzen müssen. Dafür harmonierten die Ulmer plötzlich erstaunlich gut. Die Verantwortung wurde nun auf alle verteilt, der Ball lief wie am Schnürchen, das Angriffsspiel war eine Augenweide. "Es hat richtig viel Spaß gemacht", resümierte Thomas Klepeisz trotz des Halbfinal-Aus beim TV-Sender Magentasport: "Ich bin sehr froh, dass ich dabei sein durfte."

Auch Teamsenior Per Günther, 32, geriet ins Schwärmen und sprach von Dankbarkeit, "noch mal 'ne coole Erfahrung gemacht zu haben". Die Mannschaft habe "so selbstlos, so miteinander" gespielt und quasi "aus dem Nichts funktioniert". Bloß in entscheidenden Phasen des Halbfinales habe "ein bisschen der Killerinstinkt gefehlt", wie Klepeisz fand. Im vierten Viertel des Hinspiels und im zweiten des Rückspiels führten die Ulmer jeweils schon deutlich, "da hatten wir Ludwigsburg zweimal an einem Punkt, wo wir uns gut gefühlt haben - und haben beide Male den Fuß vom Gas genommen", haderte Per Günther mit den vergebenen Chancen.

Bei den Ludwigsburger Riesen ragte erneut Marcos Knight heraus, einer der Kleineren im Kader. Knight war zu Beginn umgeknickt und hatte dann auf einem bandagierten Fuß noch 26 Punkte und 13 Rebounds beigesteuert. Für den 30-Jährigen war es bereits das vierte Double-Double nacheinander, wie die zweistellige Ausbeute in zwei statistischen Kategorien genannt wird. Im Hinspiel kam er auf 24 Punkte und elf Rebounds, im Viertelfinale gegen den FC Bayern auf 20 und zehn sowie 17 und elf. Vor allem die Zahl der Rebounds beeindruckt, denn Knight misst bloß 1,88 Meter. "Aber es ist schwer, ihn aus der Zone rauszuhalten", sagt der Ulmer Patrick Heckmann: "Der Junge ist stark, schnell und immer am richtigen Platz."

Wie kaum ein anderer steht Marcos Knight für die Basketball-Philosophie von John Patrick: die Spieler größer zu machen als sie sind, aus den Mannschaften mehr rauszuholen, als in ihnen drinzustecken scheint. Der 52 Jahre alte Amerikaner ist seit 2013 bei den Riesen, die damals sportlich abgestiegen wären und nur dank einer Wildcard in der Liga blieben. Unter Patrick hat Ludwigsburg danach immer die Playoffs erreicht, außer in der vorigen Saison - da passte die Teamzusammenstellung ausnahmsweise mal nicht.

Playoff-Finals im deutschen Basketball seit 2010

2010 Brose Bamberg - Skylin. Frankfurt 3:2

2011 Brose Bamberg - Alba Berlin 3:2

2012 Brose Bamberg - Ratiopharm Ulm 3:0

2013 Brose Bamberg - EWE Oldenburg 3:0

2014 FC Bayern - Alba Berlin 3:1

2015 Brose Bamberg - FC Bayern 3:2

2016 Brose Bamberg - Ratiopharm Ulm 3:0

2017 Brose Bamberg - EWE Oldenburg 3:0

2018 FC Bayern - Alba Berlin 3:2

2019 FC Bayern - Alba Berlin 3:0

2020 Ludwigsburg - Berlin/Oldenburg

Patrick spielt bevorzugt mit vergleichsweise großen und athletischen Guards, die fast alle Positionen in der Abwehr einnehmen und nahtlos von einem Angreifer zum nächsten wechseln können; das ermöglicht es, mit sehr viel Druck zu verteidigen. Als "vierzig Minuten Hölle" ist diese Spielweise mal tituliert worden, sie wird von allen Gegnern gefürchtet. Beim Finalturnier, in dem alle zwei Tage gespielt wird, wendet Patrick diese kraftraubende Maßnahme freilich nur dosiert an. "Unser Ziel ist immer, eine Mannschaft aus ihrem offensiven Rhythmus zu bringen", erklärt er. Gegen Ulm reichten dafür wenige Minuten.

Um genug frische Beine zu haben, bestückte Patrick seinen Zwölfer-Kader für das Rückspiel gleich mit acht Guards, darunter drei Teenager, "die uns wertvolle Minuten gegeben haben", wie er lobte. Die Hauptlast tragen freilich vier Profis - Knight, Thomas Wimbush II, Nick Weiler-Babb und Jaleen Smith. Sie sind oft mehr als 30 Minuten im Einsatz. Aber auch das ist typisch für John-Patrick-Teams: Sie sind fit. Die Ludwigsburger Riesen geben jedenfalls nie auf, sie sind kaum kleinzukriegen, wie Katzen, die neun Leben haben. Mal sehen, wie weit ihre Kraft noch reicht: Das entscheidende Finale am Sonntag wird ihr zehntes Turnierspiel sein.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2020/tbr
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