Baseballliga MLB:Nothelfer im Finale

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Stimmungsaufheller: Die Houston-Profis Lance McCullers (re.) und Brian McCann feiern den Sieg über die Yankees und den Finaleinzug.

(Foto: John Angelillo/imago/UPI Photo)

Das Finale der US-Baseball Major League bestreiten die Houston Astros und die Los Angeles Dodgers. Fest steht schon jetzt: Es dürfte ein Rührstück werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich werden sie diese Geschichte verfilmen, sie ist dramatisch und bittersüß, und wen sie nicht zu Tränen rührt, dem hat die Natur Eiswasser statt Blut in die Adern gefüllt. Der Protagonist steht zu Beginn des Film auf diesem Hügel im Stadtzentrum von Los Angeles, den sie hier "Blue Heaven on Earth" nennen, den blauen Himmel auf Erden. Er sieht von der Skyline zum Hollywood-Zeichen und dann zum Pazifischen Ozean. Dann dreht er sich um, vielleicht weint er, blickt auf das größte Baseballstadion der USA, in dem am heutigen Dienstag die Finalserie der Profiliga MLB zwischen den Los Angeles Dodgers und den Houston Astros eröffnet wird. Und dann beginnt er zu erzählen.

Wovon genau diese Geschichte handelt und wer dieser Typ auf dem Hügel ist, das ist noch nicht bekannt und letztlich auch egal. Die Erzählung wird definitiv rührend sein - und der ungewisse Ausgang macht diese World Series mindestens so faszinierend wie jene des vergangenen Jahres, als die Chicago Cubs, 108 Jahre lang ohne Meistertitel, im entscheidenden siebten Spiel die Cleveland Indians besiegten.

Houstons Bürgermeister lobte die Astros nach dem Hurrikan

Es hatte noch am Freitagabend so ausgesehen, als müssten die Dodgers zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder im Duell zwischen Ost- und Westküste gegen die New York Yankees antreten. Die Dodgers wurden 1884 als Brooklyn Atlantics gegründet und waren bis 1958 der erbitterte Stadtrivale der Yankees, ehe sie in den Westen übersiedelten. Das wäre eine Geschichte dieses Saisonabschlusses gewesen: diese seit Jahrzehnten erfolglosen Dodgers, die es seit der letzten Meisterschaft 1988 nicht einmal mehr in die Finalserie schafften und sich nun für 265 Millionen Dollar einen Kader gönnten, der die 259-Millionen-Dollar-Yankees herausfordern sollte.

Die 204-Millionen-Dollar-Astros jedoch haben das Halbfinale gegen die Yankees mit zwei deutlichen Siegen am Wochenende (7:1 und 4:0) gedreht - plötzlich wird diese World Series auf eine andere, gesellschaftlich bedeutsame Ebene gehoben: Vor einigen Wochen hat der Hurrikan Harvey in Houston 77 Menschen getötet und einen Schaden von geschätzten 100 Milliarden Dollar angerichtet. Die Astros haben angepackt danach: Die Spieler verteilten Essen, schleppten Sandsäcke, spielten mit obdachlosen Kindern - und sie haben mit spektakulären und optimistischen Auftritten für ein wenig Abwechslung gesorgt. Bürgermeister Sylvester Turner rief den Astros gar zu: "Diese Stadt braucht mehr Baseballspiele, also erreicht, verdammt noch mal, die World Series! Das erste Spiel betrachten wir als den Beginn des Wiederaufbaus." Eine Geschichte lautet nun also: Baseballklub lindert den Schmerz der Stadt und kann den ersten Titel in der 52 Jahre alten Vereinsgeschichte gewinnen.

Es heißt ja bisweilen, dass im Sport nur das von Bedeutung ist, was auf dem Platz passiert. Das ist eine so banale wie falsche Floskel, weil zum einen die Geschehnisse außerhalb des Spielfeldes erheblich beeinflussen können, was später im Stadion passiert, und weil die Ereignisse auf dem Platz gewaltige Auswirkungen auf draußen haben können. Nur einige Beispiele: Jesse Owens bei den Olympischen Spielen 1936. Das Wunder von Bern. Ali gegen Foreman. Oder Jackie Robinson, der am 15. April 1947 der erste Afroamerikaner in der MLB war und zu einem Symbol der Bürgerrechtsbewegung wurde. Er spielte für die Dodgers und wäre 70 Jahre danach auch eine Geschichte wert. Es gibt jedoch schon den wunderbaren Film "42" darüber.

Sportklubs nehmen in der jüngeren US-Geschichte eine bedeutsame Rolle bei der Verarbeitung von Tragödien ein: die Yankees nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 in New York, der Footballklub Saints nach dem Hurrikan Katrina 2005 in New Orleans, der Eishockeyklub Golden Knights gerade erst nach dem Massaker in Las Vegas. Die Astros wussten, dass es kaum etwas Unwichtigeres auf der Welt gibt als Baseball. Aber sie haben bemerkt, dass sich die Leute in Houston gefreut haben, wenn sie nicht nur Chaos und Zerstörung sehen, sondern eben auch: ein nahezu perfektes Spiel von Pitcher Justin Verlander, den sie erst vor wenigen Wochen aus Detroit geholt haben. Das Dauerlächeln von Catcher Evan Gattis, der vor ein paar Jahren noch ein dauerbekiffter und depressiver Skilift-Aufseher gewesen ist. Den Optimismus des nur 1,68 Meter großen José Altuve, den die Astros einst für zu klein befanden, der sich über die venezolanische Winterliga zurück in die MLB gekämpft hat und mittlerweile einer der zuverlässigsten Schlagmänner der Liga ist.

Es mag zynisch klingen, doch wer sich mit Akteuren unterhält, die nach Katastrophen bei einem Verein in der jeweiligen Stadt unter Vertrag standen, der erfährt, dass die gemeinsame Trauerarbeit nicht nur eine Stadt, sondern auch eine Mannschaft zusammenführen und zusätzliche Kräfte freisetzen kann. "Unsere Spieler haben gesehen, wie diese Stadt zusammensteht und wie sich Nachbarn gegenseitig helfen", sagt Astros-Trainer A. J. Hinch: "Sie haben hoffentlich was gelernt dabei. Ich will, dass sie das nicht vergessen: Wir spielen nicht nur für uns, sondern für eine ganze Stadt."

Es gibt natürlich auch allerhand sportliche Geschichten zu erzählen über diese World Series: Zum ersten Mal seit 1970 stehen sich zwei Mannschaften gegenüber, die in der regulären Saison jeweils mehr als hundert Partien gewonnen haben. Die Dodgers (104:58) verfügen über das tiefere Werfer-Corps, was vor allem in intensiveren Partien und gegen Ende der Serie bedeutsam werden dürfte. Die Astros (101:61) verteidigen zwischen dem ersten und dritten Laufmal sowie im Outfield zuverlässiger. Beide Vereine haben herausragende Schlagmänner, es gibt keinen eindeutig identifizierten Favoriten und wie im Vorjahr keinen Helden und keinen Bösewicht.

Was es gibt: zwei Vereine mit jeweils faszinierenden Geschichten. Mindestens vier Spiele dauert diese Serie, es könnten auch sieben werden. Genug Zeit also, dabei all diese Geschichten zu erzählen und womöglich auch ein paar neue zu schreiben. Es wird dramatisch und bittersüß - und beginnt deshalb passend auf diesem Hügel über Hollywood.

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