Baseball:Zerdehntes Kaugummi

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Das dauert! Seattles Jean Segura (links) und Oaklands Matt Chapman legen während der Partie eine Pause ein. (Foto: Ben Margot/AP)

Anhand der Oakland A's lassen sich die Probleme des einstigen Nationalsports der USA erklären.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es war ein sonniger Sommertag in der nordkalifornischen Stadt Oakland, was also bedeutete, dass es noch immer viel kälter war als an den meisten Wintertagen im Süden dieses amerikanischen Bundesstaates. Der Baseballklub der Oakland Athletics (Spitzname: A's) absolvierte am Mittwochnachmittag eine Partie gegen die Seattle Mariners in dem Stadion an der San-Leandro-Bucht, das Coliseum heißt und nur ein kleines bisschen baufälliger ist als das Original in Rom. Auf dem Rasen waren Markierungen einer anderen Sportart zu sehen, weil die Football-Franchise der Oakland Raiders vor dem Umzug nach Las Vegas noch zwei Spielzeiten hier absolvieren muss. Spielstand nach mehr als drei Stunden: 0:0. In Worten: null zu null.

Die A's sind seit dem grandiosen Buch Moneyball von Michael Lewis (und dem gleichnamigen, nicht weniger grandiosen Film mit Brad Pitt und Jonah Hill) über die Spielzeit 2002 ein Teil der amerikanischen Popkultur. Trotz ihrer Vorliebe für Kapital-Darwinismus (Möge der Reichere gewinnen!) lieben sie in diesem Land noch immer die Underdog-Geschichte: Die A's hatten damals den niedrigsten Etat aller Teams der nordamerikanischen Profiliga MLB, sie gewannen dennoch dank geschickter und strikt an Statistiken orientierter Kaderplanung die meisten Partien der Punkterunde und legten währenddessen eine Siegesserie von 20 Spielen hin.

In dieser Spielzeit verwaltet Athletics-Präsident Billy Beane den drittniedrigsten Etat der Liga (79,1 Millionen Dollar), zum Vergleich: Die Boston Red Sox bezahlen ihren Spielern Gehälter in Höhe von insgesamt 227,6 Millionen Dollar. Dennoch haben die A's im August bislang neun von zwölf Partien gewonnen und liegen derzeit mit einer Bilanz von 72:49 Siegen auf einem Platz, der zur Playoff-Teilnahme berechtigt. Sie liefern mal wieder diese Außenseiter-Wohlfühlgeschichte - doch diesmal scheint das noch nicht einmal die Bewohner von Oakland zu interessieren. Zur Partie gegen die Mariners kamen gerade mal 17 079 Besucher.

Man muss das alles in einem größeren Zusammenhang betrachten: Was gerade mit den Oakland A's passiert, das steht symbolisch für den Status von Baseball, das ein Jahrhundert lang die beliebteste Sportart in den USA gewesen ist und nun verzweifelt um Relevanz kämpft. Normalerweise gehört der Sommer in den USA dem Baseball, doch in diesem Jahr hat zum einen die Fußball-WM für Ablenkung gesorgt, zum anderen interessieren sich gerade junge Menschen immer mehr für die elektronischen Spiele, die gerade sehr in Mode gekommen sind.

Die Basketballliga NBA hat es über clevere Vermarktung ihrer Stars und aufwendiger Gastspiele auf drei Kontinenten zu weltweiter Beachtung gebracht. Die Footballliga NFL bleibt zum einen durch ihre Fehde mit dem US-Präsidenten Donald Trump zum Verhalten der Spieler während des Abspielens der Nationalhymne im Gespräch, zum anderen beteiligen sich mittlerweile etwa 40 Millionen Amerikaner am populären Fantasy Football, einer Art Tippspiel, bei der die Teilnehmer anhand realer Statistiken der Partien eine möglichst schlagfertige Truppe zusammenstellen können.

Beim Baseball aber, da steht es bei einer bedeutsamen Partie (Oakland und Seattle spielen in der gleichen Division und liegen durch den 2:0-Erfolg der Mariners nach Verlängerung gerade mal zwei Siege auseinander) nach drei Stunden noch immer 0:0; wer während der Partie mal vom Spielfeld zu den Tribünen guckte - dafür war genügend Zeit, die Nettospielzeit betrug nur 52 Minuten -, der sah Leute, die gelangweilt auf ihrem Stuhl lümmelten, Softdrinks schlürften und Erdnüsse knabberten. Die Saison zieht sich länger als ein zerdehntes Kaugummi, ehe die Playoffs beginnen, in denen dann endlich ein Meister ermittelt wird.

Es mag arg kulturpessimistisch klingen, stimmt aber dennoch: Wer nimmt sich heutzutage noch die Zeit, pro Saison 162 Partien seines Lieblingsklubs in voller Länge zu verfolgen, zumal die Spiele in diesem Jahr durchschnittlich mehr als drei Stunden dauern und tatsächlich nicht mehr so viel passiert wie früher? Das liegt an der statistischen Evolution dieser Sportart, auch hervorgerufen durch die Erfolge der A's vor 16 Jahren, die dazu geführt hat, dass es auch in dieser Saison mehr sogenannte Strikeouts (Schlagmänner, die ohne einen Treffer ausgeworfen werden) und Homeruns (über die Spielfeldbegrenzung hinaus auf die Tribüne geschlagene Bälle) geben dürfte als jemals zuvor. Dazwischen passiert nicht mehr besonders viel, auch deshalb ist der Zuschauerschnitt in den Stadien im Vergleich zur Vorsaison um fünf Prozent gesunken.

Erst zum Ende der Punkterunde könnte sich das ändern, von da an geht es um die Vergabe der Playoffplätze. In der National League, einer der beiden Ligen, aus denen sich die MLB zusammensetzt, haben derzeit elf Mannschaften eine realistische Chance auf einen der fünf Playoff-Plätze, in der American League sind es immerhin acht. Und in den Playoffs, die im Oktober beginnen, entwickelt diese Sportart dann ihren Zauber, weil es beim Baseball sehr häufig nicht darauf ankommt, was tatsächlich passiert, sondern was gleich passieren könnte oder müsste.

Was während der Hauptrunde langweilig und ermüdend scheint, wird plötzlich spannend und hochinteressant. Dann werden auch wieder 56 000 Leute in dieses marode Stadion von Oakland pilgern - vorausgesetzt, die A's schreiben ihre Wohlfühlgeschichte fort und qualifizieren sich tatsächlich für die Playoffs. Stand jetzt gäbe es in der ersten Runde ein Duell gegen die New York Yankees. Saisonetat: 177,7 Millionen Dollar.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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